Ban Ki-moons Tage als UN-Generalsekretär sind gezählt. Zwar endet seine Amtszeit erst am 31. Dezember 2016, doch schon jetzt laufen die Vorbereitungen für die Nach-Ban-Ki-Moon-Zeit auf Hochtouren. Erste Nachfolge-Namen für den „unmöglichsten Job auf Erden“ machen die Runde. Als solchen hatte Trygve Lie den Chefposten der Weltorganisation einst bezeichnet. Er hatte von 1946 bis 1952 Gelegenheit, sich als Generalssekretär persönlich von den Jobqualitäten zu überzeugen.
Seit Lies Rücktritt sind Amtsbeschreibung und der Planet nicht gerade übersichtlicher geworden. Im Gegenteil: Über 40.000 Personen arbeiten mittlerweile weltweit für die UN. Der Generalsekretär vermittelt zwischen 193 Mitgliedsstaaten und koordiniert allein 30 UN Unter- und Sonderorganisationen wie etwa das Kinderhilfswerk UNICEF oder die Welternährungsorganisation FAO.
Der Klimawandel, eine wachsende Anzahl bewaffneter innerstaatlicher Konflikte und die anhaltende globale Ungleichheit stellen Probleme dar, die vor Ländergrenzen keinen Halt machen. Deren Lösung erfordert daher die Beteiligung aller Staaten dieser Erde. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wären daher heute tatsächlich „vereinte“ Nationen erforderlich, die ihrem Namen wirklich gerecht werden. Zugleich waren die Anforderungen an das UN-Führungspersonal noch nie so vielfältig wie heute.
UN-Generalsekretär: Kein formales Qualifikationsprofil
Umso eklatanter ist es, dass ein formales Qualifikationsprofil für das Amt des UN-Generalsekretärs nicht existiert. Ebenso wenig gibt es einen öffentlichen, transparenten Wahlprozess. Nach wie vor beruhen Amtsbeschreibung und Wahlprozess auf den unveränderten und allgemein gehaltenen formellen Bestimmungen der UN-Charta aus dem Jahr 1945. Diese widmet der Wahl des Generalsekretärs dabei genau einen einzigen Satz. Im Kapitel 15, Artikel 97 heißt es: „The Secretary-General shall be appointed by the General Assembly upon the recommendation of the Security Council.”
Ein Jahr später kam eine Resolution der Generalversammlung hinzu. Diese empfahl im Wesentlichen die geheime Wahl des Generalsekretärs und eine Vorabfestlegung des Sicherheitsrates auf nur einen Kandidaten. Das Qualifikationsprofil dieser Person wurde dabei im schönsten Bürokratenjargon der 1950er Jahre als „man of eminence and high attainment“ beschrieben. Im Gegenzug für die „schweren Verantwortlichkeiten“ des Amtes stellte die Resolution dabei nicht nur ein Jahressalär von 20.000 USD, sondern auch eine „möblierte Residenz“ in Aussicht.
Ohne erheblichen öffentlichen Druck werden China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA nicht von ihrem Privileg abrücken.
Auf Grundlage dieser archaischen Bestimmungen hat sich über die Jahre – sozusagen als Gewohnheitsrecht – ein informelles Prozedere zur Identifizierung und Wahl des UN-Generalsekretärs herausgebildet. Die Kandidaten lassen sich von einem UN-Mitgliedsstaat nominieren, woraufhin sich die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats in geheimen Verhandlungen und unter Einsatz des Vetorechtes auf eine Person festlegen. Den meisten UN-Mitgliedsstaaten und der Zivilgesellschaft bleiben Einblicke in das Kandidatentableau verwehrt – von der allgemeinen Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Denn irgendeine Art der Berichterstattung über diese Hinterzimmediplomatie ist nicht vorgesehen. Der UN-Generalversammlung bleibt am Ende nur noch, den Kompromisskandidaten abzusegnen.
Dieses intransparente Vorgehen steht im Gegensatz zur Praxis vieler anderer internationaler Organisationen. Es hat sich gewohnheitsmäßig so eingespielt, dass bei jeder Wahl das Vorschlagsrecht auf jeweils eine andere Länderregion übergeht. So erheben die osteuropäischen Staaten derzeit Anspruch auf das Amt. Dies jedoch stößt in Moskau auf wenig Gegenliebe und dürfte daher kaum von Erfolg gekrönt sein. Doch selbst wenn weiterhin von einer Region zur nächsten rotiert würde, lässt die Diversität der Bewerbungen zu wünschen übrig. So ist es beispielsweise bislang noch keiner einzigen Frau geglückt auch nur in die engere Auswahl zu gelangen, geschweige denn an die Spitze der UN.
Die derzeitige Praxis der Vorauswahl erteilt den fünf vetoberechtigten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats faktisch das alleinige Privileg der Auswahl. Auch wenn dies ein Stück weit die machtpolitischen Realitäten widerspiegeln mag und aus der Sicht der fünf permanenten Mitglieder realpolitisch verständlich ist, so ist dieses Ausmaß ihrer Macht langfristig politisch kontraproduktiv, weil es die Glaubwürdigkeit und Legitimität der UN schädigt.
Dabei ist klar: Ohne erheblichen öffentlichen Druck werden China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA nicht von ihrem Privileg abrücken. Die internationale Gemeinschaft hat jetzt eine historische Chance, mit gut zwei Jahren Vorlauf, die Wahl des Generalsekretärs transparenter und demokratischer zu gestalten. Ausreichender Spielraum hierfür ist durchaus vorhanden. Seit vielen Jahren betonen namhafte ehemalige UN-Diplomaten und Sekretariatsbeamte, dass sich die gegenwärtige Praxis lediglich informell eingespielt hat. Das aber bedeutet zugleich, dass das Prozedere jederzeit auch ohne eine Änderung der Charta modifiziert werden könnte.
Reform des Auswahlverfahrens
Ein reformiertes Auswahlverfahren sollte sich für konstruktive Vorschläge aus UN-Mitgliedsstaaten und der globalen Zivilgesellschaft öffnen. Folgende konkrete Reformvorschläge für das Auswahlverfahren bieten sich an:
- Das Amt des Generalsekretärs wird in allen UN-Mitgliedsstaaten ausgeschrieben und mit einem Stichtag für die Nominierung durch Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft verbunden.
- Die UN veröffentlichen eine Liste an formalen Auswahlkriterien, so dass eine ausgewogene Genderbalance sowie ethnische und regionale Diversität der Kandidatinnen und Kandidaten garantiert werden können. Die Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrates veröffentlichen gemeinsam einen Zeitplan für die Wahl, der einen strukturierten Ablauf garantiert. Das Auswahlverfahren sollte mit genügend Vorlauf vor der Wahl stattfinden.
- Die Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrates geben die Kandidaten die vom Sicherheitsrat in die engere Wahl gezogen werden, öffentlich bekannt. Dies würde das Auswahlverfahren transparenter machen.
- Die Generalversammlung organisiert eine Serie von offenen Debatten, die es Mitgliedsstaaten, Medien und Öffentlichkeit erlaubt, sich ein Bild der Kandidateninnen und Kandidaten zu machen.
- Die Generalversammlung und der Sicherheitsrat verpflichten sich, auf Gegenleistungen für die Unterstützung von bestimmten Personen zu verzichten. Ein Beispiel dafür wäre die Besetzung anderer Führungspositionen im UN-System.
- Die Generalversammlung besteht darauf, dass der Sicherheitsrat mindestens zwei Kandidateninnen oder Kandidaten zur letztendlichen Wahl für das Amt vorschlägt, anstatt wie bisher nur einen.
- Die Amtszeit des Generalsekretärs wird von fünf auf sieben Jahre verlängert. Zugleich aber wird die bisherige Möglichkeit der Wiederwahl abgeschafft, damit sich die Amtsinhaber nicht aufs Lobbying für die Wiederwahl sondern voll auf die Erfüllung ihres Mandats konzentrieren können.
„Wir, die Völker der Vereinten Nationen“ haben etwas anderes verdient, als dass die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder Ende 2016 einmal mehr nur einen Kompromisskandidaten an die Spitze der globalsten aller Organisationen hieven. Um die Wahl des nächsten UN-Generalsekretärs transparenter zu gestalten, hat jetzt eine Gruppe internationaler Nichtregierungsorganisationen die Kampagne „1 for 7 billion – find the best UN leader“ gestartet. Diese weltweite Initiative ist eine Chance für gelebte, globale Demokratie. Sie fordert keine utopische, unrealistische Reform in ferner Zukunft, sondern Veränderungen, die schon jetzt die Legitimität der Vereinten Nationen unterstreichen.
Deutschland sollte an dieser Stelle die Gelegenheit zur Einmischung ergreifen. Es wäre viel gewonnen, sowohl für Deutschlands Ruf als konstruktiver globaler UN-Akteur, als auch für die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der Weltorganisation. Anstatt weiterhin der unrealistischen Forderung nach einem ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat nachzuhängen, wäre politisches Kapital hier wesentlich konstruktiver eingesetzt. Mehr noch: Es würde die momentan viel beschworene neue deutsche Verantwortung in den Dienst der Vereinten Nationen stellen. Und das hätte eine dringend erforderliche Verbesserung der multilateralen Ordnung zur Folge.
1 Leserbriefe
Schon eine Diskussion über die Kompetenzfelder und Qualifikationen könnte einen wichtigen Reflexionsprozess in Gang setzen.
Beste Grüsse, Gabriele Köhler, Entwicklungsökonomin, UN-assoziiert, und Vorstandsmitglied, DGVN