Die Ukrainekrise lässt die Gefahr eines Krieges in Europa real werden. Hyperschallwaffen vergrößern das Risiko, dass solche regionalen Konflikte außer Kontrolle geraten. Ihr Einsatz kann zu verhängnisvollen Fehleinschätzungen führen. So steigt die Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen den Atommächten Russland und USA.

Die neue Bundesregierung hat sich daher das Ziel gesetzt, frühzeitig Initiativen zur Kontrolle dieser Waffen zu ergreifen und ein Wettrüsten zu verhindern. Einfache rüstungskontrollpolitische Antworten auf die militärtechnologische Herausforderung durch Hyperschallwaffen gibt es nicht. Berlin kann aber helfen, den gegenwärtigen Rüstungswettlauf zu entschleunigen und so den Boden für Rüstungskontrolle und Abrüstung bei den Hyperschallwaffen zu bereiten.

Hyperschallwaffen vergrößern das Risiko, dass regionale Konflikte außer Kontrolle geraten.

Russland, die USA und China entwickeln mit Hochdruck neue Hyperschallwaffen, die mit mindestens fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen können. Noch aber ist die Zahl der einsatzfähigen Hyperschallwaffen vergleichsweise gering. Nur Russland und China verfügen bereits über die neuen Systeme, ihre Bestände dürften aber jeweils nur im niedrigen zweistelligen Bereich liegen. Seit September 2021 testet auch Nordkorea verschiedene Hyperschallgleiter. Die USA, die seit Jahren viele Milliarden Dollar in die Entwicklung und Produktion von Hyperschallwaffen investieren, wollen im nächsten Jahr ihre Streitkräfte mit Hyperschallgleitern ausstatten – wenn auch nicht als Trägersysteme für Nuklearwaffen. Die Sorge, dass die Gegenseite einen technologischen Vorsprung erreichen könnte, treibt die eigene Aufrüstung erheblich an.

Aus Sicht der Besitzer sollen Hyperschallwaffen eine Fähigkeitslücke zwischen vergleichsweise langsamen, lenkbaren Marschflugkörpern und schnellen, aber nicht lenkbaren ballistischen Raketen schließen. Diese Kombination von Schnelligkeit, geringer Sichtbarkeit, Manövrierfähigkeit und Treffgenauigkeit macht Hyperschallwaffen für Militärs so unwiderstehlich. Sie hoffen, mit den neuen Systemen mobile und stark geschützte Ziele ausschalten und Raketenabwehrsysteme überwinden zu können. Militärstrategen behaupten, ihre jeweils eigenen Hyperschallwaffen stärkten die strategische Stabilität, weil diese Systeme die Effektivität der Kriegführung verbesserten und so die Glaubwürdigkeit der Abschreckung untermauerten.

Militärstrategen behaupten, ihre jeweils eigenen Hyperschallwaffen stärkten die strategische Stabilität, weil diese Systeme die Effektivität der Kriegführung verbesserten und so die Glaubwürdigkeit der Abschreckung untermauerten.

Tatsächlich aber nehmen ihre Befürworter billigend in Kauf, dass Hyperschallwaffen die Gefahr der Eskalation eines begrenzten Konflikts vergrößern. Denn die neuartige Kombination von Manövrierfähigkeit und Schnelligkeit macht den Einsatz der neuen Systeme riskant. Frühwarnsysteme können die Flugbahn von Hyperschallwaffen, anders als bei herkömmlichen ballistischen Raketen, kaum berechnen. Der angegriffene Staat weiß höchstens, dass Raketen im Anflug sind, kann aber nicht vorhersagen, wo die Hyperschallwaffen einschlagen.

Für Nuklearwaffenbesitzer verschärfen Hyperschallwaffen das sogenannte „Use them or lose them“-Dilemma. Gilt der Angriff konventionellen Zielen oder den Nuklearstreitkräften? Um seine Fähigkeit zur nuklearen Vergeltung nicht zu verlieren, muss ein Atomwaffenstaat innerhalb weniger Minuten eine Entscheidung über ihren Einsatz treffen, nämlich bevor Hyperschallwaffen ihr Ziel erreichen. Verschärft wird diese Ungewissheit, weil von außen kaum erkennbar ist, ob diese konventionelle oder nukleare Sprengköpfe tragen.

Gefährlich ist auch, dass bei den Hyperschallwaffen ein asymmetrischer, mehrseitiger Rüstungswettlauf zwischen Staaten stattfindet, die sich in einem geopolitischen Konflikt wähnen. China ist bisher gar nicht in relevante Rüstungskontrollabkommen eingebunden. Gleichzeitig haben Russland und die USA wichtige Elemente der bilateralen Rüstungskontrollarchitektur  demontiert. Mit dem Ende des INF-Vertrags 2019, in dem Russland und die USA auf den Besitz landgestützter Mittelstreckenwaffen verzichtet hatten, ist der Weg frei für ein Wettrüsten in Europa. So droht eine Neuauflage des Mittelstreckenwettrüstens, das die Welt Anfang der 1980er-Jahre an den Rand eines Atomkriegs brachte, diesmal allerdings im Hyperschallmodus.

Die neuartige Kombination von Manövrierfähigkeit und Schnelligkeit macht den Einsatz der neuen Systeme riskant.

Einfache rüstungskontrollpolitische Lösungen wird es in dieser schwierigen Ausgangslage nicht geben. Wie aber können die mit den Hyperschallwaffen einhergehenden Gefahren zumindest vermindert werden, besonders in Europa? Eine Entschleunigung der Aufrüstung, mehr Transparenz und rüstungskontrollpolitische Tauschgeschäfte bieten erste Möglichkeiten, um in eine notwendige Risikoreduzierung einzusteigen.

Erstens geht es darum, durch Moratorien die Aufrüstungsdynamik zu verlangsamen. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, die durch den Wegfall des INF-Vertrags klaffende Lücke in der europäischen Sicherheitsarchitektur zu schließen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat einen Stopp der Stationierung von landgestützten Mittelstreckensystemen mehrfach ins Spiel gebracht und zuletzt im Dezember 2021 wiederholt. Dieses Angebot hatte die NATO zunächst abgelehnt, weil sie eine Finte vermutete, um die Stationierung von neuen russischen SSC-8-Mittelstreckenraketen zu verstetigen, was das bestehende Ungleichgewicht zementiert hätte. Angesichts der Ukrainekrise haben sich die USA und die NATO nun aber grundsätzlich zu Gesprächen über eine INF-Nachfolge bereit erklärt, die auf überprüfbare gegenseitige Begrenzungen von in Europa stationierten Raketen abzielen.

Ein Moratorium bei der Stationierung landgestützter Mittelstreckensysteme kann einen rüstungskontrollpolitischen Einstieg bieten und sollte graduell ausgeweitet werden. Der Fokus auf landgestützte Systeme greift aber zu kurz, weil sowohl Russland als auch die USA Hyperschallwaffen entwickeln, die auf Schiffen, U-Booten oder Flugzeugen stationiert werden können. Russland behauptet, bereits über einsatzfähige Kinschal-Raketen zu verfügen, die aus der Luft abgefeuert werden können, und die seegestützte Zirkon-Hyperschallrakete soll bald folgen. Die USA wollen nächstes Jahr Langstreckenbomber mit ARRW-Hyperschallgleitern ausrüsten. Ein Moratorium kann zumindest den politischen Raum für weitere gemeinsame Schritte zur Verlangsamung dieses Wettrüstens vergrößern.

Es droht eine Neuauflage des Mittelstreckenwettrüstens, das die Welt Anfang der 1980er-Jahre an den Rand eines Atomkriegs brachte, diesmal allerdings im Hyperschallmodus.

Zweitens wäre mehr Transparenz über die Pläne der NATO und Russlands, neue Hyperschallwaffen zu entwickeln und zu stationieren, ein weiterer möglicher Einstieg in die Rüstungskontrolle. Bisher tauschen beide Seiten keinerlei Informationen über ihre Hyperschallwaffenprogramme aus. Die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rats im Zuge der Ukrainekrise bietet die Chance, über die Rolle von Hyperschallwaffen im strategischen Verhältnis zu sprechen. Schon ein solcher Dialog wäre ein Beitrag zur Risikoreduzierung und eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme.

Transparenzmaßnahmen böten mittelfristig auch eine Gelegenheit, weitere Staaten in Gespräche über die Begrenzung von Hyperschallwaffen einzubeziehen. Hier ist in erster Linie China zu nennen, das eine Gleitflugrakete des Typs DF-17 bereits 2019 bei einer Militärparade präsentierte und weitere Hyperschallwaffen erprobt. Auch Indien, Großbritannien, Frankreich, Japan und Australien treiben eigene Entwicklungen voran. Die Multilateralisierung eines Dialogs über Hyperschallwaffen ist daher mittelfristig notwendig, wenn globale Ungleichgewichte reduziert werden sollen.

Der Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen ist ein geeigneter Rahmen für solche Gespräche. Die 143 Teilnehmerstaaten informieren sich gegenseitig über bevorstehende Raketenstarts und tauschen jährlich Daten über ihre ballistischen Raketenprogramme aus. Die Bundesregierung sollte dafür werben, den Kodex auch auf Hyperschallgleiter und -marschflugkörper anzuwenden.

Drittens ist denkbar, dass Russland und die USA die Weiterentwicklung von Hyperschallwaffen beschränken, wenn im Gegenzug Zugeständnisse bei anderen Themen gemacht werden. Genau solche sicherheitspolitischen Tauschgeschäfte diskutieren die beiden Seiten im Rahmen des Dialogs über strategische Stabilität in Genf. Sie wollen dann zeitnah Verhandlungen über eine Nachfolge dieses 2026 auslaufenden Abkommens über die Begrenzung weitreichender Atomwaffen (New START) beginnen.

Eine Entschleunigung der Aufrüstung, mehr Transparenz und rüstungskontrollpolitische Tauschgeschäfte bieten erste Möglichkeiten, um in eine notwendige Risikoreduzierung einzusteigen.

Erste Ansätze für derartige Deals sind erkennbar: Die USA wollen neue russische Hyperschallwaffen wie die Kinschal unter einem New-START-Folgeabkommen erfassen. Washington möchte zudem, dass Russland sein großes Arsenal nuklearer Kurzstreckenwaffen in die nächste Rüstungskontrollrunde einbringt. Dieses Thema steht auch ganz oben auf Deutschlands Wunschliste für den Genfer Dialog.

Moskau hat zwar klargestellt, dass mit dem Hyperschallgleiter des Typs Avangard ausgerüstete strategische Raketen mit großer Reichweite zu dem noch geltenden New-START-Vertrag gezählt werden. Bei der Kinschal und anderen Systemen aber mauert Russland und fordert im Gegenzug die Einbeziehung bestimmter nicht nuklearer US-Waffensysteme. Darunter dürften auch die geplanten US-Hyperschallgleiter fallen. Russland sieht seine Hyperschallwaffen zudem als Mittel, um amerikanische Raketenabwehrsysteme zu umgehen. Eine Begrenzung amerikanischer Raketenabwehrfähigkeiten dürfte daher eine Einbeziehung von Hyperschallwaffen in die Verhandlungen erleichtern.

Berlin sollte beide Seiten ermutigen, solche weitreichenden Schritte zu gehen, um das Patt beim Genfer Dialog über strategische Stabilität aufzulösen. Wichtig aus deutscher Sicht ist es, dass Moskau und Washington besonders destabilisierende Technologien wie Hyperschallwaffen frühzeitig zum Gegenstand solcher Tauschgeschäfte machen. Obergrenzen für Hyperschallwaffen wären ein Instrument, das einen ungezügelten Rüstungswettlauf bremsen und auch anderen Staaten den Weg zu einer Teilnahme an Rüstungskontrollgesprächen ebnen würde.

Klar ist: Diese Schritte sind weder einzeln noch in der Summe ausreichend, um ein Wettrüsten bei den Hyperschallwaffen zu verhindern. Angesichts des tiefgreifenden Konflikts zwischen der NATO und Russland, der militärischen Attraktivität der neuen Systeme und der Eigeninteressen der militärisch-industriellen Komplexe, die hinter den neuen Waffen stehen, sind umfassende Regelungen oder gar Verbote kurzfristig kaum zu erwarten. Eine Entschleunigung des Wettrüstens, der Einstieg in mehr Transparenz und die Bereitschaft, über asymmetrische Rüstungskontrollansätze nachzudenken, könnten aber zumindest dazu beitragen, die größten Gefahren zu verringern, die von Hyperschallwaffen ausgehen.