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Die anhaltenden Kriege und gewaltsamen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten sind kompliziert und miteinander verbunden. Der Krieg im Jemen wird trotz der humanitären Katastrophe in aller Härte fortgeführt. Saudi-Arabien und Iran sind mit ihren jeweiligen lokalen Partnern die Hauptkontrahenten. Sie ringen um die regionale Vormacht, aber auch Ägypten und andere arabische Länder gehören zu den Konfliktparteien. Der Syrienkrieg ist längst noch nicht beendet, wenn auch der IS weitgehend besiegt ist. Der inzwischen sieben Jahrzehnte dauernde und blutige Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern flammt immer wieder auf und die derzeitige US-amerikanische Politik trägt eher zur Verhärtung der Fronten als zu einer friedlichen Lösung bei.
Es ist eine komplexe Gemengelage, in der europäische Länder vor allem mit Rüstungsexporten aktiv sind. In Deutschland hat sich in den letzten Wochen ein Streit darüber entzündet, ob ein Stopp von Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien aufgehoben oder verlängert werden soll.
Saudi-Arabien hat nach den USA und China weltweit den höchsten Militärhaushalt und ist der größte Waffenimporteur der Region. Im letzten Jahrzehnt importierte das Land moderne Großwaffensysteme mit einem Wert von über 22 Milliarden US-Dollar. Als große Importeure folgten die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, Irak, Katar und Israel. Alle diese Länder wurden unter anderem auch von Deutschland beliefert: etwa mit U-Booten, Schnellbooten, Fregatten, Kampfpanzern, gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern, Raketen und Kleinwaffen.
Folgt man der deutschen Diskussion, gewinnt man den Eindruck, als wäre die deutsche Regierung unberechenbar in ihrer Rüstungsexportpolitik und damit für die Zukunft ein unzuverlässiger Partner.
Alle Regierungen in der stark militarisierten Region setzen auf Aufrüstung. Laut Statistiken des Stockholmer Instituts für Friedensforschung SIPRI stammten sieben von zehn Ländern mit der höchsten militärischen Belastung – dem Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt – aus dem Nahen und Mittleren Osten. Während in Deutschland diskutiert wird, ob das Ziel von 2 Prozent in den nächsten Jahren erreicht werden kann, gibt Israel 4,7 Prozent seines Bruttosozialprodukts für die Streitkräfte aus, Saudi-Arabien 10,3 Prozent und der Oman gar 12,1 Prozent.
Mehr als die Hälfte aller Waffenexporte in den Nahen und Mittleren Osten kommen aus den USA. Großbritannien und Frankreich lieferten an ein Dutzend Länder in der Region moderne Waffensysteme, eine noch breitere Palette moderner Rüstung als Deutschland. Auch Spanien und Italien exportierten an Länder der Region.
Zur Debatte, die in Deutschland gerade mit Blick auf Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien geführt wird und die durch einen Konflikt über sogenannte Gemeinschaftsprojekte zwischen Deutschland und Frankreich beziehungsweise Großbritannien angeheizt wird, lohnt sich ein Blick auf die bisher geltenden Richtlinien. Folgt man der deutschen Diskussion, gewinnt man den Eindruck, als wäre die deutsche Regierung unberechenbar in ihrer Rüstungsexportpolitik und damit für die Zukunft ein unzuverlässiger Partner.
Im EU Verhaltenskodex zum Rüstungsexport von 1998 und dem Gemeinsamen EU Standpunkt von 2008 haben sich die EU-Mitgliedsländer verpflichtet, „mit Entschlossenheit hohe gemeinsame Maßstäbe“ zu setzen, die „als Mindeststandard“ angesehen werden sollen. Konkret heißt es dann in den acht anzuwendenden Kriterien bei der Exportlizenzvergabe, dass eine Ausfuhrgenehmigung zu verweigern ist, „wenn eindeutig das Risiko besteht“, dass die ausgeführten Güter „zur inneren Repression genutzt werden könnten“. Ob das im Falle von Ausfuhren an die Länder des Mittleren Ostens jemals ernst genommen wurde? Und weiter heißt es, dass die „Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts“ im Empfängerland besondere Bedeutung hat. Allein die Anwendung dieses Kriteriums hätte jeglichen Rüstungsexport nach Saudi-Arabien verhindert.
Im Übrigen ist auch die Gesetzeslage in Deutschland klar. Das Kriegswaffenkontrollgesetz regelt, dass eine Rüstungsexportgenehmigung schon dann zu versagen ist, wenn die „Gefahr besteht“, dass die Waffen bei friedensstörenden Handlungen eingesetzt oder völkerrechtliche Verpflichtungen verletzt werden. Die deutschen Exporte wurden nicht erst durch die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi zum Problem. Sie hätten bei Anwendung der politischen EU-Richtlinien sowie der deutschen Gesetze schon vorher gestoppt werden müssen.
Ferner heißt es in den EU-Kriterien, dass „das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konfliktes zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land“ ein Ausschlussgrund sind. Zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft haben klar belegt, wie von den Kriegsparteien im Jemen die Menschenrechte verletzt werden. Die Frage ist also nicht, warum Deutschland kurzfristig die Waffenlieferungen stoppte, sondern warum die Exporte überhaupt genehmigt wurden. Und warum Frankreich und Großbritannien nun mit moralisch erhobenem Zeigefinger deutsche Unzuverlässigkeit im Rüstungsexport beanstanden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wieso liefern EU-Länder ungeniert in diese Kriegs- und Konfliktregion? Was sind die EU-Rüstungsexportregularien wert, wenn sie derart missachtet werden?
Schon 2008 hatten sich die EU-Mitgliedsländer um „Konvergenz der Rüstungsexportkontrolle“ bemüht. Wenn jetzt in der deutschen Debatte so getan wird, als müssten die Deutschen ihre restriktivere Position den übrigen Mitgliedsländern anpassen, dann verkennt dies einerseits, dass sich andere Länder in Europa im Falle der Jemenkriegskoalition restriktiv verhalten – so die Niederlande, die Region Flandern und auch Schweden. Andererseits wird verkannt, dass die großzügig operierenden Rüstungsexportländer diejenigen sind, die die selbst geschaffenen EU-Richtlinien missachten. Die Forderung nach „Anpassung der Richtlinien“ heißt im Klartext nichts anderes als die Abschaffung von Exportrestriktionen.