Die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat als zentrale verteidigungspolitische Äußerung bei ihrer Vereidigung im Bundestag ein klares Bekenntnis zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels abgelegt. Auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts soll also der Verteidigungshaushalt steigen. Damit löste Kramp-Karrenbauer innerhalb der Koalition und bei der Opposition Protest aus. Als einzige Begründung diente der Hinweis, Deutschland habe sich im Rahmen der NATO dazu verpflichtet, mit Zustimmung der SPD im Übrigen. Damit hat sie Recht. Aber nur deswegen wird ein unsinniges politisches Ziel nicht richtiger. Durch permanente Wiederholung im Übrigen auch nicht.

Es ist zunächst einmal grundsätzlich falsch, eine volkswirtschaftliche Größe wie die Entwicklung des Bruttosozialprodukts zum zentralen Kriterium verteidigungs- und sicherheitspolitischer Entscheidungen zu machen. Denn ein wirtschaftlicher Wachstumseinbruch macht die Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels wahrscheinlicher, eine florierende Wirtschaft führt dagegen zur Untererfüllung der Verpflichtungen. Deutlich wird diese Absurdität am Beispiel Griechenland. Das Land erreichte 2018 mit Verteidigungsausgaben in Höhe von 2,4 Prozent das Ziel locker. Der Haushalt für die Streitkräfte aber schrumpfte in den letzten acht Jahren um ein Drittel. Das negative Wirtschaftswachstum war in Griechenland eben noch ausgeprägter als die Kürzungen im Verteidigungsetat. Eine ähnliche Entwicklung erlebt gerade das NATO-Mitglied Türkei, weil die türkische Wirtschaft erheblich schwächelt. Das Zwei-Prozent-Ziel ist daher ein untaugliches Kriterium für sachorientierte sicherheitspolitische Entscheidungen. Es ist ein Fetisch oder, wie es der kommissarische Fraktionsvorsitzende der SPD Rolf Mützenich formulierte, schlicht „ein Tanz um das goldene Kalb.“

Die Engpässe bei der Bundeswehr sind nicht wegen fehlender Finanzmittel entstanden.

Wenn sie die Bundeswehr zukunftsfähig machen will, sollte sich die neue Verteidigungsministerin lieber folgenden Sicherheitsbereichen widmen:

Erstens der Reform der Bundeswehrbeschaffung: Die Bundeswehr hat zu wenig qualifiziertes Personal, die Kampfflugzeuge sind nur bedingt einsatzfähig, die U-Boote tauchen nicht, die schon lange avisierten Fregatten werden nicht ausgeliefert, Hubschrauber und Lufttransportkapazitäten sind Mangelware. Die Liste ließe sich fortsetzen. Diese Engpässe bei der Bundeswehr sind allerdings nicht wegen fehlender Finanzmittel entstanden. Die Bundeswehr wurde auch nicht kaputtgespart, wie gelegentlich zu hören ist. Das zentrale Problem ist ein anderes. Die Rüstungsindustrie hat mehr versprochen, als sie nun zu liefern imstande ist. Die technischen Probleme beispielsweise beim Lufttransportflugzeug A 400 sind keine Frage mangelnder Finanzen. Die Rüstungsfirmen haben sich mit diesem Flugzeug verhoben. Die Bundeswehrbeschaffung bedarf dringend einer gründlichen Reform. Schon zu Zeiten von Verteidigungsminister Freiherr Karl zu Guttenberg wurde eine entsprechende Kommission eingesetzt. Sie zeigte auch die grundsätzlichen Schwachstellen der Beschaffung auf, die praktische Umsetzung der Reformvorschläge allerdings ist bis heute mangelhaft.

Auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen reformiert werden. Sie sind zentrale sicherheits- und verteidigungspolitische Aufgabe der Bundeswehr. Gemessen an den politisch definierten Zielen wird diese Aufgabe aber nur völlig unzureichend erfüllt. So hat die Bundeswehr fast zwei Jahrzehnte Einsatz in Afghanistan hinter sich und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine sachgerechte, unvoreingenommene Analyse der Erfahrungen bei Auslandseinsätzen ist die Voraussetzung dafür, in Zukunft die vorgegebenen Ziele zu erreichen.

Ein drittes Feld stellt die Rüstungskontrolle dar. Sie ist vor allem im Bereich der Nuklearwaffen auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Kündigung des INF-Vertrages ist Ausdruck dieser desolaten Lage. Die Initiative des Auswärtigen Amtes, Rüstungskontrollgespräche in Gang zu setzen, führt in die richtige Richtung. Die 29 Länder der NATO geben rund 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben von über 1,8 Billionen US-Dollar aus. Die drastischen Erhöhungen des Militäretats in den USA oder das Zwei-Prozent-Ziel sind nicht Ausdruck ernst gemeinter Rüstungskontrolle. Sie sind möglicherweise Geldverschwendung, weil eben mangelnde Finanzen nicht das Problem sind. Oder aber sie bewirken einen Aufrüstungsschub, der ernsthafte Rüstungskontrolle zusätzlich erschwert.

Es wird sich zeigen, ob verstärkte Kooperation in Europa nach dem Brexit einfacher wird oder ob die britischen Kapazitäten fehlen.

Ein vierter Punkt ist eine europäische Armee. Die Idee verstärkter Kooperation der Streitkräfte Europas, in der Rüstungsindustrie und in einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist keineswegs neu, sondern existiert seit vielen Jahrzehnten. Oftmals wurden die Briten für den mangelnden Fortschritt verantwortlich gemacht, weil sie auf die NATO, aber nicht auf Europa setzten. Mit dem kommenden Brexit ist dieses Argument hinfällig. Es wird sich zeigen, ob verstärkte Kooperation in Europa nun einfacher wird oder ob die britischen Kapazitäten fehlen. Allerdings ist bislang eine grundsätzliche Fragestellung vermieden worden. Wie halten wir es im Falle einer europäischen Armee mit der nationalen Souveränität? Bestimmt die EU-Kommission über einen möglichen Auslandseinsatz oder der französische Präsident? Was wird aus dem Vorbehalt des deutschen Bundestages? Wer entscheidet über problematische Rüstungsexporte aus Europa in autoritäre Staaten oder an Regierungen mit besorgniserregender Bilanz bei den Menschenrechten? Ganz nebenbei: Die französischen und britischen Nuklearwaffen waren bei der Diskussion um europäische Sicherheitspolitik immer ein Tabuthema.

Und fünftens wäre da die Rolle der NATO. Die NATO wurde als Allianz und Bollwerk gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten gegründet. Mit dem Untergang der Sowjetunion entfiel der zentrale Counterpart der Allianz. Seither ist die NATO auf der Suche nach ihrer Rolle. Zurzeit hat sie sich vor allem zur Aufgabe gemacht, in Kriegs- und Konfliktsituationen möglicherweise rasch eingreifen zu können. Darüber hinaus bietet die russische, geopolitisch orientierte Sicherheitspolitik einen Anlass für die NATO, weiterhin in Europa verteidigungsbereit zu sein. Schließlich spielt die NATO eine Rolle in der globalen geopolitischen Auseinandersetzung mit den militärisch ambitionierten Chinesen. Diese verschiedenen Rollen des Bündnisses führen zu erheblichen internen Interessengegensätzen. Die USA wollen ihr Engagement in Europa und auch in Kriegen außerhalb Europas begrenzen; dies ist aber nicht Zielsetzung der meisten anderen NATO-Mitglieder. Diese wiederum haben wenig Interesse und noch weniger Kapazitäten, um am globalen Schachspiel der USA und Chinas mitzuwirken.

Es entsteht der Eindruck, der Fetisch des Zwei-Prozent-Ziels diene dazu, von den eigentlichen Problemen der Allianz und der Bundeswehr abzulenken.