Kann Deutschland sich an einem Militäreinsatz in Syrien beteiligen und wenn ja, wie? Am vorvergangenen Sonntag meldete die Bild-Zeitung vorab, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen diese Fragen prüfen lasse. Ziel eines etwaigen Einsatzes sollte es sein, den völkerrechtlich verbotenen Einsatz von Chemiewaffen durch die Truppen des syrischen Präsidenten Assad gegen die Zivilbevölkerung der eingeschlossenen Stadt Idlib zu verhindern - oder zu reagieren, sollte ein solcher Einsatz erfolgen. Bereits am Abend desselben Tages verkündete die Vorsitzende der SPD, Andrea Nahles, dass eine „Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien“ von den Sozialdemokraten nicht mitgetragen werde. Diese Botschaft wurde am Montag nach der Sitzung des Parteipräsidiums noch einmal bekräftigt.
Dieses Vorgehen war bemerkenswert und das nicht so sehr wegen der Aussage selbst. Es sprechen einige gute militärische Gründe gegen einen solchen Einsatz. Die Lage in Idlib selbst ist extrem unübersichtlich, Russlands Rolle vor Ort gibt dem Konflikt eine Dimension, die über den regionalen Bezug hinausgeht, und ein Militäreinsatz, der im ausschließlich Symbolischen verharrt, lässt den Intervenierenden eher schwach aussehen als stark. Das haben die verhaltenen Maßnahmen der Vergangenheit bereits gezeigt. Andererseits wäre ein Einsatz natürlich nicht in Idlib selbst erfolgt, sondern hätte Einrichtungen des syrischen Militärs in anderen Teilen des Landes zum Ziel gehabt. Eigentliches Ziel eines solchen Einsatzes wäre es gewesen, dem Assad-Regime (und seinen Sponsoren in Moskau) zu signalisieren, dass der Verstoß gegen internationales Recht Kosten hat und dass man nicht unbeobachtet mit geächteten Waffen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen kann.
Das schnelle Nein verkennt den Nutzen der militärischen Drohkulisse für den Schutz des internationalen Rechts.
Bemerkenswert war das Nein der Sozialdemokraten vor allem wegen der Eile, mit der es verkünde wurde. Ein offizielles Gesuch der USA (oder anderer Verbündeter) um militärische Hilfe aus Deutschland hatte es nicht gegeben. Der Einsatz von Giftgas in Idlib war ebenfalls nicht bestätigt worden. Und eine sicherheitspolitische Debatte hatte es natürlich auch nicht gegeben, genauso wenig wie eine sorgfältige Prüfung der militärischen Lage vor Ort. Dass der Fall trotzdem schon klar war, zeugt davon, dass es bei der Entscheidung gar nicht um Sicherheitspolitik und die internationale Rolle Deutschlands ging, sondern um die innenpolitische Positionierung in einer katastrophalen politischen Gemengelage. Für eine verantwortungsvolle Außenpolitik aber ist ein rein innenpolitisches Taktieren, noch dazu ein so reflexhaftes, nicht ausreichend. Die abgewogenen Gründe für das Nein der SPD wurden dann erst später durch Fraktionsvize Rolf Mützenich nachgereicht.
Selbst wenn man dieser Begründung, die einige gute Argumente hat, am Ende folgen will, wurde durch die mit größter Eile erfolgte Absage außenpolitischer Schaden angerichtet.
Erstens ist den eigenen Alliierten und Verbündeten überaus deutlich gemacht worden, dass Deutschland in solchen Fällen über eine Beteiligung an einer Intervention nicht einmal reden will, bevor es sich entscheidet. Das Nein erfolgt ohne internationale Rücksprache und ohne interne Abwägung. Die militärische Lage selbst und die strategischen und geopolitischen Implikationen des konkreten Falls spielten gar keine Rolle. Eine derart schnelle Festlegung nimmt der Bundesregierung jeglichen politischen und militärischen Spielraum. Zudem bestätigt sie den unter Verbündeten ohnehin gegen Deutschland gehegten Verdacht, beim schwierigen Teil des internationalen sicherheitspolitischen Geschäfts kein ernsthaft ansprechbarer Partner zu sein. Das schadet Deutschland, und ob es der SPD auf mittlere und lange Sicht wirklich hilft, ist fraglich.
Zweitens verkennt das schnelle Nein den Nutzen der militärischen Drohkulisse für den Schutz des internationalen Rechts. Wenn, wie in Idlib, der Einsatz von Chemiewaffen tatsächlich droht (und die bisherige Praxis Assads und Moskaus deutet darauf hin), dann ist es sinnvoll, öffentlich und mit einer gewissen Geräuschentfaltung den Einsatz militärischer Gegenmittel zu prüfen. Es geht ja darum, den potenziellen Aggressor von seinem Vorhaben abzubringen. Ihm zu diesem Zwecke zu zeigen, dass sein Verhalten Kosten haben kann, und damit auf seine Kosten/Nutzen-Relation einzuwirken, ist vernünftiges politisches Handeln.
Der Sicherheitsrat selbst schützt durch seine Beschaffenheit die Verletzung des Völkerrechts.
Drittens wirkt im Lichte dieses Unverständnisses der Verweis auf das Völkerrecht schal und schwach. Natürlich gehört Assad vor den internationalen Strafgerichtshof. Und natürlich braucht man für einen Militäreinsatz eigentlich ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Was aber, wenn dem internationalen Recht ohne Gewaltandrohung oder -anwendung nicht zur Geltung verholfen werden kann? Allein die Berufung auf die Normen des Völkerrechts verleiht ihm noch keine Muskeln. Assad wird ohne Anwendung von militärischer Gewalt nicht festgesetzt und dem Gericht überstellt werden können. Und ein Militäreinsatz kann auch ohne Mandat des Sicherheitsrates völkerrechtskonform erfolgen, wenn er sich auf die Nothilfe beruft, was in diesem Fall nicht abwegig ist.
Was das Mandat für einen Einsatz angeht, so ist es hier leider der Sicherheitsrat selbst, der durch seine Beschaffenheit die Verletzung des Völkerrechts schützt. Es ergibt für die Durchsetzung des Völkerrechts wenig Sinn, sich auf die Mandatserteilung durch ein Gremium zu verlassen, in dem einer der Täter, Russland, über ein Veto verfügt und sich und seine Klienten von Vornherein aus der Verantwortung nehmen kann. So wird der Sicherheitsrat zum genauen Gegenteil dessen, was er als Garant des Völkerrechts eigentlich sein soll. Wie das schnelle Nein selbst, hat auch die immer gleiche deutsche Berufung auf den Sicherheitsrat etwas Reflexhaftes. Nicht nur mutet sie häufig an wie ein Ausweichen vor der tatsächlichen Verantwortung. Im vollen Wissen um die Instrumentalisierung des Sicherheitsrates wirkt sie zynisch.
Die vorschnelle Festlegung auf ein Nein in der Idlib-Frage verwehrt Deutschland einmal mehr die Gelegenheit, in einer zentralen sicherheitspolitischen Frage eine vertiefte Debatte über eigene Interessen, tatsächlichen Völkerrechtsschutz, die Stärkung globaler Ordnung und die Verantwortung Berlins in dieser Frage zu führen.
Aus rein innenpolitischer Logik ist deutsche Außenpolitik nicht mehr machbar.
Deutsche Interessen sind in Syrien zentral betroffen: der Krieg dort war der wichtigste Auslöser für den Flüchtlingsstrom, der sich seit 2014 verstärkt nach Europa und nach Deutschland bewegt. Die Bedeutung dieser Frage für die deutsche Innenpolitik und für den Zusammenhalt der EU liegt auf der Hand. Dass hier eine geopolitische Frage über Krieg und Frieden in gar nicht so fernen Ländern direkte Auswirkung in deutschen Städten und Gemeinden hat, das verschweigt das Nein. Dabei müsste auch dieser Zusammenhang von Bürgerkrieg und Flüchtlingsfrage dringend ernsthaft beleuchtet werden.
Ebenso beschwiegen wird die Rolle Russlands, das die Kriegsführung Assads erst möglich macht, indem es ihn militärisch gerettet hat, seine Armee ausstattet und in der Operationsführung anleitet und unterstützt. Mittels des Vetos im Sicherheitsrat schiebt Russland das Völkerrecht schützend vor einen der entsetzlichsten Mörder unserer Zeit. Ja, eine deutsche Beteiligung an einem Militärschlag könnte Berlin in zusätzlichen Konflikt mit Moskau bringen. Man kann sich für oder gegen eine solche Konfrontation entscheiden, aber man sollte wenigstens Nutzen und Schaden einer solchen Politik in Ruhe gegeneinander abwägen. Ein vorschnelles Nein hat hier das zusätzliche Geschmäckle, Russland trotz seiner Verantwortung für die Lage in Syrien besonders schonend behandeln zu wollen.
Mit sicherheitspolitischer Entscheidungsfindung im Eilverfahren wird man die gewachsene Rolle und Verantwortung Deutschlands für die europäische Sicherheitsarchitektur, die in der Ära Trump allenthalben beschworen wird, nicht ausfüllen können. Sie suggeriert, dass es für Deutschland einfache Lösungen gibt, die schon lange nicht mehr ausreichen. Auch aus reiner innenpolitischer Logik ist deutsche Außenpolitik nicht mehr machbar. Sich vor der schwierigen Debatte zu drücken, wird der heiklen gesamststrategischen Lage, in der Deutschland und Europa sich im Jahre 2018 befinden, nicht gerecht.
Lesen Sie in dieser Debatte auch den Beitrag von Rolf Mützenich