Einige Tage nach der Ankündigung des US-Embargos gegen russisches Öl und Gas durch Präsident Joe Biden veröffentlichte der UN-Weltklimarat IPCC seinen jüngsten Bericht. Darin wird vor zahlreichen gefährlichen Umbrüchen gewarnt, die der Klimawandel mit sich bringt. Trotz der Bemühungen zur Risikobegrenzung beeinflussen sie das Leben von Milliarden Menschen in aller Welt. UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Bericht „einen Atlas menschlichen Leidens und eine flammende Anklageschrift gegen eine gescheiterte klimapolitische Führung“.

Die düsteren Ergebnisse des Berichts wurden nun durch eine andere schlimme Entwicklung – die russische Invasion in der Ukraine – weitgehend aus den Schlagzeilen verdrängt. Aber die beiden Themen lassen sich nicht wirklich voneinander trennen. Die europäische Abhängigkeit von Öl und Gas stellt für Wladimir Putin in diesem Krieg einen der größten Vorteile dar. Und genau diese Abhängigkeit trägt, wenn sie andauert, auch zu den furchtbaren Entwicklungen bei, vor denen der IPCC warnt. Die aktuelle Krise bietet der Welt nun eine Gelegenheit – wenn sie mutig genug dazu ist –, all diese Risiken zu entschärfen, indem sie schnell auf erneuerbare Energien umsattelt.

Die aktuelle Krise bietet der Welt eine Gelegenheit, all diese Risiken zu entschärfen, indem sie schnell auf erneuerbare Energien umsattelt.

In den USA hat Präsident Biden seit seinem Amtsantritt im Januar 2021 den Kampf gegen den Klimawandel zu einer Priorität seiner Administraion und Außenpolitik gemacht. Sein Sonderbeauftragter John Kerry ist durch die Welt gereist und hat darauf gedrängt, entschiedener zu handeln, um schneller von fossilen Energiequellen wegzukommen. Außerdem hat der Präsident eine Vielzahl von Verordnungen erlassen, die die Bundesbehörden unter anderem dazu verpflichten, Klimaanalysen in ihre Arbeit zu integrieren und die Regierung bis 2050 zu dekarbonisieren. Ein Grund dafür ist, dass die planetare Erwärmung erhebliche Folgen für die nationale Sicherheit hat. Wie das US-Verteidigungsministerium in seiner Klimarisikoanalyse des letzten Jahres warnte: „Das beispiellose Ausmaß von Waldbränden, Überschwemmungen, Dürren, Taifunen und anderen extremen Wetterereignissen der letzten Monate und Jahre hat unsere Einrichtungen und Basen beschädigt, die Bereitschaft und die Operationen der Streitkräfte eingeschränkt und zur weltweiten Instabilität beigetragen.“

Diese klimatisch bedingten Sicherheitsbedenken der Vereinigten Staaten werden von den meisten Ländern Europas geteilt. Im vergangenen Juni stellte die NATO einen Aktionsplan Klimawandel und Sicherheit vor, der den Klimawandel „eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit“ nannte. Darin heißt es, dieser sei ein „Bedrohungsmultiplikator“, der die Durchführung militärischer Aufgaben erschwere, staatliche Fragilität steigere, Konflikte fördere und zu Vertreibungen führen werde, also zu Bedingungen, „die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zur Bedrohung oder Herausforderung des Bündnisses missbraucht werden können“.

Die klimatisch bedingten Sicherheitsbedenken der Vereinigten Staaten werden von den meisten Ländern Europas geteilt.

Keine dieser Sicherheitsbedrohungen ist verschwunden, weil Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Im Gegenteil. Die brutale Invasion hat die systemischen Gefahren unterstrichen, die sich aus der dauerhaften globalen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ergeben. Nicht nur hat die russische Dominanz über die europäischen Öl- und Gasmärkte die Erstreaktion der EU auf den Einmarsch behindert. Auch müssen sich die USA bei ihrem Versuch, die wegfallende russische Versorgung auszugleichen, nun an andere autoritäre Regime wenden, beispielsweise in Venezuela und im Nahen Osten, wodurch die demokratische Agenda der Biden-Regierung untergraben wird.

Während Experten seit langem warnen, dass die weltweite Energiewende weg von Öl und Gas die internationale Politik auf den Kopf stellt und neue Gewinner und Verlierer hervorbringt, wurde über die systemischen Sicherheitsvorteile einer solchen Wende noch wenig gesagt. Diese positiven Nebeneffekte wurden in den letzten Wochen jedoch offensichtlich: Ein schnellerer Übergang hin zu erneuerbaren Energien würde nicht nur die schlimmsten Sicherheitsfolgen des Klimawandels verhindern, sondern auch Petro-Diktatoren wie Putin den Boden unter den Füßen wegziehen.

Die USA müssen sich bei ihrem Versuch, die wegfallende russische Versorgung auszugleichen, nun an andere autoritäre Regime wenden, beispielsweise in Venezuela und im Nahen Osten, wodurch die demokratische Agenda der Biden-Regierung untergraben wird.

Das bedeutet nicht, dass eine schnellere Einführung sauberer Energieträger nicht mit Risiken verbunden wäre. Neben den innenpolitischen Fragen, vor denen die USA und Europa hinsichtlich hoher Benzin- und Heizkosten stehen, sieht die geopolitische Realität so aus, dass die Länder, deren Wirtschaft auf der Förderung von Öl beruht, nicht kampflos aufgeben werden. Wie es in einem Bericht der Internationalen Energieagentur von 2021 heißt: „Energiepolitische Veränderungen können volatile und disharmonische Angelegenheiten sein, die durch konkurrierende Interessen und Stop-and-Go-Maßnahmen bestimmt sind.“ Und laut dem US-Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate über klimatische Sicherheitsrisiken von 2021 werden sich „die meisten Länder, die zur Haushaltsdeckung vom Export fossiler Energieträger abhängen, einem schnellen Übergang hin zu einer kohlenstofffreien Welt weiterhin widersetzen, da sie die […] entsprechenden Kosten fürchten“.

Zur Volatilität dieser Ölstaaten kommen noch die Folgen des Klimawandels selbst hinzu: In einem Bericht des russischen Umweltministeriums hieß es 2015, das Land erwärme sich durchschnittlich 2,5-mal schneller als der restliche Planet. Die USA und ihre Verbündeten registrieren die Gefahren dieser Erwärmung: Präsident Biden warnte Putin im Januar bei einer Pressekonferenz, sein eigentliches Problem sei „eine brennende Tundra, die nicht mehr auf natürliche Weise zufriert“. Schmilzt das arktische Eis, verliert Russland den natürlichen Schutz seiner nördlichen Grenze und muss dort seine Militärpräsenz stärken, was zu einem aggressiveren Verhalten Moskaus führen könnte.

Die Länder, deren Wirtschaft auf der Förderung von Öl beruht, werden nicht kampflos aufgeben.

Die bittere Wahrheit ist, dass keine dieser Entwicklungen mit der Zeit leichter zu bewältigen sein wird. Wie jeder weiß, der einmal die Entfernung eines Wundpflasters hinausgezögert hat, wird es umso schmerzhafter, je länger wir warten und je langsamer wir handeln. In den vergangenen Wochen haben die amerikanischen und die europäischen Politikerinnen und Politiker gezeigt, dass sie harte Entscheidungen treffen können, die bisher kaum vorstellbar waren: Sie haben die Nord-Stream-2-Pipeline gestoppt, ihre Öl- und Gasimporte aus Russland teilweise ausgesetzt und sich EU-weit darauf geeinigt, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Gleichzeitig entstehen kreative, mutige Ideen für den schnelleren Übergang zu sauberer Energie – wie der Vorschlag, im Rahmen des Defense Production Act in den USA tausende Wärmepumpen herzustellen, mit denen in Europa im nächsten Winter die Heizversorgung gewährleistet werden könnte.

Momente beispielloser Umwälzungen und Krisen können zu Momenten der Klarheit über die Zukunft führen – in diesem Fall zu der Erkenntnis, dass der schnellere Übergang zu erneuerbaren Energien eine sicherheitspolitische Notwendigkeit ist.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff