Seit Mitte der 2000er Jahre baut Moskau einen bis dahin vernachlässigten Pfeiler seiner Außenpolitik aus – die Beziehungen zum ostasiatischen Raum. Dahinter stehen geopolitische, wirtschaftliche und innenpolitische Interessen. Angesichts des Aufstiegs Chinas und des amerikanischen „pivot to Asia“ droht Russland in Ostasien politisch marginalisiert zu werden. Will das Land global als Großmacht bestehen, muss es in dieser Schlüsselregion stärker präsent sein und sich selbst zu einer „euro-pazifischen Macht“ entwickeln. Darüber hinaus möchte Moskau von der wirtschaftlichen Dynamik des asiatisch-pazifischen Raums profitieren. Der Ausbau der Handelsbeziehungen wiederum ist auch deshalb dringend notwendig, da die unterentwickelten östlichen Landesteile – Sibirien und der Ferne Osten – nur in Kooperation mit den ostasiatischen Staaten modernisiert werden können.

Bis zum Ausbruch der Ukraine-Krise verfolgte Moskau eine Doppelstrategie, um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Zum einen baute es weiter die „strategische Partnerschaft“ mit China aus. Zum anderen arbeitete die russische Führung aber gezielt darauf hin, ihre politischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Beziehungen in Ostasien zu diversifizieren. Angesichts der zunehmenden Machtasymmetrie im Verhältnis zu China sollte auf diese Weise der Handlungsspielraum Russland in der Region gesichert und ausgeweitet werden.

Die russische Führung legt mehr Wert auf Status statt auf Substanz. Dies zeigt sich insbesondere in seinem Umgang mit den Regionalorganisationen.

Die russische Doppelstrategie zeigte bis 2014 Erfolge. Moskau konnte seine bilateralen Beziehungen mit den meisten ostasiatischen Ländern ausweiten. Besonders enge Verbindungen entwickelte Russland mit Vietnam, mit dem es ebenfalls eine „strategische Partnerschaft“ pflegt. Hanoi und Moskau arbeiten nicht nur im Energie-, sondern auch im Rüstungsbereich zusammen. Dabei ist Russland entscheidend an der Modernisierung der vietnamesischen Marine beteiligt. Seit 2012 verbesserten sich auch die russisch-japanischen Beziehungen deutlich. So fand im April 2013 der erste Besuch eines japanischen Premierministers in Moskau seit zehn Jahren statt. Dabei einigten sich beide Seiten nicht nur, die Verhandlungen zur Kurilenfrage wieder aufzunehmen, sondern auch ein neues reguläres Gesprächsformat der Außen- und Verteidigungsminister („2+2“) einzurichten. Dies ist insofern bedeutsam, als solche Formate normalerweise nur enge Verbündete pflegen. Moskau profitiert dabei von der Sorge vieler ostasiatischer Länder vor einer Dominanz Chinas, die sie nach Gegengewichten in der Region suchen lässt.

 

Die Grenzen mangelnder Fähigkeiten

Ein weiterer Bestandteil der russischen Diversifizierungsstrategie besteht darin, in die wichtigen multilateralen Regionalorganisationen aufgenommen zu werden. Moskau war dahingehend erfolgreich, dass es 2010 dem Asia-Europe Meeting (ASEM) und 2011 dem Ostasiengipfel beitreten konnte und 2012 den APEC-Vorsitz innehatte.

Russlands Ostasienstrategie stieß aber bereits vor der Ukrainekrise an ihre Grenzen. Dies hängt mit mangelnden Fähigkeiten zusammen. Zwar konnte Moskau seinen Handel mit allen dortigen Ländern quantitativ ausweiten; zugleich ist es aufgrund ausgebliebener Strukturreformen nur wenig wettbewerbsfähig und hat außer Energie und Rüstungsgütern wenig anzubieten. Politisch besitzt Moskau zu wenig Gewicht in der Region, um einen entscheidenden Beitrag zur Lösung regionaler Konflikte (Nordkorea, Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer) leisten zu können. Zudem legt die russische Führung mehr Wert auf Status statt auf Substanz. Dies zeigt sich insbesondere in seinem Umgang mit den Regionalorganisationen. Seitdem Moskau ASEAN und dem Ostasiengipfel beigetreten ist, brachte es nur wenig Initiativen ein, sondern begnügte sich mit dem Prestigegewinn der Mitgliedschaft.

Durch die Ukraine-Krise gerät die Ostasienpolitik Russlands unter Druck. Zwar versucht die Moskauer Führung, in der Auseinandersetzung mit dem Westen die Asien-Karte ins Spiel zu bringen. So droht Putin mit den negativen Konsequenzen für die EU, wenn sich Moskau politisch und wirtschaftlich nun stärker Richtung Osten orientiere. Er verschweigt dabei, dass die Form, die der russische „pivot to Asia“ im Moment annimmt, mehr Resultat taktischer Zwänge als strategischer Entscheidung ist und die Erfolge der bisherigen Ostasienpolitik gefährdet.

 

Moskau als Juniorpartner Chinas

Denn in der Konsequenz werden die bisherigen Diversifizierungsbemühungen erschwert und Moskau droht, in politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu geraten. So kam die Annäherung an Japan bereits ins Stocken. Ein für Frühjahr 2014 geplantes Gipfeltreffen wurde auf unbestimmte Zeit verschoben und Tokio schloss sich, wenngleich zögerlich, der westlichen Sanktionspolitik gegenüber dem Kreml an. Demgegenüber wurde die Zusammenarbeit mit China deutlich ausgebaut.

Mit seiner neuen Anlehnung an China kann Russland zwar dem Westen gegenüber demonstrieren, dass es politisch nicht isoliert werden kann. Auch werden Moskau und Peking zusammen die globale Agenda stärker zu beeinflussen versuchen; beispielsweise fordern beide gemeinsam westlich-dominierte global governance Foren heraus, indem alternative Institutionen wie BRICS und G20 gefördert werden.

Die enge Anbindung an Peking droht jedoch, sich perspektivisch in eine Juniorpartnerschaft Russlands umzuwandeln. Schließlich entwickelt sich die Machtbalance zugunsten Chinas. Dies macht sich politisch und wirtschaftlich bemerkbar. Auf der globalen Ebene teilen Moskau und Peking zwar ihre Kritik an den USA; sie verfolgen jedoch unterschiedliche Ordnungskonzepte. Russlands Vorstellung einer multipolaren Welt gleichberechtigter Großmächte steht im Widerspruch zu den Ideen einer G2 zwischen China und den USA. Auch auf regionaler Ebene stehen sich russische und chinesische Interessen gegenüber. Moskaus Idee einer multipolaren Ordnung in Ostasien kollidiert mit dem chinesischen Dominanzbestreben. Zudem hatte China noch nie als „Türöffner“ für russische Ambitionen in Ostasien gewirkt. Moskau muss befürchten, dass es sich in Zukunft stärkerem chinesischen Druck ausgesetzt sehen wird, seine Beziehungen mit Japan und Vietnam einzuschränken und in Konfliktfällen – wie den Territorialstreitigkeiten – die chinesische Position zu unterstützen.

Dass sich die bilaterale Machtbalance verändert und Peking die verschlechterten russisch-westlichen Beziehungen für sich nutzen kann, lässt sich bereits jetzt nachvollziehen.

Dass sich die bilaterale Machtbalance verändert und Peking die verschlechterten russisch-westlichen Beziehungen für sich nutzen kann, lässt sich bereits jetzt nachvollziehen. So richtet Moskau seine Energiepolitik im Osten immer einseitiger auf China als Hauptkunden aus. Während Peking seine Energielieferungen zunehmend diversifiziert, geschieht auf russischer Seite in Bezug auf Ostasien genau das Gegenteil: Anstatt wie ursprünglich geplant, seine Öl- und Gasexporte auf mehrere Kunden – wie Japan, Südkorea – auszudehnen, legt sich Moskau mit den erweiterten Ölexporten und der beschlossenen Gaspipeline auf China als Hauptkunden fest. Darüber hinaus brach der Kreml mit der bisherigen Zurückhaltung, China nicht an strategisch wichtigen Investitionsprojekten – wie der Erschließung und Ausbeutung von Energieressourcen in Sibirien und dem Fernen Osten – zu beteiligen. Ebenso verhandelt Moskau nun mit Peking über die Lieferung modernster Waffensysteme, der S-400 Luftabwehrsysteme und Su-35-Kampfflugzeuge. Bisher hat Moskau China noch nie die allerneuesten Rüstungsgüter geliefert.

Auch wenn Moskau die Krise im Verhältnis zu EU und NATO kurzfristig durch seine Hinwendung nach China auffangen kann, verringert es dadurch mittel- bis langfristig sowohl seinen Handlungsspielraum gegenüber dem Westen als auch in der Region Ostasien. Anstatt zu einer euro-pazifischen Macht aufzusteigen, droht Russland zum Juniorpartner Chinas herabzusinken.