Je brüchiger der Waffenstillstand in der Ukraine wird, desto deutlicher steuern Deutschland und die USA auf einen Wendepunkt zu. In den vergangenen 18 Monaten haben Berlin und Washington nicht nur den politischen Kurs des Westens in der Ukrainekrise bestimmt, sondern dabei auch ein hohes Maß an transatlantischer Koordination aufrechterhalten. Nicht nur, weil sie gemeinsame Werte und Interessen teilen, sondern auch, weil sie die Haltung des jeweils anderen und die ihr zugrunde liegenden Überlegungen genau kennen. Bislang waren dabei kaum Anzeichen für Divergenzen zu erkennen – ungeachtet aller Bemühungen von russischer Seite, diese zu provozieren.
Im Februar bemühte sich die deutsche Kanzlerin in einer Art Pendeldiplomatie zwischen Washington, Kiew und Moskau, der russischen Offensive Einhalt zu gebieten und für die Einhaltung des Minsk-II-Abkommens zu sorgen. Deutschland richtete erhebliche politische Anstrengungen darauf, die schwache militärische Position der Ukraine und den wirtschaftlichen Druck des Westens auf Russland zu stärken, und hatte gute Aussichten, dem Konflikt Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig setzten sich die Deutschen erfolgreich gegen US-amerikanische Forderungen zur Wehr, Waffen an die Ukraine zu liefern. Doch auf beiden Fronten ist der Erfolg mittlerweile gefährdet.
Bislang ist es nicht gelungen, über das Minsk-II-Abkommen einen Weg zur Lösung des Konflikts zu ebnen. Der Waffenstillstand wird von beiden Seiten gebrochen, und es gibt kaum sichtbare Bestrebungen, die zentralen politischen Bestandteile des Abkommens umzusetzen. In den USA halten derweil Politiker, Fachleute und Medien die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine am Köcheln. Es ist, als warteten sie nur darauf, dass die Kämpfe im Donbass wieder aufflammen, damit die nächste Stufe der US-Politik umgesetzt werden kann. Bei der nächsten Offensive der Separatisten, und sei sie militärisch noch so unerheblich und erfolglos, wird aus den bereits bekannten Kreisen im Kongress und in der Fachwelt wieder die Forderung laut werden, dass die USA durch Waffenlieferungen in die Ukraine aktiv in den Konflikt eingreifen.
Der Berg ist kein Hügel
Der standhafte und hartnäckige Widerstand aus Berlin gegen eine Bewaffnung der Ukraine war für die Befürworter in Washington bisher eine unüberwindbare Hürde. Angela Merkel hat diese Position auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres unmissverständlich klar gemacht. „Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren“, sagte sie und entschuldigte sich anschließend für ihre ungeschminkten Worte.
Insofern stemmte sich Deutschland mindestens so intensiv gegen Waffenlieferungen in die Ukraine wie das Weiße Haus, das unter dem massiven Druck von Abgeordneten beider Parteien zugestanden hat, das Gesuch aus der Ukraine zumindest zu erwägen. Seit neuestem allerdings versuchen die US-Befürworter einer Bewaffnung der Ukraine, die deutsche Blockade aus dem Weg zu schaffen, indem sie hinter den Kulissen die Position Berlins schwächen. Wer die Aufgabe, einen unüberwindlichen Berg zu bezwingen, kreativ lösen will, erklärt ihn zu einem einfachen Hügel.
Seit neuestem allerdings versuchen die US-Befürworter einer Bewaffnung der Ukraine, die deutsche Blockade aus dem Weg zu schaffen, indem sie hinter den Kulissen die Position Berlins schwächen.
In der transatlantischen Allianz sind schon immer einzelne Punkte der Übersetzung zum Opfer gefallen. Doch derzeit wird die deutsche Außenpolitik in Washington fundamental fehlinterpretiert. Hinter vorgehaltener Hand, in Hintergrundgesprächen und in verschleierten öffentlichen Äußerungen hört man, Deutschland sei ja gar nicht dagegen, wenn die USA unilateral Waffen in die Ukraine schickten oder auch, Berlin würde, falls das Minsk-Abkommen erneut scheiterte, in der Frage der Waffenlieferungen aus lauter Verbitterung mehr Offenheit an den Tag legen. Dies steht in krassem Widerspruch zu der von Angela Merkel wiederholt vorgetragenen Position, die sie auch in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Obama am 9. Februar vertrat: „Eine militärische Lösung sehe ich nicht, aber wir müssen auch mit allem Nachdruck an einer diplomatischen Lösung arbeiten.“
Dass Merkel diese Ansicht offenbar kategorisch vertritt, bestätigen auch Äußerungen anderer deutscher Spitzenpolitiker. So erklärte Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch in Washington im März, Waffenlieferungen in die Ukraine könnten den Konflikt „in die nächste Phase katapultieren“ und „das Eskalationsniveau anheben“.
Diese offiziellen deutschen Stellungnahmen decken sich auf den ersten Blick mit Präsident Obamas Ablehnung von Waffenlieferungen. Doch anders als die Kanzlerin steht der Präsident im Kongress enorm unter dem Druck von Republikanern und Vertretern seiner eigenen Demokraten. Die fahren einen harten außenpolitischen Kurs haben bereits parteiübergreifend ein Gesetz verabschiedet, das Waffenlieferungen in die Ukraine zulässt. Ihre Stimmen werden lauter, ihr Einfluss stärker werden, wenn sich die Lage vor Ort zuspitzt. Deutschland wird seine Haltung zur Frage von Waffenlieferungen nicht ändern. In Berlin wächst höchstens die Enttäuschung über Kiew, das seine Seite des hart erkämpften Minsk-II-Abkommens nicht einhält. Unterdessen höhlen Befürworter von Waffenlieferungen in Washington die deutsche Position im Hintergrund kontinuierlich aus, um Raum für eine erneute Diskussion zu schaffen.
Die Gefahr von Missverständnissen
Diese Manöver haben zur Folge, dass die USA und Deutschland nun ernsthaft Gefahr laufen, die bislang eng koordinierte gemeinsame Position durch beiderseitige Missverständnisse aufzuweichen. Selbst wenn das Weiße Haus zu Waffenlieferungen in die Ukraine bereit wäre, so wäre das sicherlich nicht das Risiko wert, sich ausgerechnet mit dem europäischen Verbündeten zu überwerfen, der in dieser Frage den Rest Europas federführend zusammenhält. Waffenlieferungen könnten die bereits wacklige Koalition der europäischen Staaten, die Strafsanktionen gegen Moskau beschlossen haben, vollends zerstören. Österreich, Ungarn, die Tschechische Republik und Italien würden die Sanktionen bei der erstbesten Gelegenheit liebend gern aufheben. Ohne den Druck von deutscher Seite hätten andere Länder wie Griechenland schon längst für ein Aussetzen der Sanktionen gestimmt. Die Bewaffnung der Ukraine als nächste Stufe der westlichen Politik könnte die Bruchstelle der europäischen und transatlantischen Einheit markieren, die Russland sich wünscht. Die realen Kosten der Sanktionen würden durch die hypothetische Möglichkeit ersetzt, dass das ukrainische Militär besser imstande wäre, gegen russische Truppen und ihre separatistischen Verbündeten vorzugehen.
Einige Amerikaner begreifen offenbar nicht, welche Logik der deutschen Haltung zugrunde liegt – eine Logik, die Deutschland zu einem resoluten diplomatischen Vermittler und zu einer Stütze der europäischen und transatlantischen Mission in der Ukraine-Krise hat werden lassen. Die Deutschen werden ihren Kurs nicht ändern, weil die derzeitige Führung die Teilung in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs und die friedliche Wiedervereinigung nach 1989 erlebt hat. Angela Merkel sagte in diesem Jahr, sie sei unter Bedingungen aufgewachsen, unter denen niemand auch nur im Traum an die deutsche Einheit geglaubt habe. Aufgrund dieses Erbes haben die Deutschen eine erheblich größere strategische Geduld, als Amerikaner es gewöhnt sind. Die katastrophale Zerstörung, die Europa im Zweiten Weltkrieg erlebte und die in die deutsche Teilung mündete, ist eine ständige Mahnung daran, was möglicherweise auf dem Spiel steht. Selbst wenn Minsk II scheitert, wird Deutschland Waffenlieferungen an die Ukraine als politische Reaktion des Westens wohl nicht akzeptieren. Zwar bilden die Deutschen und die Amerikaner eine klare und vereinte Front gegen Wladimir Putin, doch die größte Gefahr könnte darin liegen, dass sie nicht klar miteinander kommunizieren.
8 Leserbriefe
Nur, wie stellt man sich das Ende vor? Wie soll man mit tausenden Separatisten umgehen, wenn Kiew den Konflikt doch gewinnt? Es gibt nicht genug Gefängnisse für alle Abtrünnigen. Vertreiben? Deportieren? Für Kiew sind diese Leute "Terroristen" und Staatsfeinde... wie will Kiew Menschen, die bereit waren im Kampf gegen die Regierung zu sterben, je wieder integrieren? Vertrauen wird Kiew den besiegten Männern nicht!
In der Ukraine haben tausende "Separatisten" keine Zukunft mehr, ihr Leben steht und fällt mit den "Volksrepubliken"! Hat das mal jemand bedacht?
Jede gelieferte Waffe wird den Konflikt nur verschärfen und gefährdet den Rest der Ukraine erheblich! Es ist in im Interesse der Ukrainer, dass keine Waffen geliefert werden und die Regierung den Osten des Landes aufgibt! Denn wie viele Tote ist die "Einheit" eines Landes wert, in dem sich die Menschen ohne Zögern gegenseitig ermorden? Der Bürgerkrieg ist die vollzogene Teilung!
Zwei Nationen gegen eine Einzelperson. Der publizistische Irrsinn geht also weiter.
Bei Waffenlieferungen an die Ukraine wären die Folgen für Europa nicht abzusehen. Frau Merkel kann dem also gar nicht zustimmen. Mit ihrer harten Haltung Russland gegenüber und der blinden Unterstützung der Kiewer Regierung, sowie ihrer untertänigen Haltung den USA gegenüber hat sie Europa sowieso keinen Gefallen getan. Die Amerikaner verfolgen eigene Interessen, notfalls eben auch ohne Frau Merkel.
Die rücksichtslose US Aussenpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat gezeigt, es geht einzig und allein um die Interessen Amerikas. Die durchzusetzen, ist jedes Mittel recht. Notfalls eben auch mit Waffengewalt.