Blauhelmeinsätze im Globalen Süden stehen unter Druck: Vorübergehend ausgesetzte Überflugrechte für MINUSMA in Mali, Straßenproteste gegen MONUSCO im Ost-Kongo, dazu der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der den politischen Willen in Europa, sich an Auslandseinsätzen außerhalb Europas zu beteiligen, verkleinern dürfte, zumal es russische Söldner verstehen, gezielt und mit geringem Einsatz westliche Truppensteller zu verunsichern. Während der Einsatz in der malischen Wüste durch die verschärfte Sicherheitslage in diesem Jahr zusätzliche Ressourcen bindet, werden militärische „Hochwertfähigkeiten“ inzwischen auch an der Ostflanke der NATO erwartet. Regierungsvertreter in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik, deren Länder von einer Stabilisierung der Missionen eigentlich profitieren, verstehen es durch populistische Kritik am westlichen Engagement und durch verstärkte Zusammenarbeit mit Russland, sowohl ihre umstrittene innenpolitische Legitimität als auch ihre außenpolitischen Optionen gleichzeitig zu vergrößern. In Europa sind zudem vielen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern die Bilder des chaotischen Abzugs aus Kabul nach wie vor präsent vor Augen, wo zwar niemals Blauhelme waren, man aber viele der ehrgeizigen Ziele von internationalem Engagement offensichtlich nicht erreichen konnte.

Dabei ist die globale Bilanz der von den Vereinten Nationen (VN) mandatierten Friedensmissionen besser als bekannt: Blauhelme schützen Leben und schaffen jenen politischen Raum, der für den Erhalt von oftmals fragilem Frieden wichtig ist. Die Zivilbevölkerung wird im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo und auch in Mali von Blauhelmen beschützt; humanitäre Hilfe wird durch die Absicherung überhaupt erst möglich und die Friedenseinsätze unterstützen die Umsetzung von Friedensabkommen. Dort, wo Blauhelme aktiv sind, wird ihr Beitrag auch in der Bevölkerung gewürdigt. Umfragedaten aus dem „Mali-Mètre“ der Friedrich-Ebert-Stiftung veranschaulichen z.B. deutlich, dass MINUSMA für ihren humanitären Einsatz von Mehrheiten in der Bevölkerung Zentralmalis anerkannt wird. Auch wenn die humanitäre und Sicherheitssituation in jenen Einsatzgebieten derzeit nicht besser wird, sähe es ohne Blauhelmpräsenz wohl noch schlechter aus. Dieses kontrafaktische Argument geht oft unter, wenn in Deutschland über Friedensmissionen diskutiert wird.

In einer multipolaren Welt kommt auf Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union mehr Verantwortung zu.

Trotz dieser Bilanz müssen sich von den VN mandatierte Friedenseinsätze in einer multipolaren Weltordnung einer neuen Realität anpassen. Der politische Wille in truppenstellenden Staaten des Globalen Nordens und die zur Verfügung stehenden militärischen und personellen Kapazitäten für große Stabilisierungsmissionen im Globalen Süden nehmen wohl absehbar ab. Das ist zu beklagen, aber darauf zu hoffen, dass sich das schnell ändert, wäre fahrlässige Politik gegenüber Regionen, deren humanitäre Sicherheit von Friedensmissionen abhängen. Umso wichtiger ist es, frühzeitig darüber nachzudenken, wie man Friedensmissionen mittel- und langfristig auch ohne eigene Truppen besser unterstützen kann. Es ist schon jetzt wahrscheinlich, dass in einer multipolaren Welt mehr Verantwortung auf Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union (AU) zukommt. Eine solche regionale Verantwortungsübernahme erfordert aber multilaterale Solidarität, auch bei der finanziellen Unterstützung von Friedensmissionen, wenn man absehbar selbst nicht mehr mit eigenen Truppen vor Ort sein will.

Mali ist für die Notwendigkeit dieser Diskussion ein gutes Beispiel. Die kritischen Nachfragen zu Deutschlands größtem Auslandseinsatz nehmen zu, auch weil die dortige Regierung immer wieder Signale sendet, man sei eigentlich nicht willkommen. Andere westliche Truppensteller sind bereits abgezogen oder wollen dies demnächst tun. Derweil verschlechtert sich die Sicherheits- und die humanitäre Situation für die Zivilbevölkerung aufgrund von Geländegewinnen von bewaffneten Gruppen. Deutschland schafft jedoch mit seinem Einsatz in MINUSMA weiterhin Voraussetzungen für die Auslieferung humanitärer Hilfe, unterstützt einen politischen Übergang und schützt Zivilsten. Gleichzeitig leistet man durch die Beteiligung an MINUSMA einen grundsätzlichen Beitrag für die Stärkung der VN und übernimmt in einer für Europa auch geopolitisch wichtigen Region internationale Verantwortung. All dies geht aber in der Debatte oft unter. Was der Debatte bisher fehlt, ist eine Perspektive, wie es stattdessen in Mali weitergehen könnte. Es fehlt an einer mittelfristigen Exit-Strategie, die eine sich verschlechternde humanitäre- und Sicherheitssituation nicht einfach hinnimmt.

Der Debatte fehlt eine Perspektive, wie es stattdessen in Mali weitergehen könnte.

Solange es funktionierende Arbeitsbeziehungen mit der malischen Militär-Regierung und einen klaren politischen Übergangsplan gibt, sollte man die deutsche Beteiligung an MINUSMA fortsetzen, diese aber mit einer realistischeren politischen Zielvereinbarung ergänzen. Hierfür gilt es, gegenüber der malischen Gastregierung klar kommunizierte politische Meilensteine zu entwickeln, die ein weiteres deutsches Engagement erlauben oder eben bei Nichterfüllung einen geregelten Abzug erfordern. Zu solchen Meilensteinen auf dem Weg zu einer friedlichen Ablösung der Junta könnten innenpolitische Reformen – etwa eine neue Verfassung, das Angebot inklusiver Dialogprozesse (übrigens auch an bewaffnete aber dialogbereiter Akteure) – und die Öffnung von politischen Spielräumen für zivile Akteure gehören. Auch die für 2024 geplanten Wahlen gehören dazu, aber reichen alleine nicht aus. Ungehinderte Truppenrotationen, ein weiterhin zugänglicher und nicht von russischen Kräften kontrollierter Flughafen in Gao und verlässliche Überflugrechte – Elemente, die den Schutz der MINUSMA garantieren – wären notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für eine Fortsetzung des deutschen Engagements in MINUSMA. Parallel sollte man jedoch auch in Berlin und Brüssel eine mittelfristige Unterstützungs-Perspektive für eine Friedensmission in Mali auch ohne deutsche und andere europäische Soldatinnen und Soldaten entwickeln, die dafür sorgt, dass große Landesteile nicht einfach bewaffneten Gruppen überlassen werden, die sich z.B. dem Islamischen Staat angeschlossen haben.

Angesichts zunehmender Fragezeichen zur Zukunft von MINUSMA schlug VN-Generalsekretär Antonio Guterres zuletzt vor, eine von der AU geführte Nachfolgemission für Mali ins Leben zu rufen. Dies ist möglicherweise auch eine Reaktion gegenüber einer malischen Regierung, die es immer wieder versteht, die Mission als „neokolonial“ darzustellen, obwohl zwei Drittel der Truppensteller von MINUSMA aus afrikanischen Ländern bestehen. Obwohl sie falsch ist, kostet die Erzählung einer westlichen Dominanz in MINUSMA die Mission wichtige Glaubwürdigkeit in der malischen Bevölkerung.

Die falsche Erzählung einer westlichen Dominanz in MINUSMA kostet die Mission wichtige Glaubwürdigkeit in der malischen Bevölkerung.

Guterres hat seinen Vorschlag für Mali aber nicht weiter konkretisiert. Zwei Beispiele für AU-Missionen sind die zuletzt beendete Hybrid-Mission UNAMID, die in Sudans Darfur-Region bis 2020 im Einsatz war, und die von der AU seit 2007 angeführte Mission AMISOM (inzwischen ATMIS) in Somalia. Spricht man mit Personen, die mit beiden Missionen zu tun hatten, hört man zunächst viel Frust und Reformbedarf. Vor allem die unkoordinierte Einbindung der Nachbarstaaten mit starken eigenen Interessen in AMISOM gelten als problematisch. Auch die mangelhaft abgesicherte Finanzierung von AMISOM und ein Zuviel an Bürokratie zwischen AU und VN bei UNAMID sind bzw. waren Probleme. Trotz aller Probleme ist aber auch klar, dass zukünftig Missionen mit schlankerem Mandat und stärkerer regionaler Beteiligung eher an Bedeutung gewinnen, wenn der politische Wille für stabilisierende Großmissionen mit umfassenden Mandaten perspektivisch abnimmt.

Insgesamt können von der AU (ko-)koordinierte Missionen nur dann erfolgreich sein, wenn sie in Prozesse regionaler Diplomatie sowie politischer Vertrauensbildung zwischen Regierung, Zivilbevölkerung und dialogbereiten bewaffneten Gruppen im Einsatzland eingebunden sind. Zudem hängt der Erfolg davon ab, inwieweit Friedensmissionen die staatliche Grundversorgung der betroffenen Bevölkerung unterstützen und nicht zuletzt eine planbare Finanzierungsperspektive haben. Bisher ist unklar, ob die AU zu einem militärischen Engagement in Mali überhaupt bereit und in der Lage wäre. Dies wäre wohl nur dann der Fall, wenn es umfangreiche und langfristig planbare finanzielle Unterstützung aus dem Globalen Norden gäbe. Weitere Bedingung wäre eine transparente Abstimmung mit der malischen Regierung, eine klare Rollenverteilung zwischen nationaler Armee und AU-Mission, und dass die AU sich nicht alleine auf Truppen aus Nachbarstaaten mit derzeit angespannten Beziehungen zur Junta verlässt, sondern auf Truppensteller aus ganz Afrika. Voraussetzung für eine Unterstützung einer solchen Mission aus Europa wäre zudem ein klare Verankerung des Menschenrechtsschutzes im Mandat und eine Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Stimmen.

Die Erfüllung dieser Bedingungen vorausgesetzt, wäre es vorstellbar, dass eine AU-Mission damit beauftragt wird, die malische Hauptstadt und regionale Zentren abzusichern, und zudem auch mit der malischen Armee gegen jihadistische Gruppen in Zentralmali vorzugehen, die nicht dialogbereit sind und die Zivilbevölkerung terrorisieren. Diese robuste Komponente würde auch den Anreiz einer Zusammenarbeit der malischen Regierung mit Russland verringern, die bisher die Zivilbevölkerung eher bedroht als schützt. Gleichzeitig müsste eine solche neue Mission weiterhin humanitäre Hilfe ermöglichen und Freiräume für Vertrauensbildung schaffen, die politische Lösungen der verschachtelten lokalen und nationalen Konflikte in Mali wahrscheinlicher machen. Sie müsste flankiert werden von einer in der Region abgestimmten Diplomatie, weil gewaltbereite Akteure in der Sahel-Region Grenzen überqueren. Eine solche politische Einbettung in die AU fehlte bisherigen Anti-Terrormissionen im Sahel. Sie hofften, allein durch das Töten von Terroristen-Anführern Frieden zu ermöglichen – eine Fehlkalkulation.

Europa trägt Verantwortung für eine Region, die von der Klimakrise maximal bedroht ist und wo eine humanitäre Krise durch eine sich verschlechternde Sicherheitslage verschärft wird.

Eine neue AU-Mission könnte zunächst parallel zu MINUSMA in Mali aktiv werden, die weiterhin wichtige Aufgaben für die politische Transition und die Absicherung des Friedensabkommens von Algier mit bewaffneten Akteuren in Nordmali übernimmt. Graduell könnte ein solche Mission Verantwortung von MINUSMA übernehmen, wenn sie auch die logistischen Fähigkeiten dafür zur Verfügung gestellt bekommt. Für Deutschland und die EU wären die finanzielle und logistische Unterstützung einer solchen AU-Mission zudem kostengünstiger als ein Engagement mit eigenen Truppen, so dass freiwerdende Mittel in die Unterstützung regionaler Diplomatie, integrierte Entwicklungszusammenarbeit, Krisenprävention und humanitäre Hilfe investiert werden könnten, nicht zuletzt in die Stärkung der AU.

Eine Nachfolgemission in afrikanischer Hand würde jedenfalls weiteres aktives politisches Engagement der deutschen Bundesregierung in Mali erfordern. Dieses Engagement in der Sahel-Region macht aus entwicklungs- und außenpolitischer Perspektive Sinn, nicht allein schon deshalb, weil inzwischen auch russische Akteure hier aktiver werden. Einerseits bleibt die Sahel-Region geostrategisch wichtig, weil in unmittelbarer Nähe zu Europa ein staatliches Vakuum droht, das zunehmend von gewaltbereiten Akteuren kontrolliert wird, deren Aktivitäten sich auch auf die westafrikanischen Küstenstaaten ausdehnen. Vor allem aber trägt Europa Verantwortung für eine Region, die von der Klimakrise maximal bedroht ist und wo eine humanitäre Krise durch eine sich verschlechternde Sicherheitslage verschärft wird.