Die Friedensmission, zu der im Juni 2023 mehrere afrikanische Staatschefs in die Ukraine und nach Russland reisten, war Anzeichen für einen Strategiewechsel in Afrika: Der Kontinent übernahm eine proaktivere Rolle und meldete sich im Namen all derer zu Wort, die in den laufenden Konflikt nicht unmittelbar involviert sind und seine Auswirkungen dennoch massiv zu spüren bekommen. Zur Delegation gehörten Staatschefs und andere hochrangige Vertreter von sieben Ländern – Komoren, Republik Kongo, Ägypten, Senegal, Uganda, Sambia und Südafrika. Bedeutsam war auch, dass die Afrikanische Union in Person ihres amtierenden Vorsitzenden Azali Assoumani, dem Präsidenten der Komoren, und seines Vorgängers Macky Sall, dem Präsidenten Senegals, in der Delegation vertreten war. Im Rahmen ihrer Friedensbemühungen legte die Delegation aus Afrika einen Zehn-Punkte-Plan vor, der schon vorhandene Vorschläge aufgriff und so austariert wurde, dass er bei unterschiedlichen Beteiligten Anklang finden sollte.
Im Westen wurde dieser Vorstoß leider nicht so ernst genommen, wie er es verdient gehabt hätte. Dabei betonen westliche Spitzenpolitiker immer wieder, wie wichtig es ist, mit Akteuren aus dem Globalen Süden auf Augenhöhe zu kommunizieren. Unterdessen eskaliert der Konflikt weiter und bringt nicht nur für die Ukraine und Russland, sondern auch für Europa und die Vereinigten Staaten schwere Belastungen mit sich. Der Westen sollte beizeiten anfangen, afrikanische Friedensbemühungen ernster zu nehmen, wenn sie die Chance eröffnen, eine weitere Eskalationsspirale mit all ihren Folgen abzuwenden.
Im Westen wurde dieser Vorstoß leider nicht so ernst genommen, wie er es verdient gehabt hätte.
Eines unterscheidet die afrikanische Friedensinitiative von den diversen anderen Vorstößen, die parallel unternommen werden: Die Staatschefs aus Afrika hatten die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit sowohl mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als auch mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Damit kommt der Aktion nicht nur als konkreter Einzelinitiative, sondern auch als Format auch weit über den Tag hinaus eine wichtige Rolle in der sich herausbildenden Architektur der Friedensinitiativen im Ukraine-Krieg zu.
Die ersten Reaktionen mancher westlicher Vertreter wurden in Afrika als Ausdruck eben jener Überheblichkeit empfunden, die dazu führen könnte, dass der Konflikt erstens noch weiter eskaliert und dass zweitens der Westen seine Bedeutung und seinen Einfluss im Globalen Süden auf lange Sicht einbüßen wird. Als der US-Botschafter in Südafrika dem Land vorwarf, es beliefere Russland mit Waffen, stieß er bei Fachleuten und bei der südafrikanischen Bevölkerung auf heftigen Widerspruch, in dem sich eine tiefe Enttäuschung über die USA und ihre europäischen Verbündeten artikuliert. Trotz der erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen und des Imageschadens durch die inzwischen entkräfteten Vorwürfe reichte aus südafrikanischer Sicht die Entschuldigung seitens der US-Botschaft in Pretoria nicht aus, um den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Dass Südafrika und andere Länder, die im Ukraine-Konflikt nicht für eine Seite Partei ergreifen, andauernd unter Druck gesetzt und beschuldigt werden, zeigt im Grunde die Unfähigkeit des Westens, sich mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine auf Standpunkte einzulassen, die nicht exakt der eigenen Linie folgen. An dieser Blindheit muss sich etwas ändern, wenn die sich gerade vollziehende multipolare Neuordnung ihr Ziel erreichen und in eine stabilere globale Ordnung münden soll, die die Erfahrungen und Standpunkte der verschiedenen Weltregionen – von denen viele zum Globalen Süden zählen – aufnimmt und für sich nutzt.
Eines der zentralen Themen in den Gesprächen mit der Ukraine und mit Russland waren die fortwirkenden Folgen des Konflikts vor allem für die Lebensmittelversorgung und die Energiesicherheit. Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank fehlen auf dem Kontinent wegen des Krieges rund 30 Millionen Tonnen Getreide.
Sowohl die Ukraine als auch Russland haben nach wie vor ein Interesse daran, ihre Beziehungen zu Afrika zu intensivieren.
Sowohl die Ukraine als auch Russland haben nach wie vor ein Interesse daran, ihre Beziehungen zu Afrika zu intensivieren. Dies könnte für sie ein Grund sein, sich mit der afrikanischen Friedensinitiative näher auseinanderzusetzen. Die Ukraine ist auf dem Kontinent diplomatisch nach wie vor wenig präsent und erkennt womöglich: Wenn sie sich stärker auf Afrika einlässt, böte sich dadurch vielleicht eine ideale Gelegenheit, ihren Standpunkt den afrikanischen Staats- und Regierungschefs wirkungsvoller zu vermitteln. Russland arbeitet schon seit Jahren aktiv an der Intensivierung seiner Beziehungen zu Afrika. Der zweite Russland-Afrika-Gipfel im Juli lieferte in diesem Zusammenhang interessante Ergebnisse. Insbesondere war es Moskau wichtig, eine Alternative zum Schwarzmeer-Getreideabkommen anzubieten, die auf wirtschaftliche und andere Maßnahmen setzt. Zudem will Russland das Handelsvolumen mit Afrika von 18 MilliardenUS-Dollar im Jahr 2022 auf 60 Milliarden Dollar im Jahr 2026 steigern.
Es wäre also weder den ukrainischen noch den russischen Interessen dienlich, die afrikanischen Friedensbemühungen geringschätzig abzutun. Dies wird auch so bleiben, denn beide Länder wollen ihren afrikanischen Gesprächspartnern die eigenen Argumente vermitteln. Ukrainische Vertreter verweisen in ihren Appellen an die Weltöffentlichkeit häufig auf die Folgen der Raketenangriffe für die Lebensmittelsicherheit in Afrika und anderen Regionen des Globalen Südens. Russland begründet seine Aufkündigung des Schwarzmeer-Getreideabkommens unter anderem damit, dass ein großer Teil des über ukrainische Häfen verschifften Getreides nicht für die bedürftigsten Länder des Globalen Südens, sondern für reiche Länder bestimmt sei, und äußert seinen Unmut darüber, dass auf Russland bezogene Teile des Abkommens nicht umgesetzt würden.
Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs sollten Russland und die Ukraine weiterhin in die Pflicht nehmen.
Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs sollten Russland und die Ukraine weiterhin in die Pflicht nehmen. Zudem würde es sich für sie auszahlen, wenn sie ihren Aktionsradius erweitern und mit EU-Ländern, mit China, Indien, Brasilien, den USA, mit NATO-Mitgliedern und Amtskollegen in anderen Regionen des Globalen Südens ins Gespräch kommen, um eine breitere Konsensgrundlage für den Dialog herzustellen. Vor dem Hintergrund, dass der Konflikt weitere Kreise zieht und nicht nur Russland und die Ukraine, sondern auch wichtige Mitgliedstaaten der EU und der NATO involviert sind, wäre dies im Interesse Afrikas, das in der UN-Generalversammlung den größten Stimmblock stellt. Außerdem sollte Afrikas Friedensvorstoß der internationalen Staatengemeinschaft die Botschaft vermitteln, dass entwicklungspolitische Zusagen und das Bekenntnis zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) weiterhin Priorität haben sollten und dass Entwicklungsbudgets nicht umgelenkt werden dürfen, um eng gefasste militärische Ziele zu erreichen.
Südafrika ist nicht nur Gastgeber des BRICS-Gipfels, sondern auch des AGOA-Forums (African Growth and Opportunity Act) mit den USA und afrikanischen Partnern sowie eines Treffens mit der Europäischen Union, das gegen Ende des Jahres stattfinden soll. Diese Zusammenkünfte sollte Südafrika, für das die Handels- und Investitionsbeziehungen stark im Vordergrund stehen, auch dafür nutzen, um den Boden für mögliche Folgeprozesse mit den Mitwirkenden der afrikanischen Friedensinitiativen zu bereiten und die unterschiedlichen Standpunkte der USA und der EU festzuklopfen, um den Konflikt in der Ukraine zu beenden.
Da die Ukraine und Russland weiterhin bestrebt sind, ihre Beziehungen zu Afrika zu vertiefen, bleiben Kiew und Moskau womöglich offen für den weiteren Dialog mit ihren afrikanischen Gesprächspartnern. Deren Friedensinitiative wird sich letztlich vielleicht nicht als der entscheidende Verhandlungsprozess erweisen, der Fragen wie die nach der Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur lösen wird. Aber rückblickend wird man vielleicht feststellen, dass er eine wichtige Rolle gespielt hat, um das Augenmerk der Welt statt auf weitere militärische Eskalation auf den Dialog zu lenken.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld