Wer sich vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Israel und der Hamas und im Angesicht der humanitären Katastrophe in Gaza zwischen unterschiedlichen Realitäten und ihren Diskursen bewegt, bleibt oft sprachlos zurück. In Deutschland rückten Politik und Medien die Sicherheit und das Selbstverteidigungsrecht Israels nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ins Zentrum der Debatte. Gleichzeitig wächst in der arabischsprachigen Welt und darüber hinaus die Wut und die Trauer angesichts des schier unfassbaren Leids, das die israelische Armee derzeit in Gaza anrichtet. 

Das Einzige, was diese beiden unterschiedlichen Positionen vereint, ist das Fehlen jeglicher Empathie für die jeweils andere Seite. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Realitäten und Wahrnehmungen, der Israelis, wie auch der Palästinenser, muss erkannt und ausgehalten, und darf nicht a priori delegitimiert werden.

Dabei helfen könnten die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarte feministische Außenpolitik und die feministische Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die nicht nur Handlungsanweisungen, sondern auch eine Sprache bereithalten, die unterschiedslos für alle außenpolitischen Krisen gelten sollte und der wir uns bedienen könnten, um auf den Krieg im Gazastreifen zu reagieren.

Doch an welcher Stelle wurden diese Leitlinien seit dem 7. Oktober angewandt? Sicher nicht, als die deutsche Zusammenarbeit in den palästinensischen Gebieten und mit der dortigen Zivilgesellschaft automatisch unter Terrorverdacht und damit auf den Prüfstand gestellt wurde. Wie feministisch war es, in einem zweiten (weitaus weniger hörbaren) Atemzug nachzuschieben, dass die Unterstützung von Frauen und Kindern prioritär sei und daher schnell überprüft werde?

Sie galten auch nicht, als Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in der EU geradezu reflexhaft, aber wenig feministisch, gegen einen humanitären Waffenstillstand in Gaza stimmte, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, das Selbstverteidigungsrecht Israels, das davon nicht betroffen wäre, in Frage zu stellen.

Dabei gilt das Ruhen von Waffen zur Ermöglichung humanitärer Hilfe als einer der Grundsätze feministischer Außenpolitik.

Dabei gilt das Ruhen von Waffen zur Ermöglichung humanitärer Hilfe als einer der Grundsätze feministischer Außenpolitik. Und so löste das Abstimmungsverhalten Deutschlands bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen bei denjenigen im Globalen Süden, die die Entwicklung der feministischen Außenpolitik der Bundesregierung und ihrer Leitlinien einst enthusiastisch verfolgt hatten, ungläubiges Kopfschütteln und Empörung aus. Zumal auch sämtliche internationale Organisationen und die UN schon früh einen humanitären Waffenstillstand gefordert haben, darunter auch UN Women mit einem besonderen Fokus auf Frauen und Kindern. Jetzt für Feuerpausen einzutreten, kommt verspätet und wird nicht helfen, das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit an deutscher feministischer Politik zu erhalten.

Wie sähe ein feministischer Umgang mit dem Nahost-Konflikt dagegen aus, welche Möglichkeiten hätte die Bundesregierung, sich durch ihre bedingungslose Solidarität mit Israel nicht vollends international ins Abseits zu stellen, sondern entlang der selbst auferlegten Werte einen gerechten und wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten?

Herzstück feministischer Außen- und Entwicklungspolitik ist ihr menschenrechtsbasierter Ansatz mit der Grundüberzeugung, dass alle Menschen inhärente Rechte und Würde besitzen. Internationales und humanitäres Recht muss für alle gelten. Definitionen, wer als Zivilistin und wer als Kombattant gilt, dürfen nicht aufgeweicht und ganze Bevölkerungsgruppen dürfen nicht kollektiv bestraft werden.

Wenn der Zugang zu Strom, Wasser, Benzin und Medizin eingeschränkt oder komplett blockiert ist, wie es seit Beginn des Krieges in Gaza passiert, müssten Vertreterinnen und Vertreter feministischer Außen- und Entwicklungspolitik aufschreien. Denn somit sind auch die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und anderen Minderheiten eingeschränkt, wenn nicht gar verwehrt. 15 Prozent der schwangeren Frauen in Gaza werden Komplikationen bei den Geburten erleiden, das Leben vieler Neugeborener ist gefährdet. Wenn feministische Politik für die Rechte von Frauen und anderen Marginalisierten eintreten will, dann muss sie dies konsequent und konsistent tun. Aber während Expertinnen und Experten, darunter auch feministische, warnen, dass internationales Recht gerade durch die israelische Regierung ausgehebelt wird, halten sich deutsche Vertreterinnen und Vertreter von vermeintlich feministischer Politik bislang bedeckt.

Den Hamas-Terror als antikolonialen Widerstand zu framen, ist fatal und komplett irreführend.

Sie sollten sich außerdem an den simplen wie einleuchtenden Grundsatz erinnern, dass feministische Außenpolitik politische statt militärische Lösungen fördern sollte. Ihr erklärtes Ziel ist die Förderung der Repräsentation von Frauen – in Konfliktsituationen geht es hier vor allem um die Beteiligung von Frauen und marginalisierten Gruppen an Friedensverhandlungen. Wenn aber niemand nach einer politischen Lösung sucht, stellt sich auch die Frage nach der Beteiligung von Frauen an dieser erst gar nicht.

Das Verhalten und die Rhetorik deutscher Politik macht dagegen vielmehr den Eindruck, dass der militärischen Supermacht Israel in ihrem Kampf gegen die Terrororganisation Hamas nach den Gräueltaten vom 7. Oktober freie Hand gelassen wird. Das ist alles andere als deeskalierend, sondern begünstigt die Durchsetzung militärischer Macht.

Apropos Macht: Feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit haben gemeinsam, dass das Hinterfragen von Machtstrukturen ihre theoretische Grundlage bildet. Das würde bedeuten, die Gewaltdynamik im Nahen Osten zu kontextualisieren und anzuerkennen, dass der Konflikt nicht erst am 7. Oktober begonnen hat. Das heißt explizit nicht, den Massenmord an und die Entführung von Zivilistinnen und Zivilisten zu rechtfertigen oder kleinzureden. Um wirklich dauerhaft für die Sicherheit Israels, der viel beschworenen Staatsräson Deutschlands, zu sorgen, müssen die Ursachen der Gewalt angegangen werden – eine Kontextualisierung ist dafür essentiell und stünde im Einklang mit den feministischen Ansätzen, derer sich das Auswärtige Amt und das BMZ verschrieben haben.

Ein großer Streitpunkt ist derzeit der mit Machtfragen verbundene postkoloniale Ansatz. Das BMZ hat postkoloniale und antirassistische Entwicklungspolitik in seine Strategie aufgenommen. Den Hamas-Terror als antikolonialen Widerstand zu framen, ist fatal und komplett irreführend. Es widerspricht jeglichem humanistischen Ansatz, das Verletzen, Entführen und Töten von Zivilisten mit Widerstand zu rechtfertigen. Jeglichen postkolonialen Diskurs allerdings unter Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, wie kürzlich durch Habecks „Rede an die Nation“ geschehen, erlaubt jedoch keinen produktiven Austausch.

Schon vor dem jetzigen Krieg wurden die feministischen Strategien in der internationalen Politik kritisch beäugt.

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik muss eine Debatte ermöglichen, die die strukturelle Asymmetrie der Machtverteilung zwischen einer militärischen Supermacht und einer zunehmend fragmentierten und entrechteten Gesellschaft benennt. Feministische Organisationen aus dem Globalen Süden, gemeinsam mit Geberorganisationen, zeigen, wie es gehen kann, jahrzehntelange Vertreibung, Besatzung und Belagerung als Gewaltursache anzusprechen und sich gleichzeitig mit allen zivilen Opfern dieses Konflikts sowie den Opfern von zunehmenden Hasskampagnen zu solidarisieren.

Ein weiteres Kernziel feministischer Außenpolitik ist die Bekämpfung sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten. Dementsprechend müssen belegte Taten der Hamas als Verstoß gegen internationales humanitäres Recht verurteilt werden.

Vorsicht ist angebracht, wenn eine ausschließliche Viktimisierung von Frauen, die ihnen ihre Handlungsfähigkeit abspricht, dazu führt, dass Kriege begründet werden mit dem vermeintlich feministischen Ziel, Frauen, Kinder und Minderheiten zu schützen. Dieser sogenannte „Securo-feminism“ macht sich auch in der Rhetorik zum Gazakrieg bemerkbar, wenn Vergewaltigungsvorwürfe ungeprüft für das Verteidigungsrecht herangezogen werden oder ein israelischer Soldat mit einer Regenbogenflagge auf Ruinen in Gaza verkündet, er handle „im Namen der Liebe“. Zugespitzt könnte man von „empowerment through bombing“ sprechen. Wenn Frauen und LGBTIQ erst befreit und ermächtigt werden können, wenn die patriarchalen Regime, in deren Schlingen sie sich befinden, militärisch plattgemacht wurden – und sie selber gleich mit –, hat das wenig mit den feministischen Grundsätzen von Frieden, menschlicher Sicherheit und Gewaltfreiheit zu tun.

Schon vor dem jetzigen Krieg wurden die feministischen Strategien in der internationalen Politik kritisch beäugt und dahingehend geprüft, inwieweit sie Machtstrukturen tatsächlich ändern können, wo diese doch so sehr in historisch gewachsene Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und Süden eingebettet sind. Angesichts der jetzigen humanitären Katastrophe in Gaza verliert Deutschland massiv an Glaubwürdigkeit im Globalen Süden und ganz besonders bei progressiven sowie feministischen Akteurinnen und Akteuren sowie Bewegungen, die wertvolle Partner für die Umsetzung deutscher Außen- und Entwicklungspolitik hätten sein können.

Feministische Ansätze bieten die Sprache, die vielen derzeit fehlt, um angemessen auf die humanitäre Katastrophe in Gaza zu reagieren.

Feministische Entwicklungs- und Außenpolitik muss den Hamas-Terror verurteilen, darf aber nicht alle Palästinenserinnen und Palästinenser als vermeintliche Terroristen kollektiv bestrafen. Gleichzeitig muss Israel als sicherer Staat für Jüdinnen und Juden geschützt werden, und gerade deshalb muss erkannt werden, dass die derzeitige Reaktion des Flächenbombardements Gazas nicht zu dieser Sicherheit beiträgt, sondern viel wahrscheinlicher gleich die nächste Welle von Hass und Gewalt erzeugt.

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik sollte progressive Stimmen auf beiden Seiten fördern und Räume für diese schaffen. Was klar ist: Weder Antisemitismus im Namen eines vermeintlich antikolonialen Widerstandes noch islamophober und antiarabischer Rassismus im Namen sogenannter unbedingter Israelsolidarität haben in diesen Räumen einen Platz. Aber feministische Außen- und Entwicklungspolitik darf nicht in die Falle tappen, das eine wichtiger als das andere zu nehmen. Beides gilt es gleichermaßen zu identifizieren und zu verbannen, während andere Stimmen nicht vorverurteilt und ausgeschlossen werden dürfen. Feministische Aufrufe zum Waffenstillstand skandalisieren sowohl antisemitische als auch antimuslimische Gewalt, die im Zuge des Krieges überall auf der Welt, und besonders im Westen, drastisch angestiegen sind.

Feministische Ansätze bieten die Sprache, die vielen derzeit fehlt, um angemessen auf die humanitäre Katastrophe in Gaza zu reagieren. Sie bieten auch Handlungsanweisungen für eine gerechte, für alle gleichermaßen geltende Politik. Derzeit scheint aber die deutsche politische Öffentlichkeit und die Bundesregierung an der Anwendung dieser im Fall des Krieges in Gaza zu scheitern.