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Es gab Phasen, in denen es für die deutsch-amerikanischen Beziehungen weitgehend egal war, wer im Weißen Haus sitzt. Diese Tage sind vorbei. Trumps öffentliche Reden der vergangenen Tage geben einen bitteren Vorgeschmack auf die kommenden Monate: Der US-Präsident wird – gestärkt durch den Mueller-Report – noch stärker polarisieren. Dabei wird er sich jetzt erst recht gegen innenpolitische Widersacher wenden, allen voran gegen „die Medien“, „die Eliten“ und natürlich gegen die „Sozialisten“ – also gegen die Demokratische Partei.

Aus Trumps Sicht sind seine Tiraden die verdiente Antwort auf die unbotmäßigen Attacken der Demokraten. Das vermeintlich vorläufige Ende der Debatte zu Russland und vorerst zumindest deklaratorisch erträgliche Ergebnisse in den Handelsgesprächen mit China dürften nicht zu Entspannung führen, sondern zu weiteren Eskalationen. Neben innenpolitischen Themen wie Einwanderung und Grenzregime wird sich Trump nun vermehrt außenpolitischen Fragen zuwenden, so der Nato und dem Außenhandelsdefizit. Dabei aber gerät nicht zuletzt Deutschland immer stärker in das Trumpsche Fadenkreuz.

Bei einem Donald Trump im Wahlkampfmodus dürften hässliche Provokationen in Richtung Berlin künftig zur Tagesordnung gehören. Dazu gehört natürlich der Vorwurf, Deutschland sei als Nato-Mitglied ein „free rider” der Weltpolitik – ein Trittbrettfahrer, der sich auf Kosten anderer schadlos hält und bereichert. Dieses Narrativ ist eingängig und auch wenig versierten Wählerinnen und Wählern gut vermittelbar. Auch der Wahlkampf in Deutschland dürfte die Sache nicht leichter machen. Im Gegenteil: Auf beiden Seiten des Atlantiks werden die Wogen hochschlagen. Und unter der Last von Trumps Zuspitzungen wird das transatlantische Verhältnis bis zur Präsidentschaftswahl weiter leiden.

In einer G-2-Welt brauchen nicht nur wir Deutschen starke Partner, sondern auch die Amerikaner.

Nicht wenige republikanische Abgeordnete meinen dazu beschwichtigend: „Bewertet Trump nicht danach, was er sagt, sondern was er tut.” Das aber ist Zweckoptimismus in Reinform. Es ist wichtig, was Regierungschefs sagen – und es ist wichtig, wie sie es sagen. Den rachsüchtigen und unbeherrschten Politikstil des US-Präsidenten willentlich zu übersehen, schadet nicht nur dem Amerikabild der Deutschen, sondern auch der Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Und doch gilt: Das deutsch-amerikanische Verhältnis sollten wir jenseits der Trump-Debatte im größeren Zusammenhang betrachten. Wichtig ist die Selbstwahrnehmung beider Nationen in ihren Sorgen, Nöten, Stärken, Schwächen, zukünftigen Erwartungen und Perspektiven. Natürlich ist dieser Befund schwierig, da es die eine „nationale Perspektive“ nicht geben kann – besonders nicht in liberalen parlamentarischen Demokratien. Eine Annäherung sollten wir dennoch versuchen. Dabei spielen nationale Interessen ebenso eine Rolle wie der Blick auf den Globus und in die Geschichte.

In mancherlei Hinsicht sind die USA in der Betrachtung der Welt schon einen Schritt weiter als wir. Der US-Blick ordnet den Planeten mehr und mehr in eine G-2-Welt ein, die von den beiden gegensätzlichen Polen USA und China geprägt wird. Einige US-Stimmen beschreiben die Situation mit Verweis auf die griechische Antike als „Thucydides Trap“. Darunter verstehen sie eine US-Chinesische Konkurrenzsituation, die analog zur historischen Konfrontation zwischen Athen und Sparta fast automatisch zur gewaltsamen Auseinandersetzung führen könnte.

Bei uns ist diese Debatte noch längst nicht angekommen. Hier verharren viele Debatten eher in der europäischen Sicht des Kalten Krieges. Es geht um Auf- bzw. Abrüstung, die Stellung Russlands zu Europa und die Bedeutung der Nato für die Sicherheit des Kontinents. Nicht zuletzt die aktuelle Debatte über den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) verdeutlicht das: wenigstens zu Beginn der Diskussion spielte China in großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit keine Rolle.

Das Verhältnis zwischen den USA und China wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Auch das deutsch-amerikanische Verhältnis wird davon geprägt sein.

Wir alle tragen eine europäische Brille, bei der der Blick nach Ostasien schnell unscharf wird. In der Folge arbeiten wir uns an Zwei-Prozent-Zielen und Nord Stream 2 ab, ohne wirklich eine globale Perspektive einzunehmen. Erst allmählich ändert sich das. In Deutschland blicken die transatlantischen Eliten wehmütig zurück und beklagen missmutig die schrumpfende Zahl der „Transatlantiker“ im Deutschen Bundestag. Fällt irgendjemandem auf, dass die Gruppe der Chinaexperten noch viel kleiner ist?

In Deutschland hat ein Papier des BDI zu China zu Beginn des Jahres große Aufmerksamkeit und vielfaches Lob erhalten. Ausgerechnet der BDI – muss man da sagen. Wo bleiben die Stimmen anderer Institutionen, die sich mit den großen globalen Herausforderungen beschäftigen? Wo bleibt eine überzeugende China-Strategie aus dem Kanzleramt? Das Verhältnis zwischen den USA und China wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Global. Und auch das deutsch-amerikanische Verhältnis wird davon geprägt sein – völlig unabhängig vom Gebaren eines Mr. Trump. Hier hat Deutschland Nachholbedarf.

Wenn wir heute aus deutscher Sicht auf das transatlantische Verhältnis blicken, stellen wir uns die Frage, was für die Amerikaner dabei herausspringt, mit Deutschland auf Augenhöhe zu verhandeln. Haben sie etwas davon, unsere Sicherheit zu garantieren oder mit uns Handel zu treiben? Die Antwort auf diese Fragen war in der Vergangenheit durch die Nachkriegszeit bzw. den Kalten Krieg bestimmt. Oberflächlich wird sie heute von Trumps „America-First-Strategie“ beschädigt. Aber in Wahrheit definiert China das transatlantische Verhältnis schon heute. In einer G-2-Welt brauchen nicht nur wir Deutschen starke Partner, sondern auch die Amerikaner. Nach welchen Kriterien sollen diese Partnerschaften gestaltet sein? Die Antwort lautet: Nach Interessen und Werten.

Gemeinsame Interessen liegen dabei besonders auf dem Gebiet der Sicherheit und des globalen Handels bzw. der Auslandsinvestitionen. Dabei sind beide Bereiche nicht immer sauber voneinander zu trennen, wie die 5G-Debatte zeigt. In Fragen der Sicherheit sind die Herausforderungen groß, längst geht es nicht mehr nur um klassische Abschreckung mit konventionellen und atomaren Waffen. Die USA und Europa haben verschiedene Felder, auf denen eine Zusammenarbeit beiden nützt und in ihrem strategischen Interesse liegt: Die Digitalisierung wird das Risiko von nicht-friedlichen Auseinandersetzungen in Zukunft enorm vergrößern. Hier sind wir heute zwar noch einseitig auf die USA angewiesen, mittelfristig aber haben die USA auch ein Interesse daran, dass Deutschland und Europa in Fragen der Cybersicherheit nicht außerhalb des US-Bündnisrahmens liegen.

Es war und ist ein Fehler, die Handlungsfähigkeit der EU auf der globalen Bühne auf Sicherheitsfragen zu beschränken.

Beim Thema Handel und globale Investitionen mögen wir uns heute kurzfristig über Zölle auf Autos und Sojabohnen streiten. Langfristig aber gibt es hier ein echtes gemeinsames Interesse an einem funktionierenden WTO-Regime, das Chinas Strategie der Vorteilsnahme durch staatseigene Betriebe und unrechtmäßigen Technologietransfer in die Schranken weist. Und wenn es nicht die WTO ist, werden es andere multilaterale Systeme sein müssen, in denen sich Länder mit offenen Marktsystemen organisieren. Auch hier existieren handfeste gemeinsame Interessen von Deutschen, Europäern und den USA.

Für ein produktives transatlantisches Verhältnis aber, das langfristig beiden Seiten nutzt, müssen einige Herausforderungen erfüllt sein. So muss Europa seine globale Handlungsfähigkeit verbessern. Nur dann werden wir als Verhandlungspartner ernst genommen und nur dann können wir einen echten Mehrwert durch die Zusammenarbeit anbieten. Dabei sollten wir die Europäische Integrationsdebatte endlich der Tatsache anpassen, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Dabei müssen wir uns als Europäer auch die Frage stellen, ob und wie das Prinzip der „Subsidiarität“ ganz konkret als innereuropäisches Ordnungskriterium angewandt wird.

Zusätzlich aber müssen wir uns fragen: Was können wir tun, damit wir als EU global handlungsfähig werden? Dazu gehört auf dem Gebiet der Sicherheit übrigens nicht die Frage der strategischen Autonomie oder das Projekt eines gemeinsamen deutsch-französischen Flugzeugträgers. Wie wäre es für den Anfang damit, endlich das Prinzip geteilter Lasten ernst zu nehmen? Darüber hinaus brauchen wir eine strategische Debatte zur europäischen Sicherheit, die endlich in handlungsfähigen Strukturen mündet. Hier geht es um Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei ist die Frage, ob wir Erdgas aus Russland beziehen, weniger wichtig als die Tatsache, dass wir uns für die Sicherheit Polens und der baltischen Staaten tatsächlich verantwortlich fühlen wollen und können.

Mindestens genauso zentral ist die Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Um als ernsthaft handlungsfähiger Partner wahrgenommen zu werden, müssen wir auch hier Fortschritte erzielen. Der europäische Fiskalkonservatismus muss den nächsten Schritt nach vorne wagen. Deutschland sollte in der Finanz- und Wirtschaftspolitik größere europäische Verantwortung übernehmen. Es war und ist ein Fehler, die Handlungsfähigkeit der EU auf der globalen Bühne auf Sicherheitsfragen zu beschränken. Die Finanzkrise, die Freihandelsabkommen der letzten Jahre und die Überlegungen zu Investitionsscreenings im Hinblick auf China zeigen, dass Handlungsfähigkeit im globalen Kontext auch wirtschaftliche Integration voraussetzt. Dazu gehört die Vollendung der Bankenunion genauso wie ein Energiebinnenmarkt und ein zukunftsfähiges europäisches Wettbewerbsrecht.

Wir müssen an der Idee des Westens festhalten und die Werte liberaler Demokratien offen ausleben. Wer, wenn nicht das transatlantische Lager, könnte diese Prinzipien global zur Geltung bringen?

Zweitens aber dürfen die USA nicht in eine Phase des Isolationismus fallen. Dieser Kampf ist noch lange nicht entschieden. Schon vor Trump gab es einen harten isolationistischen Kern innerhalb der Republikaner und auch die Demokraten sind nicht frei davon. Auf diese inneramerikanische Debatte kann Europa nur Einfluss nehmen, wenn es Handlungsfähigkeit zeigt und auch tatsächlich handlungsfähig ist.

Es genügt langfristig nicht, lediglich gemeinsame Interessen zu verfolgen. Zugleich müssen wir an der Idee des Westens festhalten und die Werte liberaler Demokratien offen ausleben. Wer, wenn nicht das transatlantische Lager, könnte diese Prinzipien global zur Geltung bringen? Dabei geht es nicht wie in der Vergangenheit darum,  andere Länder oder Regionen zu demokratisieren. Wir sollten uns stattdessen auf unsere Stärken konzentrieren und den Handel, Auslandsinvestitionen und die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion nach unseren Prinzipien vorantreiben. Auch unter einem Präsidenten Trump können wir mit den USA den ernsthaften Versuch unternehmen, die WTO zu reformieren. Die Gespräche zwischen der EU, den USA und Japan sollten deshalb mit größtem politischem Einsatz weitergeführt werden.

Das transatlantische Verhältnis wird in den kommenden Jahrzehnten vom Aufstieg Chinas geprägt sein. Trumps „America-First-Strategie“ wird sich dafür als völlig ungeeignete Antwort erweisen. Wenn diese Erkenntnis im Weißen Haus ankommt, sollten wir Europäer als möglicher (Verhandlungs-) Partner in allen globalen strategischen Fragen der Zukunft bereitstehen. Denn dieser Moment könnte früher kommen, als einige erwarten. Im November 2020 haben die Wählerinnen und Wähler der Vereinigten Staaten Gelegenheit, einen neuen Bewohner ins Weiße Haus zu entsenden. Dann aber sollten auch wir Europäer unsere Hausaufgaben gemacht haben.