Vor einem Jahr, zu Beginn der Pandemie, rief UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu einem weltweiten Waffenstillstand auf. Es ist jetzt an der Zeit, einen gemeinsamen neuen Vorstoß für Frieden und Versöhnung zu unternehmen. Guterres plädierte für verstärkte internationale Anstrengungen, vor allem im Sicherheitsrat, um bis Ende des Jahres 2020 einen globalen Waffenstillstand zu erreichen.
Die Welt braucht einen globalen Waffenstillstand, um die „heißen Konflikte“ zu beenden, und wir müssen alles tun, um einen neuen Kalten Krieg zu vermeiden. Doch sein dringender Appell blieb und bleibt weiterhin ungehört. Die heutige Situation ist von anhaltenden Konflikten gekennzeichnet: im Jemen, Syrien, Mali, Äthiopien, der Ukraine und vielen anderen Ländern.
Die Rüstungsexporte sind weiterhin auf einem hohen Niveau, die Militärhaushalte steigen weiter, die Rüstungsindustrie boomt und die Rüstungskontrollverhandlungen stecken in einer Sackgasse. Angesichts der verstärkten geopolitischen Rivalitäten erleben wir das Gegenteil von einem „Vorstoß für Frieden und Versöhnung“. Wir stehen am Anfang eines neuen Wettrüstens und möglicherweise auch am Beginn eines neuen Kalten Kriegs.
Der Ausbruch der Pandemie sollte eigentlich ein Weckruf für verstärkte globale Zusammenarbeit sein. Denn diese Krise kann nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, des wirtschaftlichen Niedergangs in vielen Ländern und der steigenden Schulden der öffentlichen Haushalte hätte man eigentlich die Kürzung der Militärausgaben erwarten können. Das Gegenteil ist der Fall.
Die USA, die mit großem Abstand Platz eins einnehmen, gaben 2020 fast dreimal so viel Geld für ihr Militär aus wie ihre vermeintlichen Rivalen China und Russland zusammen.
Während des Nationalen Volkskongresses im März 2021 rief Chinas Präsident Xi Jinping das Militär auf, sich auf eine „zunehmend unsichere Situation“ vorzubereiten. Chinas Militärhaushalt dürfte weiter steigen, nachdem er sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelte. Eine Woche später verkündete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stolz, „2020 markierte das sechste Jahr in Folge mit wachsenden Militärausgaben... mit einem realen Anstieg von 3,9 Prozent von 2019 bis 2020“.
Die USA, die mit großem Abstand Platz eins einnehmen, gaben 2020 fast dreimal so viel Geld für ihr Militär aus wie ihre vermeintlichen Rivalen China und Russland zusammen. Eine Studie des International Institute for Strategic Studies in London vom März 2021 bestätigt, dass trotz der Corona-Pandemie die Militärbudgets weltweit neue Rekordwerte erreichten.
Und Großbritannien, um Premierminister Boris Johnson zu zitieren, ist auf der Suche nach dem verlorenen Empire und verkündet mit Nostalgie die Strategie „Global Britain, ... mit dem höchsten Verteidigungshaushalt aller Zeiten.“ Wie viele andere Länder vertraut Großbritannien auf eine vom Militär gestützte geostrategische Außenpolitik. Die britische Regierung plant, die Obergrenze für die Zahl der Trident-Atomsprengköpfe aufzuheben und ihre Zahl von 180 auf 260 zu erhöhen. Damit würde ein 30-jähriger Prozess der schrittweisen nuklearen Abrüstung beendet.
Auch die EU will militärisch autonom werden, und Deutschland formulierte 2020 Leitlinien für den indo-pazifischen Raum und positioniert sich gemeinsam mit dem Westen in Rivalität zu China. Soll etwa die Bundeswehr dort deutsche Interessen absichern? Russland mischt sich in der Ukraine, in Syrien und in Libyen ein, und China erhebt territoriale Ansprüche in Asien.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Großteil der Waffen in Kriegs- und Krisenregionen, insbesondere in den Nahen Osten, verkauft wird.
Noch nie seit den frühen 1990er Jahren war die militärische Belastung des globalen Einkommens so hoch wie heute. Angesichts des gegenwärtigen Trends sind noch höhere wirtschaftliche Belastungen zu erwarten. Der Waffentransfer bleibt laut einer neuen SIPRI-Studie auf hohem Niveau. Die USA bleiben der größte Exporteur und erhöhten ihren weltweiten Anteil auf 37 Prozent; sie exportieren in 96 Staaten. Rund die Hälfte der US-Waffenexporte ging dabei in den Nahen Osten, wobei Saudi-Arabien, einer der Hauptakteure des Krieges im Jemen, ein Viertel der US-Exporte erhielt.
Der Anstieg der US-Waffenexporte gegenüber der vorangegangenen Berichtsperiode vergrößerte die Kluft zwischen den USA und dem zweitgrößten Waffenexporteur Russland. Fast ein wenig beleidigt kritisierte das staatseigene russische Rüstungsunternehmen Rostec die Methodik der SIPRI-Statistiken. Der weltweite Exportanteil Russlands bei Waffen sei laut Rostec höher als von SIPRI gemeldet. Sowohl Frankreich als auch Deutschland haben im Berichtszeitraum ihre Waffenausfuhren erheblich gesteigert. China rangiert auf dem fünften Rang.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Großteil der Waffen in Kriegs- und Krisenregionen, insbesondere in den Nahen Osten, verkauft wird. Krisen befeuern den weltweiten Waffenhandel. Der größte Waffenimporteur der Welt ist Saudi-Arabien, aber auch andere Länder dieser Region gehören zu den großen Importeuren: Ägypten, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Israel und das NATO-Mitglied Türkei.
Darin spiegeln sich die Spannungen dieser Region und die regionalen und geopolitischen Konflikte und strategischen Interessen wider. Selbst Deutschland mit formal restriktiven Rüstungsexportregeln hat Rüstungsgüter in großen Mengen nach Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar sowie Algerien geliefert. Keines dieser Länder ist für die Einhaltung demokratischer Regeln und humanitärer Werte bekannt, die ein Kriterium für deutsche Rüstungsexporte sein sollen.
Können wir von der neuen Biden-Administration eine Initiative erwarten?
Die großen Rüstungsunternehmen haben ihren Sitz vor allem in den USA, Westeuropa, Russland und China, aber die Rüstungsindustrie ist zunehmend auch im globalen Süden präsent. Das enorme Wachstum dieser Unternehmen ist das Ergebnis hoher Investitionen in die Modernisierung der Streitkräfte. Die Regierungen in den entwickelten Ländern investieren vor allem in neue Technologien: künstliche Intelligenz, das automatisierte Schlachtfeld, unbemannte Drohnen, militärisch relevante Raumfahrttechnik, aber auch in die Modernisierung von Atomwaffen und ihren Trägersystemen. Dieser Trend ist besonders beunruhigend, da es keine ernsthaften Initiativen zur Rüstungskontrolle gibt.
Können wir von der neuen Biden-Administration eine Initiative erwarten? Es gibt ein paar Hoffnungsschimmer: der Versuch zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran und eine vorsichtige Annäherung gegenüber Nordkorea, die beide bisher nicht auf fruchtbaren Boden fielen. Die Beziehungen zu China sind – angesichts der Handelskonflikte und politischer Differenzen – dagegen nicht allzu vielversprechend. Der Ton ist konfrontativ.
Die Biden-Administration lässt „America first“ hinter sich und will ihre vernachlässigten Bündnisse in Europa und Asien wiederbeleben. Man macht sich Sorgen wegen Chinas selbstbewusster, manchmal aggressiver Außenpolitik und seiner Entwicklung zu einer starken und modernen Militärmacht, die auch zur Beilegung territorialer Streitigkeiten eingesetzt werden könnte.
Trotz entmutigender Tendenzen sollte UN-Generalsekretär Guterres seinen Aufruf vom März 2020 lautstark wiederholen. Die Vereinten Nationen sind der Ort, an dem verhandelt werden sollte. Gleichzeitig ist klar, dass das Problem im Sicherheitsrat selbst liegt. Die fünf Ständigen Mitglieder des Rates verfügen über fast alle der weltweit 13 400 atomaren Sprengköpfe; sie sind für mehr als drei Viertel des Waffenhandels und für mehr als 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben verantwortlich.
Eine Umkehr in Gang zu bringen ist angesichts der Interessengegensätze keine leichte Aufgabe. Doch während des Kalten Krieges zwischen Ost und West war die drohende Gefahr einer gegenseitigen Zerstörung noch entmutigender und gefährlicher. Die Biden-Administration möchte die Rolle der Atomwaffen in der Sicherheitspolitik reduzieren. Das könnte ein Ansatzpunkt für eine UN-Initiative und für die von Guterres geforderte verstärkte internationale Anstrengung sein. Eine Umkehrung der gegenwärtigen Trends würde Ressourcen freisetzen, um die wirklichen globalen Probleme wie die Pandemie, den Klimawandel und die globale Armut anzugehen.
Die englische Originalversion des Artikels erschien zuerst im Global Outlook des japanischen Toda Peace Instituts.