In den vergangenen zwei Wochen hat die US-Regierung erhebliche Bemühungen unternommen, um eine internationale Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) zusammenzustellen. Sie soll gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um den IS-Vormarsch im Irak einzudämmen bzw. zurückzudrängen und die humanitären Folgen abzufedern.

Mittelfristig geht es darum, politische Rahmenbedingungen im Irak herzustellen, die dem IS die Grundlage für seine Operationen entziehen. Diesem Ziel diente im regionalen Kontext die Reise von Außenminister Kerry durch die Region sowie in internationaler Perspektive die „Internationale Konferenz für Frieden und Sicherheit im Irak“, die am 16. September in Paris stattfand. Drei Probleme lassen jedoch Zweifel an der Wirksamkeit dieses Ansatzes aufkommen:

 

Erstens: Bodentruppen werden ausgeschlossen

Auf nicht absehbare Zeit werden die USA, möglicherweise mit Unterstützung einiger anderer Staaten, mit Luftschlägen auf die Stellungen des IS dessen Vormarsch im Irak einzuhegen suchen. Nach Einschätzungen westlicher Geheimdienste verfügt der IS über ca. 32.000 Kämpfer, die sich zum Teil in dicht besiedelten Ballungszentren wie Mossul befinden. Die Strategie, den IS nur mit Angriffen aus der Luft zu bekämpfen, wird daher mit Blick auf mögliche Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung an Grenzen stoßen und in seiner Wirksamkeit begrenzt bleiben. Daher ist in Washington und anderenorts bereits die begründete Sorge erkennbar, dass Luftschläge alleine nicht ausreichen könnten. Die jüngsten Äußerungen von Generalstabschef Dempsey im Kongress deuten in diese Richtung. Dempsey zufolge sollen amerikanische Berater die irakischen Soldaten bei Angriffen auf bestimmte IS-Ziele begleiten, sofern dies notwendig erscheine.

Die Strategie, den IS nur mit Angriffen aus der Luft zu bekämpfen, wird daher mit Blick auf mögliche Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung an Grenzen stoßen und in seiner Wirksamkeit begrenzt bleiben.

Dieser Notwendigkeit trägt auch die Tatsache Rechnung, dass die USA und ihre Verbündeten mit einer „Ertüchtigungs“-Strategie drei Akteure als Bodentruppen nutzbar zu machen suchen: Erstens die irakische Armee, zweitens die kurdischen Milizen im Norden des Landes und drittens die Freie Syrische Armee. Diese erhält nunmehr mit US-Unterstützung in Saudi-Arabien Ausbildung und Ausrüstung.

Bei mindestens zwei dieser Gruppen ist die Schlagkraft jedoch weitgehend unklar. Bekanntlich sind große Teile der irakischen Armee während des Vormarsches des IS desertiert bzw. haben ihre Waffen niedergelegt und auch die Freie Syrische Armee hat erhebliche militärische Rückschläge erlitten. Bei den kurdischen Milizen ist ihre Verpflichtung gegenüber der irakischen Zentralregierung zumindest fraglich.

 

Zweitens: Die Fokussierung auf den Irak

Westliche Regierungen tun sich nach wie vor schwer damit, den IS als transnationales Phänomen zu begreifen, das (noch) zwei Länder im engsten betrifft, nämlich Syrien und Irak. Seit seinem militärischen Vormarsch im Verlauf dieses Jahres handelt es sich nicht länger um eine terroristische Gruppierung. Mittlerweile hat sich der IS zu einem Quasi-Staat entwickelt, der etwas weniger als ein Drittel des Staatsgebietes des Irak und Syriens kontrolliert. Er hat eine Form der permanenten Regierungsgewalt und Gerichtsbarkeit eingeführt und wird durch eigene Finanzquellen immer unabhängiger von externer Finanzierung. Jeder Versuch, IS zu bekämpfen, muss eine Strategie zu Grunde legen, die zwar die Unterschiede zwischen den jeweiligen Konfliktkonstellationen in den beiden Ländern in Rechnung stellt, aber doch ein überwölbendes Verständnis der zu erreichenden militärischen und politischen Ziele entwickelt. Das bisherige Vorgehen der von den USA avisierten Koalition bleibt aber nach wie vor zu sehr auf den Irak fokussiert.

Solange die syrischen Gebiete Rückzugsmöglichkeiten für den IS bieten, wird man ihn nicht endgültig militärisch besiegen können. Eine Parallele illustriert die Bedeutung dieses Punktes: Der Erfolg der ISAF-Mission leidet bis heute darunter, dass die Aufständischen in Afghanistan über die faktisch offene Grenze nach Pakistan ausweichen können, um sich dort den ISAF-Angriffen zu entziehen. Mit einem Zielkonflikt wird die internationale Gemeinschaft auf absehbare Zeit konfrontiert bleiben: Ein Vorgehen gegen IS in Syrien läuft Gefahr, faktisch das Regime von Präsident Assad zu stützen.

 

Drittens: Die unklaren militärischen und politischen Ziele

Die westliche und vor allem die US-Politik sind bislang eher vage geblieben, was das konkrete militärische und politische Ziel des sogenannten „Kriegs gegen den Islamischen Staat“ angeht. Je nach Äußerung sei IS eine Bedrohung für Irak und Syrien, für die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens oder gar für die USA selbst. Es gehe darum, „IS zu schwächen und zu zerstören“, „den Einfluss von IS einzudämmen“ oder „IS die Fähigkeit zu nehmen, mit militärischer Gewalt gegen westliche Einrichtungen vorzugehen“.

Diese Vieltönigkeit mag zu einem gewissen Grad einem Sachverhalt geschuldet sein, den Präsident Obama selbst freimütig eingeräumt hat – nämlich, dass er über keine schlüssige Strategie gegenüber dem IS verfüge. Sie liegt aber sicherlich auch in einem schwierigen innenpolitischen Umfeld in den USA begründet, in dem die öffentliche Meinung und der US-Kongress den Präsidenten nach der Ermordung von zwei amerikanischen Geiseln im Irak zu einem stärkeren militärischen Handeln drängen. Das jedoch kollidiert mit dem Anspruch des Präsidenten, die Kriege im Irak und in Afghanistan auf Dauer zu beenden.

Ähnliche Unklarheit der Politik gegenüber IS herrscht jedoch auch unter europäischen Regierungen. So forderte der französische Außenminister Fabius anlässlich des Pariser Treffens ambitioniert, „IS muss verschwinden“. Was dies konkret heißen soll, blieb unklar. Wie jedes militärisches Engagement muss auch das Vorgehen gegen IS der Durchsetzung einer politischen Ordnungsvorstellung dienen, aus der sich dann Rahmenbedingungen für die Militäroperationen ergeben. Solange über die Ordnungsvorstellung jedoch keine Klarheit herrscht, sollten westliche Regierungen nicht mit der Definition dieser Rahmenbedingungen beginnen.