Die erste Staatenkonferenz des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen ist ein Signal zur richtigen Zeit: Drohungen mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen sind nicht hinnehmbar. Nachdem der Vertrag 2017 bei den Vereinten Nationen verabschiedet wurde, findet ein gutes Jahr nach seinem Inkrafttreten im Januar 2021 die erste Vertragsstaatenkonferenz mit mind. 60 Mitgliedern in Wien statt. Weitere Staaten, u.a. die deutsche Bundesregierung, haben angekündigt, beobachtend teilzunehmen.

Der AVV knüpft an bereits bestehende Normen, wie das Verbot von Atomwaffentests sowie die Nichtverbreitung und Abrüstung (NVV), an. Der Vertrag ächtet Atomwaffen erstmals umfassend auf Grund ihrer katastrophalen humanitären Folgen und verbietet für die Mitgliedstaaten den Einsatz, die Entwicklung, den Test, die Herstellung, den Erwerb, den Besitz und die Lagerung sowie die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen.

Putin erweitert durch seine  impliziten nuklearen Drohungen das Konzept der Abschreckung auf beunruhigende Weise.

Wie notwendig auch die Stigmatisierung der Drohungen mit Atomwaffen ist, führt uns der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine vor Augen. Plötzlich sieht sich die Weltgemeinschaft und allen voran die Europäerinnen und Europäer mit einer längst vergessenen Bedrohung konfrontiert: einer Konfrontation zwischen dem nuklear bewaffneten Russland und dem nuklearen Bündnis der NATO, deren Mitglieder die Ukraine unterstützen. Dabei erweitert Präsident Putin durch seine  impliziten nuklearen Drohungen –  „Wer auch immer versucht, uns aufzuhalten und unser Land und unser Volk zu bedrohen, sollte wissen, dass das Folgen haben wird. Folgen, wie Sie sie im Westen in ihrer Geschichte noch nie erlebt haben“ –  das Konzept der Abschreckung auf beunruhigende Weise. Der Verweis auf Nuklearwaffen wird nicht nur für den Fall einer existenziellen Bedrohung genutzt, sondern um den Handlungsspielraum der Unterstützer der Ukraine einzudämmen.

Deshalb ist es gerade jetzt so entscheidend, dass Staaten in einem multilateralen UN-Forum vereint ihre Stimme gegen Atomwaffen erheben. Jeder Schritt in der praktischen Ausgestaltung des AVV ist eine Stärkung der Norm des Atomwaffenverbots und ein Widerspruch zur Praxis der Atomwaffenstaaten. Die AVV-Staatenkonferenz macht noch einmal ganz deutlich: Es ist eine politische Entscheidung, auf welchen Konzepten Staaten ihre Außen- und Sicherheitspolitik aufbauen. Die nukleare Abschreckung ist eine veraltete Technologie aus dem letzten Jahrhundert, die auch ein bitterarmer Staat wie Nordkorea entwickeln konnte. Sie bietet keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit und ist in einer multipolaren Welt mit beschleunigten Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen ein zusätzliches Risiko.

Die nukleare Abschreckung ist eine veraltete Technologie aus dem letzten Jahrhundert.

Die Konferenz ist ein Signal zur richtigen Zeit. Denn ein aktueller SIPRI-Bericht warnt vor einem neuen nuklearen Wettrüsten und Forschung von ICAN verdeutlicht die gestiegenen Investitionen in Atomwaffensysteme. Auch die Bundesregierung reiht sich mit der geplanten milliardenschweren Anschaffung der neuen F-35-Kampfjets für die nukleare Teilhabe in dieses neue nukleare Wettrüsten ein. Dieser Schritt konterkariert auch das Bekenntnis zu einem „Deutschland frei von Atomwaffen“, wie es im Koalitionsvertrag formuliert wurde. Die Investitionen in die nukleare Teilhabe werden Deutschlands Position als glaubwürdiger Akteur für Abrüstung und Nichtverbreitung u.a. in den Verhandlungen mit dem Iran künftig erschweren. 

Es ist drängender denn je, dass Staaten aktiv für Abrüstung, für die Stärkung des nuklearen Tabus und die Abschaffung von Atomwaffen eintreten. Die Staatenkonferenz des AVV ist das erste multilaterale Forum seit Beginn des Krieges in der Ukraine, das sich mit dem Thema der nuklearen Abrüstung beschäftigt. Und die Agenda unter dem Vorsitz des österreichischen Diplomaten Alexander Kmentt ist denkbar voll, denn auch die knappe Verhandlungszeit des Vertrags 2017 mit nur zwei mal zwei Wochen ließ einige juristische und technische Fragen offen. So müssen die Staaten nun u.a. die Fristen festlegen, innerhalb derer ein Staat, der Kernwaffen besitzt oder stationiert und dem Vertrag beitritt, die Waffen zerstört oder abziehen lässt. Es muss außerdem ausgestaltet werden, wie die Überprüfung dieses Prozesses aussehen soll. Dazu muss eine sogenannte „Competent International Authority“ eingesetzt, und gegebenenfalls ausgestattet, werden.

Ein Novum des AVV ist der Fokus auf die Opfer und die Umweltzerstörung durch Atomwaffentests, -produktion und -einsätze.

Ein Novum des AVV ist der Fokus auf die Opfer und die Umweltzerstörung durch Atomwaffentests, -produktion und -einsätze. Deshalb arbeiten Staaten unter der Führung von Kiribati und Kasachstan bereits jetzt daran, eine Art internationalen Treuhandfonds zu initiieren, der Mittel für die Opferbeihilfe und Umweltsanierung bereitstellt. An diesem Fonds können sich potentiell auch Nicht-Mitgliedstaaten beteiligen. Dies wäre auch eine Chance für die Bundesregierung, Verantwortung für bereits entstandene Schäden durch Atomwaffentests zu übernehmen, die sie durch die Stationierung der US-Atomwaffen in Deutschland billigt. Damit könnte die Bundesregierung auch als Brückenbauerin zwischen Vertragsstaaten und beispielsweise anderen NATO-Staaten auftreten. Die Idee des Fonds wird auf der Vertragsstaatenkonferenz voraussichtlich von der Arbeitsgruppe um Kiribati und Kasachstan eingebracht und wäre ein wegweisender praktischer Schritt im Prozess hin zur „nuclear justice“.

Eine der größten Herausforderungen der Staatenkonferenz wird darin bestehen, die Prozesse auch nach dem Treffen zu formalisieren und eine kontinuierliche Arbeit zur Weiterentwicklung einzelner Artikel sicherzustellen, u.a. durch institutionalisierte Prozesse, Strukturen und Gremien. Hilfreich wäre es etwa, einen wissenschaftlichen Beirat zu Fragen der Verifikation und Opferbeihilfe einzurichten. Auch die Festlegung sogenannter „intersessional meetings“, die zwischen den eigentlichen Staatenkonferenzen stattfinden und Fortschritte und Herausforderungen evaluieren, wäre eine hilfreiche Stütze in der Implementierung des Vertrags. Doch solche Maßnahmen setzen immer auch eine finanzielle und personelle Untermauerung voraus. Die Ressourcen der Mitgliedstaaten des Vertrags sind jedoch begrenzt.

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein Vertrag des 21. Jahrhunderts: multilateral, integrativ und zivilgesellschaftlich verankert.

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein wichtiges Puzzlestück im internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime. Er ist ein Vertrag des 21. Jahrhunderts: multilateral, integrativ und zivilgesellschaftlich verankert, mit Fokus auf die menschliche Sicherheit. Nur mit einer Norm, die Atomwaffen grundsätzlich verbietet, Staaten, die diese Norm praktisch ausgestalten, und einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, die diese Norm trägt, gibt es eine Chance für künftige Initiativen zur bi- oder multilateralen Abrüstung.