Seit der Ukraine-Krise gibt es wieder eine Debatte über eine Erneuerung der Nordatlantischen Allianz und über mögliche steigende Rüstungsausgaben. Genährt wird sie durch Äußerungen des scheidenden NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen. Dieser hat wiederholt an die europäischen Mitgliedsländer appelliert, ihre Verteidigungsausgaben aufzustocken. Seinem Nachfolger, dem früheren norwegischen Ministerpräsidenten Stoltenberg, hat er damit einen Bärendienst erwiesen.
Bei allem Respekt vor den Sorgen unserer osteuropäischen Partner gilt: Die Antwort der NATO auf die aktuelle Krise darf keinesfalls eine militärische (und damit weiter eskalierende) sein.
Mit der aktuellen Situation in der Ukraine hat diese Debatte bei genauer Betrachtung nur wenig zu tun: Denn entsprechende NATO-Diskussionen, besonders mit Polen und den baltischen Staaten, sind alles andere als neu. Polen und die baltischen Partner wünschen sich mit Blick auf ihre leidvolle Geschichte und ihrer Nähe zu Russland seit geraumer Zeit eine stärkere Präsenz des Bündnisses.
Doch bei allem Respekt vor den Sorgen unserer osteuropäischen Partner gilt: Die Antwort der NATO auf die aktuelle Krise darf keinesfalls eine militärische (und damit weiter eskalierende) sein. Trotzdem muss deutlich bleiben, dass Artikel 5 des NATO-Vertrages – die gemeinsame Verteidigung bei bewaffnetem Angriff – die absolut verlässliche Basis für alle Partner im Bündnis bleibt. Zugleich müssen die Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung auch so stark bleiben, dass sie, wie in der Vergangenheit, niemals zum Einsatz kommen müssen.
Der Kern der Allianz
Vor diesem Hintergrund halte ich eine stärkere Rückbesinnung auf den Kern der Allianz für dringend geboten. Und das ist die Bündnisverteidigung. Sie war und ist das eigentliche Herz der NATO. Anstatt die Bündnisverpflichtungen unter sich ändernden Rahmenbedingungen sicherzustellen, hat sich der scheidende NATO-Generalsekretär in Diskussionen um neue Aufgaben und neue Mitglieder des Bündnisses verstrickt. Von Gipfel zu Gipfel wurde dabei offensichtlicher, dass die NATO unter ihrem Bedeutungsverlust litt. Doch anstatt neue Wege zu gehen und eine stärkere Arbeitsteilung zu etablieren, verkleinerten nach dem Ende des Kalten Krieges die Mitgliedsstaaten ihre Streitkräfte und senkten ihre Verteidigungsausgaben. Und zwar ohne gegenseitige Abstimmung. Mittelmaß statt Prioritätensetzung war in vielen Bereichen die Folge.
Durch die gelegentlich zu starke Fokussierung der Debatten auf die Beiträge der NATO zur internationalen Krisenbewältigung, wurde den Mitgliedsländern nicht ausreichend vermittelt, dass Bündnisverteidigung und Krisenbewältigung zwei Seiten einer Medaille sind. Mehr Geld dürfte es auch in Zukunft in den Verteidigungsetats der Mitgliedsländer kaum geben. Aber durch den militärtechnischen Wandel können für Bündnisverteidigung und Krisenbewältigung oft deckungsgleiche Fähigkeiten vorgehalten werden. EU und NATO können sich hierbei auf das Beste ergänzen.
Effizienz durch Abstimmung und Aufgabenteilung
Die internationale Zusammenarbeit gewinnt für die Bundeswehr zunehmend an Bedeutung, denn durch die gemeinsame Übernahme von Verantwortung wird die Einsatzbelastung geteilt. Dadurch können Kräfte und Fähigkeiten effektiver und effizienter über einen langen Zeitraum bereitgestellt werden und knappe Ressourcen eingespart werden. Gemäß den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums muss immer gelten: „Einsätze der Bundeswehr im Ausland werden grundsätzlich gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Rahmen von VN, NATO und EU geplant und durchgeführt. Kooperation, Standardisierung und Interoperabilität von Streitkräften im NATO- und EU-Rahmen sind Voraussetzung zur kontinuierlichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit von militärischen Fähigkeiten.“
Mehr Geld dürfte es auch in Zukunft in den Verteidigungsetats der Mitgliedsländer kaum geben. Aber durch den militärtechnischen Wandel können für Bündnisverteidigung und Krisenbewältigung oft deckungsgleiche Fähigkeiten vorgehalten werden.
Dabei wird nicht nur im Kontext gemeinsamer Einsätze und Missionen kooperiert. Gemeinschaftliche Projekte, die auf NATO-Ebene unter der Bezeichnung „Smart Defence“ firmieren und in der EU als „Pooling & Sharing“ bekannt sind, gewinnen aufgrund von Sparzwängen zunehmend an Bedeutung. Heute müssen nicht mehr alle Staaten im Bündnis über sämtliche militärischen Fähigkeiten verfügen. Jede Nation muss entscheiden, welche Elemente zum Kern ihrer Verteidigungsfähigkeit zählen und welche Fähigkeiten aufgegeben oder nur noch gemeinschaftlich mit Partnern angenommen werden.
Möglich und machbar wäre aber viel mehr. Die Umsetzung der Fähigkeitskataloge basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Nur eine Minderheit der Mitgliedsstaaten ist überhaupt in der Lage, die nötigen Finanzmittel zur Schaffung der definierten Fähigkeiten bereitzustellen. Der Zwang zur Konsolidierung der Haushalte hat die Situation noch verschärft. Auch seitens der Bundesregierung gibt es viel zu wenig Versuche, den Status quo bei der Stagnation der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu beenden. Wir müssen unsere erforderlichen Fähigkeiten und die notwendigen Planungs- und Entscheidungsstrukturen abstimmen, um durch eine Aufgabenteilung innerhalb der EU die NATO zu entlasten. An einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung mit Frankreich und Großbritannien führt kein Weg vorbei. Hier kommt Deutschland eine Führungs- und Gestaltungsaufgabe zu.
Angesichts knapper Mittel in fast allen europäischen Verteidigungshaushalten muss der Effizienzgedanke in Zukunft eine weit stärkere Rolle spielen. Deutliche Synergien bei strategischen Fähigkeiten, die sich vor allem in der Ausrüstung und im gemeinsamen Betrieb widerspiegeln, sind jedoch bislang allenfalls in Papieren und in nur wenigen praktischen Ansätzen sichtbar. Die jüngsten Schritte der niederländischen Armee in Richtung einer deutlich stärkeren Zusammenarbeit mit Deutschland sind hier richtungsweisend. Es liegen hohe Erwartungen auf dem neuen NATO-Generalsekretär und den Akteuren der EU, denen für diese Herkulesaufgabe eine glückliche Hand nur zu wünschen ist.
Mehr Kooperation ist die einzige Lösung
Dabei ist klar: Stärkere Kooperation mit gemeinsamer Aufgaben- und Lastenteilung in NATO und EU ist die einzig realistische Antwort zur Bewahrung der Stärke des Bündnisses. Ein Beauftragter der Bundesregierung für die vertiefte europäische Kooperation und Koordination in den Bereichen Verteidigung und Rüstung, zum Beispiel, könnte hier Abhilfe schaffen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass eine Lastenteilung überwiegend von den starken wirtschaftlichen Nationen zu schultern ist. Von Deutschland, als wirtschaftlich stärkstem Land in der EU, werden also finanzielle Mehrbeiträge erwartet. Dies dürfte mittelfristig kaum zu einer Entlastung unseres nationalen Verteidigungsetats beitragen.
Wir müssen unser gesamtes politisches und wirtschaftliches Gewicht in diesen Gestaltungsprozess einbringen. Dies war leider in den letzten Jahren nicht der Fall.
Die Weiterentwicklung des „Framework Nations Concepts“, das die gemeinschaftliche Entwicklung und strukturelle Bereitstellung von Fähigkeiten durch eine Gruppe von Nationen vorsieht, ist in den Strukturen der NATO grundsätzlich zu begrüßen. Wir müssen aber unser gesamtes politisches und wirtschaftliches Gewicht in diesen Gestaltungsprozess einbringen. Dies war leider in den letzten Jahren nicht der Fall. Die deutsche Untätigkeit in EU und NATO spiegelt sich auch in der mangelnden internationalen Einbindung der Bundeswehr: Die Bildung von gemeinsamen Fähigkeiten im Sinne von „Pooling and Sharing“ oder „Smart Defence“ wurde und wird kaum verfolgt. Doch die Priorisierung von Fähigkeiten sollte zur Not sogar den Verzicht auf einzelne Fähigkeiten mit einschließen.
Die kampferprobte NATO und die Europäische Union mit ihrem vernetzten, friedensstabilisierenden Ansatz sind ein gutes Paar, um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können. Erfolgreich können beide jedoch nur sein, wenn ihre Mitglieder es mit Zusammenarbeit und Lastenteilung ernst meinen.
5 Leserbriefe
Ein so genannter schneller „Feuerwehreinsatz“ (z.B.: Lybien, Mali, Zentralafrikanische Rebublik) einer "Framework-Armee" ist somit nicht möglich, wenn Truppenteile aufgrund eines parlamentarischen Vetos in den Mitgliedstaaten blockiert werden.
Gesetztenfalls Deutschland würde in einer „Kompetenzenarmee“ z.B. den Lufttransport übernehmen und die deutsche Komponente würde bei einem Einsatz der Bündnisarmee vom Bundestag geblockt; der ganze Einsatz würde wegen der fehlenden Schlüsselkomponente noch vor Beginn zusammenbrechen.