In den vergangenen Jahren konnte man den Eindruck gewinnen der Staatsstreich erlebt eine Renaissance: Die Machtergreifung des Militärs in Mali, Ägypten, Thailand und Burkina Faso brachten ein vermeintliches Relikt des 20. Jahrhunderts zurück in das internationale Rampenlicht.

Ob wir es wollen, oder nicht: Die Sicherheitskräfte eines jeden Staates sind ein entscheidender Faktor, sowohl für die Form als auch die Stabilität politischer Ordnung. Als Träger des Gewaltmonopols sind sie automatisch von entscheidender Bedeutung, sie können Wandel begünstigen oder blockieren. Erstaunlich also, dass unsere Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften anderer Staaten bisher vergleichsweise unsystematisch erscheint.

Dies könnte sich nun ändern. Die Bundesregierung hat erkannt, dass es angesichts neuer internationaler Konflikt- und Bedrohungslagen notwendig ist, bewährte Strategien und Instrumente der Außenpolitik infrage zu stellen. Dazu gehört auch eine Neubewertung, welche Instrumente und Partner Deutschland in der Krisenbewältigung nutzt. Eine Richtungsänderung zeichnet sich ab. Außenminister Frank-Walter Steinmeier bezeichnete es in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag im letzten Jahr  als eine „Grundentscheidung, dass (Deutschland) auf die Ausprägung von Sicherheitsstrukturen gerade in fragilen Gemeinwesen nicht völlig verzichten (kann)“. Einen ersten Eindruck, wie diese neue Politik in der Praxis aussehen kann, bietet die militärische Aufrüstung der kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den sogenannten „IS“.

Wie verhalten wir uns, wenn unsere sogenannten Partner Generäle oder Geheimdienstler mit zweifelhafter Vergangenheit sind?

Die notwendige Auseinandersetzung mit Sicherheitsakteuren und -strukturen in  fragilen Staaten, politischen Transformationen und der Krisenbewältigung ist sicherlich Teil der Realität dieser Länder.  Doch wie verhalten wir uns, wenn unsere sogenannten Partner Generäle oder Geheimdienstler mit zweifelhafter Vergangenheit sind? Und wie können wir sicherstellen, dass die Ertüchtigung von Gewaltakteuren durch Ausbildungsmaßnahmen und mit (Aus-)Rüstungsgütern demokratischen Wandel und den Schutz von Menschenrechten begünstigt? Woher wissen wir, dass eine als Stabilisierungsmaßnahme verstandene Sicherheitssektorreform (SSR) nicht letztlich autoritäre Strukturen fördert?

Die Unterstützung bei Veränderungsprozessen im Sicherheitssektor kann nur funktionieren, wenn sich die lokale Gegenseite eine solche Veränderung auch wünscht. Das Kanzleramt schlug deshalb vor, die deutsche Unterstützung im Sicherheitsbereich — darunter fallen dann auch klassische Rüstungsexporte — auf eine Reihe von Hegemonialstaaten wie Nigeria, Saudi Arabien oder Indonesien zu konzentrieren. Die so ertüchtigten Staaten wären dann in der Lage, in ihrer eigenen Einflusssphäre für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, so die Idee.

Ein solcher Ansatz ist aber in vielerlei Hinsicht problematisch und hat mit dem anspruchsvollen Konzept von Sicherheitssektorreform, wie es die OECD definiert hat, nur wenig gemein. Sicherheitssektorreform in diesem wohlverstandenen Sinne stellt die Sicherheit der betroffenen Menschen in den Vordergrund. Der Staat ist nur das Mittel zum Zweck. Demokratische Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit sollen garantieren, dass Polizei, Militär, Nachrichtendienste und Justiz im Interesse der Menschen handeln und nicht als repressive Instrumente von Eliten eingesetzt werden oder gar selbst die Macht im Staat übernehmen.  Doch für Reformen dieser Art fehlen in den meisten Staaten dann doch der politische Wille und die entsprechenden Ressourcen.

Außerdem fehlt es an einer Garantie, dass der „Ertüchtigte“ die neuen Fähigkeiten auch im Sinne des Gebers zum Wohle seiner Bevölkerung einsetzt. Gleichzeitig liegt ein Interesse an tiefgreifenden Reformen, die auch eine zivile Kontrolle des Sicherheitssektors umfassen, nur in den seltensten Fällen vor. Daher ist es notwendig, Sicherheitssektorreform (SSR) politisch zu denken und umzusetzen.

Die entscheidende Frage ist nicht in erster Linie, wie man Polizisten und Militärs in Sachen Menschenrechte weiterbilden kann. Entscheidend ist, welche Akteure einen Wandel tragen oder verhindern. Wie können diese Personen in ihrer Haltung beeinflusst werden? So gesehen ist die eigentliche Ausbildungsmaßnahme oder Materiallieferung nur ein Mittel zum Zweck: ein Tauschpfand im Ringen um politische Zugeständnisse. Daher ist es letztlich auch nicht entscheidend, maximal ausdifferenzierte und technisch anspruchsvolle SSR-Handlungsanleitungen zu entwickeln. Viel wichtiger wäre es, SSR-Prozesse mit politischem Kapital zu begleiten. Ein persönliches Gespräch mit einem Minister oder Staatssekretär ist oftmals wirkungsvoller für wirklichen Wandel als langangelegte Trainings- und Mentoringmaßnahmen.

Wie viele andere Geberländer auch, orientierte sich Deutschland in der Vergangenheit bei SSR-Unterstützung an aktuellen Krisen. Afghanistan, der arabische Frühling, Libyen und Mali, sowie zuletzt ganz besonders kurdische Peschmerga in Syrien und im Irak, standen dabei im vergangenen Jahrzehnt besonders im Fokus. Immer wieder steht Deutschland dabei vor dem Problem, dass es an Wissen um die lokale Sicherheitsarchitektur fehlte. Mit wem kann vertrauensvoll zusammengearbeitet werden? Welche Akteure sind wirklich an demokratischem Wandel interessiert und welche nicht? Eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage zur Unterstützung von Sicherheitssektorreform und -governance benötigt daher Vorarbeit. Meistens gelingt es dort, wo bereits Kontakte und Beziehungen bestehen, belastbare Vereinbarungen über ein substantielles Engagement und Reformen zu treffen. Daher sollte deutsche SSR-Unterstützung zunächst breit angelegt sein:  Es braucht ein begrenztes Engagement in all jenen Ländern, für die SSR politisch relevant ist bzw. sein könnte („breit streuen“).

Nur durch die konkreten Zugänge und Einschätzungen aus diesen dialogorientierten Maßnahmen lassen sich belastbare Einschätzungen gewinnen, in welchen Fällen die Bedingungen für tiefgreifende Sicherheitsreformen günstig sind. Es sind oftmals nur kurze Gelegenheitsfenster, die sich bieten. Daher ist es wichtig, dann schnell und entschieden mit substantiellem Ressourceneinsatz reagieren zu können („eng fokussieren“). Durch entsprechende Vorarbeiten und Kontakte kann  sichergestellt werden, dass eine Zusammenarbeit auch unter Zeitdruck die richtigen Partner findet.

Ein persönliches Gespräch mit einem Minister oder Staatssekretär ist oftmals wirkungsvoller für wirklichen Wandel als langangelegte Trainings- und Mentoringmaßnahmen.

Deutschland kann nicht überall helfen. Genauso wenig wie Sicherheitssektorreform überall funktionieren kann. Aber die Erfolgschancen steigen, wenn ein Konflikt endet oder ein Regimewechsel stattfand. Oftmals sind die Anzeichen nur für diejenigen erkennbar, die seit Jahren politisch vor Ort engagiert sind. Es gibt eine große Anzahl deutscher Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und kirchlicher Organisationen, die sich aus humanitären oder politischen Gründen in Konflikt- und Transformationsländern engagieren.  Gerade die Tatsache, dass diese nicht aus nationalen oder Profitinteressen agieren, lässt ihre Einschätzung und Einbeziehung besonders wertvoll erscheinen. 

Zudem darf der Blick keinesfalls national verengt werden: Wichtige europäische Partner wie Großbritannien und die Niederlande, aber auch die EU insgesamt, sind in diesem Feld aktiv und haben wertvolle Erfahrungen gesammelt. Nicht immer wird es sich anbieten, dass gerade Deutschland solch ein Engagement alleine oder in einer Führungsposition übernimmt. Eine enge Abstimmung im Rahmen internationaler Organisationen und mit den Partnern vor Ort ist entscheidende Erfolgsvoraussetzung.  Gleichwohl bietet gerade die deutsche Geschichte und die daraus resultierende besondere Struktur und politische Einbettung der Sicherheitskräfte in Rechtsstaat und Demokratie durchaus auch relevante Alleinstellungsmerkmale, die ein solches Engagement besonders glaubwürdig machen können.