Die OSZE hätte gerade einen Grund zum Feiern. Schließlich begannen vor 50 Jahren, am 3. Juli 1973, die Verhandlungen im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Deren Nachfolger OSZE ermöglicht ihren 57 Teilnehmerstaaten, wöchentlich in der Wiener Hofburg über so unterschiedliche Themen wie Rüstungskontrolle, Konfliktmanagement, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Menschenrechte zu verhandeln. Von Feierstimmung ist in der OSZE aber nichts zu spüren, im Gegenteil: Seit dem 24. Februar 2022 haben Stress und Depression deutlich zugenommen. Denn die wichtigsten politischen Entscheidungen erfordern in der OSZE die Zustimmung aller 57 Regierungen. Diese Konsensregelung wird jedoch vor allem von Russland blockiert, was die Handlungsfähigkeit der Organisation stark einschränkt.
Besonders die kritische Haushaltslage schlägt stetig auf die Gemüter. So zehrt die Inflation die Mittel auf und ein verabschiedeter Jahreshaushalt bleibt seit 2021 aus. Stattdessen bleiben nur noch monatliche Nothaushalte. Planungssicherheit für eine internationale Organisation sieht anders aus. Weiterhin gibt es weder Einvernehmen darüber, welcher Staat 2024 der OSZE vorsitzen soll, noch über die anstehenden Personalentscheidungen zur Leitung des Sekretariats und der drei Menschenrechts-Institutionen.
Seit dem 24. Februar 2022 haben westliche Demokratien allerdings innovativ gehandelt, damit die OSZE überleben kann. So umgehen sie mit freiwilligen finanziellen Beiträgen das Konsensprinzip. Nachdem Russlands Veto die OSZE 2022 zwang, Feldoperationen in der Ukraine zu schließen, gibt es nun ein neues Unterstützungsprogramm für die Ukraine. Österreich hat sich bereit erklärt, notfalls 2024 den OSZE-Vorsitz zu übernehmen.
Westliche Regierungen unterstützen die OSZE, da die Organisation einzigartig ist. Sie ist die einzige Regionalorganisation, in der Vertreter unter anderem der USA, Russlands und der Ukraine noch regelmäßig zusammenkommen. Die OSZE wäre damit der logische Ort für Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine. Auch hat die Organisation etwa beim Schutz von Minderheiten und der Wahlbeobachtung globale Standards gesetzt. Neben staatlicher Nothilfe machen es die Beharrungskräfte des OSZE-Apparates unwahrscheinlich, dass die Organisation verschwindet. So kennen und respektieren die lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die unsichtbaren roten Linien, die autoritäre Teilnehmerstaaten den Feldoperationen bei deren Projekten ziehen.
Russlands aktuelle außenpolitische Doktrin sieht die OSZE nicht als Gegner – im Gegensatz zu NATO, EU und Europarat.
Was der OSZE ebenso hilft: Auch autoritäre Staaten betrachten sie als nützlich. Zentralasien, zwischen Russland und China eingekeilt, will die Beziehungen zu Europa vertiefen. Ein weiterer Vorteil: Russlands aktuelle außenpolitische Doktrin sieht die OSZE nicht als Gegner – im Gegensatz zu NATO, EU und Europarat.
Damit die OSZE wieder relevanter wird, brauchen Demokratien jedoch eine Strategie, wie sie mit autoritären Staaten innerhalb der OSZE umgehen können. Schließlich schwächen vor allem Autokratien die Organisation – obwohl auch Demokratien die OSZE oft vernachlässigt und Probleme mit eigenen autoritär-populistischen Strömungen haben. Autokraten sehen insbesondere die Menschenrechte, die in der „Menschlichen Dimension“ der OSZE festgeschrieben sind, als Gefahr für ihren Machterhalt, also etwa freie Wahlen, Versammlungsfreiheit und freie Medien. Eine Demokratisierung des OSZE-Raums ähnlich wie in den 1990er Jahren, als die Gründung liberaler Institutionen möglich war, ist mittelfristig unwahrscheinlich. Staaten wie Tadschikistan und Turkmenistan zählen zu den repressivsten der Welt, hinzu kommen Russland, Belarus oder Aserbaidschan, und selbst Serbien gilt nur noch als teilweise freies Land.
Eine Strategie gegen Autokratie ist in der OSZE leider noch komplizierter als auf globaler Ebene. Die OSZE war schon immer ein Club nicht-gleichgesinnter Staaten; jeder Versuch, innerhalb des Verbunds eine Allianz gegen Autokratie zu bilden, würde die Organisation auseinanderbrechen lassen. Darüber hinaus suchen Deutschland und andere westliche Demokratien, um Russland zu isolieren, eine engere Zusammenarbeit mit Staaten wie Kasachstan.
Eine Strategie gegenüber Autokratien innerhalb der OSZE braucht viele Bausteine. Erstens sollten Demokratien Themen identifizieren, die zum einen grenzüberschreitend und damit nur gemeinsam lösbar sind, und zum anderen auch für Autokraten interessant sind. Hierbei bietet sich vor allem die Begrenzung der Sicherheitsfolgen des Klimawandels an.
Wenn Demokratien Grundrechte abbauen, befeuern sie autokratische Propaganda, die gerne von Doppelstandards spricht.
Zweitens sollten Demokratien hierbei für eine Zusammenarbeit mit Russland offen sein. Freilich ist es schwierig, mit einem Russland zusammenzuarbeiten, das offen revisionistisch ist, anders als die Sowjetunion, die mit Hilfe der KSZE den Status quo zementieren wollte. Ob die OSZE wieder eine zivile Friedensoperation in der Ukraine leiten oder als Forum für Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle dienen kann, hängt davon ab, ob Russland „nur noch“ autokratisch und nicht mehr imperialistisch sein wird. Aber selbst ein revisionistisches Russland sollte daran interessiert sein, eine nicht-gewollte militärische Eskalation zu verhindern. So könnte der militärische Informationsaustausch wieder zu einer sicherheitsbildenden Maßnahme in der OSZE werden.
Drittens sollten Demokratien darauf achten, dass sich die OSZE bei Themen engagiert, bei denen nicht schon andere (finanzstärkere) internationale Organisationen dominieren, oder sie sollte zumindest mehr Koordination fordern. So laufen OSZE-Programme zum Grenzschutz in Zentralasien parallel zu Programmen der EU und der Vereinten Nationen.
Viertens: Damit Demokratien die OSZE-Menschenrechtsverpflichtungen schützen können, müssen sie glaubwürdig sein. Wenn Demokratien Grundrechte abbauen, befeuern sie autokratische Propaganda, die gerne von Doppelstandards spricht. Bei der Zusammenarbeit mit Autokratien sollten Demokratien die Folgen für die lokale Bevölkerung und nicht die eigenen Sicherheitsinteressen an erste Stelle setzen. Beispielsweise birgt die polizeiliche Zusammenarbeit mit Zentralasien das Risiko, ungewollt repressive Sicherheitskräfte zu stärken. Glaubwürdig zu sein, heißt auch, dass sich Demokratien gegenseitig kontrollieren. So ist die Praxis insbesondere von EU-Mitgliedern, einander innerhalb der OSZE von Kritik auszunehmen, problematisch.
Die Krise des Liberalismus schwächt die OSZE – einer inklusiven, auf liberalen Prinzipien basierenden Sicherheitsorganisation – von innen. Hinzu kommen Herausforderungen von außen, insbesondere der wachsende Einfluss Chinas im OSZE-Raum. Demokraten in der OSZE müssen das richtige Maß an Kooperation und Kontroverse finden, damit die Organisation wieder vitaler wird. Eine entsprechende Strategie wäre wichtiger als 50-Jahr-Geburtsfeiern, bei denen Symbolik – wie Gruppenfotos mit Autokraten – das kaputte Fundament der OSZE verdeckt.