Am vierten April treffen sich die Außenminister der NATO in Washington, um den siebzigsten Geburtstag des Bündnisses zu feiern. Aber die grundsätzliche Sorge über die Zukunft der NATO, die sich auf beiden Seiten des Atlantik verbreitet, kann durch die Festlichkeiten kaum übertüncht werden. Der Hauptgrund für diese Unruhe ist natürlich US-Präsident Donald Trump. Immer wieder feuert er Breitseiten gegen Verbündete, die nicht genug für Verteidigung ausgeben. Gern lässt er auch offen, ob die Vereinigten Staaten ihren Verpflichtungen zur gemeinsamen Verteidigung weiter nachkommen werden, und er macht keinen Hehl aus seiner Neigung, die USA aus der Allianz zurückzuziehen. Dies lässt befürchten, 2019 könnte kein Festjahr für die NATO werden, sondern ein Jahr des Nachrufs. 

Aber Trumps Hetzreden sind nicht der einzige Grund zur Sorge. Ein großer Chor auf Realismus bedachter Strategen behauptet, in den Vereinigten Staaten sei eine große strategische Neuausrichtung überfällig, und es sei höchste Zeit für Europa, sich um sich selbst zu kümmern. Sogar eingefleischte Verteidiger der NATO sorgen sich um die Zukunft des Bündnisses. Einige haben Angst, die USA könnten sich aufgrund ihres zunehmenden Engagements in Ostasien von ihrer atlantischen Berufung abwenden und transatlantische Spannungen darüber auslösen, wie am besten mit dem Aufstieg Chinas umgegangen werden soll. Andere befürchten, demokratische Auflösungserscheinungen in einigen Mitgliedstaaten könnte die auf gemeinsamen Werten beruhende Solidarität innerhalb des Bündnisses gefährden. Enge Beobachter der NATO sind außerdem der Ansicht, die EU-Bemühungen um eine stärkere europäische Integration der Außen- und Verteidigungspolitik könnte letztlich die atlantische Verbindung schwächen. Und auf beiden Seiten des Atlantik tobt die Debatte darüber, ob die NATO-Erweiterung die europäische Stabilität verbessert oder untergraben hat und ob sie auf Kosten der westlichen Beziehungen zu Russland fortgesetzt werden soll.

Die NATO hat mit ihrer Fähigkeit beeindruckt, sich seit dem Ende des Kalten Krieges an den Wandel der geopolitischen Umgebung anzupassen. 

All diese Sorgen sind nicht gerechtfertigt: Mit ihren siebzig Jahren ist die NATO in bemerkenswert guter Form. Ja, die europäischen Verbündeten haben ihre Verteidigungsausgaben vernachlässigt, und einige Mitgliedsländer – darunter vor allem Ungarn, Polen und die Türkei – lassen in demokratischer Hinsicht zu wünschen übrig. Aber die NATO hat mit ihrer Fähigkeit beeindruckt, sich seit dem Ende des Kalten Krieges an den Wandel der geopolitischen Umgebung anzupassen – und dabei zu gewährleisten, dass die Vereinigten Staaten und Europa weiterhin enge Partner bleiben. Das Bündnis hat seine Türen für die neuen Demokratien des ehemaligen Ostblocks geöffnet und dazu beigetragen, Sicherheit und Demokratie in einem größeren Europa zu verankern. Seit der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2014 haben die Mitgliedstaaten außerdem wichtige Schritte unternommen, um die Abenteuerlust des Kreml besser abwehren zu können. In aller Welt hat die NATO Partnerschaften geschlossen und über das Territorium der Mitgliedsstaaten hinaus ehrgeizige Missionen geführt – darunter vor allem im Balkan, in Afghanistan und in Libyen. Gleichzeitig hat sich das Bündnis auf neue Gefahren wie Cyber-Terrorismus, hybride Kriegsführung und Migration eingestellt. Gerade weil die NATO so geschickt und effektiv war, genießt sie auf beiden Seiten des Atlantik starke politische Unterstützung. Daher steht Trump mit seiner lautstarken Kritik ziemlich allein da.

Ihr achtes Jahrzehnt beginnt die NATO in ziemlich guter Gesundheit, da sie die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder auf bewundernswerte Weise vertritt. Durch die russische Aggression in der Ukraine wurde die traditionelle Mission der NATO als territoriales Verteidigungsbündnis wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Vereinigten Staaten haben ihre Präsenz an der Ostflanke verstärkt, und die Trump-Regierung willigte ein, die Ausgaben für die europäische Verteidigung zu erhöhen und zusätzliche US-Truppen auf den Kontinent zu verlegen. Auf ihrem Gipfel von 2018 führte die NATO zwei neue Kommandos ein, die die Sicherheit der Meeresverbindungen zwischen Nordamerika und Europa erhöhen und die Mobilität der Streitkräfte zwischen Nordamerika und Europa verbessern sollen.

Weiterhin hat die NATO dazu beigetragen, die ethnischen Konflikte auf dem Balkan der 1990er Jahre zu beenden. Bis heute verfügt sie dort über Truppen, um den Frieden zu schützen. Trotz der Schwierigkeiten und Gefahren der Mission in Afghanistan ist die NATO seit 2003 auch dort auf Kurs geblieben. Sie steht weiterhin zu ihrer ersten und einzigen Aktivierung des Artikel 5 – der Verpflichtung zur gemeinsamen Verteidigung – nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Auch hat das Bündnis entscheidend zum Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) beigetragen, indem es Überwachungsflugzeuge zur Verfügung stellte und dabei half, die irakischen Streitkräfte auszubilden. Und schließlich hat die NATO Schiffe in die Ägäis und ins Mittelmeer gesandt, um dort Sicherheit zu schaffen und zur Lösung der Migrationskrise beizutragen.

Zusätzlich zu diesen Missionen arbeitet die NATO ständig daran, ihre vielen Partner zu stärken. Mit ihrer „Partnerschaft für den Frieden“ bietet sie den Nichtmitgliedstaaten im euro-atlantischen Raum Training und Ausbildung an. Und im Rahmen des Mittelmeerdialogs und der Istanbuler Kooperationsinitiative werden viele Länder im weiteren Nahen Osten beraten, darunter Ägypten, Israel, Marokko, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Außerdem bestehen Kooperationsvereinbarungen mit weltweiten Partnern wie Australien, Japan, Südkorea und Pakistan. Ein Europäisches Kompetenzzentrum zur Bewältigung hybrider Bedrohungen wurde eröffnet, und das Bündnis ist dabei, ein neues Cyberspace-Operationszentrum zu gründen.

Je besser sich die Europäer verteidigen können, desto mehr werden auch die Vereinigten Staaten die atlantische Verbindung wertschätzen.

Natürlich wird die transatlantische Solidarität durch Trumps „America first“-Ansatz und seine feindliche Einstellung zur NATO erheblich beeinträchtigt. Auch wenn er nur eine Amtszeit bleiben sollte und sein Nachfolger die atlantischen Verbindungen erneuert, werden sich die Europäer verständlicherweise fragen, ob sie in den Vereinigten Staaten eigentlich einen verlässlichen und beständigen Verbündeten haben.

Und natürlich könnte die transatlantische Bredouille noch viel schlimmer werden: Trump könnte den Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Europa anordnen und damit letztlich das militärische Rückgrat der NATO brechen. Außerdem könnte er sich für einen Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Bündnis entscheiden. Aber obwohl Trump die Macht hat, das Bündnis zu ruinieren, wird er dies wahrscheinlich nicht tun. Weder in seiner eigenen Regierung noch in der amerikanischen Öffentlichkeit oder im Kongress gibt es nennenswerte Unterstützung für die Zerstörung der NATO. Auch wenn Trump wild zwischen außenpolitischen Beratern unterschiedlicher ideologischer Überzeugungen hin und her wechselt, sind diese alle kompetent genug, um den dauerhaften strategischen Wert der NATO zu verstehen. Obwohl der Kongress, wenn es um parteiübergreifende Zusammenarbeit geht, momentan an eine Wüste erinnert, reagieren seine Mitglieder auf Trumps NATO-Phobie, indem sie über alle Fronten hinweg Begeisterung für das Bündnis äußern. Und obwohl Trump die NATO auf ihrem Gipfeltreffen brüskierte und seine Verbündeten beleidigte und bedrohte, verabschiedete der US-Senat mit 97 gegen 2 Stimmen eine Resolution zur Unterstützung des Bündnisses. Auch das Repräsentantenhaus entschied sich so, und dies sogar einstimmig.

Ähnlich stark ist die Unterstützung auf der anderen Seite des Atlantik: Die Allianz wird von etwa zwei Dritteln der Europäer befürwortet. Die meisten europäischen Demokratien, die noch keine NATO-Mitglieder sind, möchten dies gern werden. Obwohl das Vertrauen in die US-Führung gelitten haben mag, legen die Europäer weiterhin Wert auf die amerikanische Sicherheitsgarantie. Darüber hinaus machen sich die europäischen Mitgliedstaaten endlich daran, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. 24 der 29 NATO-Mitglieder haben 2018 ihre Verteidigungshaushalte vergrößert, und neun von ihnen werden dieses Jahr das Bündnisziel erreichen, zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben – verglichen mit nur vier im Jahr 2014. Die meisten Mitgliedstaaten sind auf dem besten Weg, diese Grenze bis zum Zieljahr 2024 zu erreichen.

Sogar Trump lobt Europa für die Erhöhung der Militärausgaben. Tatsächlich begann dieser Prozess aber bereits, bevor Trump gewählt wurde – als Ergebnis der russischen Invasion in der Ukraine und des Gipfels von 2014, als das Zwei-Prozent-Ziel festgelegt wurde. Trotzdem: Wenn der US-Präsident durch unser Zugeständnis, dass er die Europäer dazu gebracht hat, mehr in Verteidigung zu investieren, das Bündnis in einem besseren Licht sieht, sollten wir ihm diesen Erfolg unbedingt gönnen.

Natürlich sichern sich die europäischen Politiker ab. Die Europäische Union reformiert ihre Verteidigung, um ihre „strategische Autonomie“ zu fördern – nur für den Fall, dass sich die Europäer plötzlich allein wiederfinden. Aber eine solche Entwicklung würden sie wohl kaum begrüßen. Insbesondere angesichts dessen, dass die europäische Integration durch Brexit und Populismus behindert wird, ist das Letzte, was die Europäer wollen, ein Rückzug ihrer amerikanischen Beschützer. Und je besser sich die Europäer verteidigen können, desto mehr werden auch die Vereinigten Staaten die atlantische Verbindung wertschätzen.

Das Bündnis sollte keinesfalls seine eigene Glaubwürdigkeit dadurch untergraben, dass es tief in die russische Peripherie eindringt und dort Verpflichtungen eingeht, die es im Ernstfall kaum erfüllen könnte.

Wenn Trump nicht nur darauf besteht, dass die Verbündeten ihren fairen Anteil an der Verteidigungslast übernehmen, sondern auch – wie beim Beitritt von Montenegro 2017 – die Pläne zur Vergrößerung des Bündnisses in Frage stellt, hat er damit Recht. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die NATO in Zentral- und Osteuropa dreizehn neue Mitglieder aufgenommen – und damit die Beziehungen zu Russland erheblich unter Druck gesetzt. Die Reaktion des Kreml ist verständlich: Würde Russland ein Militärbündnis mit Kanada und Mexiko schließen und Truppen an die US-amerikanische Grenze verlegen, würden wohl auch die Amerikaner kaum ruhig sitzen bleiben. Trotzdem wirft die NATO weiterhin ihr Auge auf den Balkan und will ihre Erweiterung fortsetzen. Jetzt, nachdem es den Namensstreit mit Griechenland beigelegt hat, ist Nordmazedonien an der Reihe.

Den Rest des Balkans aufzunehmen macht Sinn, da dies der NATO ermöglicht, eine Region, die immer noch von ethnischen Spannungen und russischer Einmischung geplagt ist, zu stabilisieren. Danach sollte die NATO allerdings ihre Türen schließen. Noch weiter nach Osten zu expandieren und Georgien und der Ukraine die Mitgliedschaft anzubieten – wie es auf dem NATO-Gipfel von 2008 versprochen wurde – würde bedeuten, den offenen Konflikt mit Russland zu riskieren. In der Tat hat Russland 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine bereits Gebiete an sich gerissen, um die Bemühungen dieser Länder um NATO-Mitgliedschaft zu blockieren. Darüber hinaus sollte das Bündnis keinesfalls seine eigene Glaubwürdigkeit dadurch untergraben, dass es tief in die russische Peripherie eindringt und dort Verpflichtungen eingeht, die es im Ernstfall kaum erfüllen könnte.

Im letzten Jahrzehnt wurde in der NATO über zukünftige Vergrößerungen diskutiert, und dies wird wahrscheinlich so weitergehen. Aber das Bündnis täte besser daran, die Zweifel Trumps über die Erweiterungen zu nutzen. Dies würde die Länder der russischen Peripherie dazu bewegen, andere Möglichkeiten zu suchen, und Russland selbst dazu ermutigen, die Unterdrückung seiner Nachbarn zu beenden.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Dieser Artikel erschien in der Langversion ursprünglich auf ForeignAffairs.com.