Wie soll man mit China umgehen? Die westlichen Industrieländer bemühen sich seit Längerem um eine überzeugende Strategie gegenüber dem Reich der Mitte. Ein Resultat des jüngsten G7-Gipfels in Hiroschima ist die Entwicklung einer solchen gemeinsamen China-Strategie – zumindest in der Theorie. Die sieben wirtschaftlichen Großmächte, in der G7 vereint, sind sich gemäß dem Abschlusskommuniqué darüber einig, dass es nicht darum geht, sich wirtschaftlich von China abzukoppeln, sondern Risiken zu vermeiden und Abhängigkeiten abzubauen. Diese Strategie wird jetzt mit dem griffigen angelsächsisch Begriff De-Risking, also Risikominimierung, bezeichnet. So weit die Theorie. Ob und wie diese Politik in der Praxis umgesetzt wird, ist jedoch offen. Denn trotz der übereinstimmenden Erklärungen der G7-Regierungen ist zu erwarten, dass jedes Land – je nach Interessenlage – etwas anderes unter De-Risking versteht.

Zwei Großereignisse, die Coronapandemie sowie Russlands Krieg gegen die Ukraine haben innerhalb der G7 und darüber hinaus zu einer Neubewertung der Beziehungen zu China geführt. Die Pandemie hat die Vulnerabilität der ökonomischen Lieferketten aufgezeigt, als man besonders in Europa feststellen musste, nicht ausreichend mit dringend benötigten medizinischen Produkten versorgt zu sein. Dies hat in einer ersten Schockreaktion zu einer Diskussion geführt, über die Möglichkeit der eigenen wirtschaftlichen Autarkie nachzudenken. Doch die Debatte wurde rasch beendet, zumal die Ökonomen, allen voran die Verfechter der Globalisierung, deutlich machen konnten, dass Autarkie angesichts der starken weltwirtschaftlichen Verflechtung von heute keine realistische Alternative ist.

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat dann schlagartig die Abhängigkeit von russischen Energie- und Rohstofflieferungen verdeutlicht. Da die Wirtschaftsbeziehungen zu China in sämtlichen Industrieländern noch umfassender sind – und damit im Krisenfall problematisch werden könnten –, wurde das Konzept der Diversifizierung der Lieferquellen propagiert. Um nicht in eine Situation der Abhängigkeit von China zu geraten, gilt es jetzt, die Anzahl der Bezugsquellen zu vergrößern, um eine Balance zwischen nationaler Sicherheit und wirtschaftlichen Interessen zu finden. Verkürzt formuliert: Wird die nationale Sicherheit bedroht, wird kritische Infrastruktur durch China kontrolliert, wenn chinesische Technologie, besonders in High-Tech-Bereichen, in großem Umfang eingesetzt wird und China weiterhin global kräftig investiert? Wie groß aber sind die ökonomischen Schäden, wenn die Kooperation mit China, der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt, bewusst eingeschränkt wird, um die eigene Resilienz zu erhöhen?

Ursprünglich wurde diese Politik vom früheren Präsidenten Donald Trump initiiert.

De-Coupling, also Entflechtung, war in den letzten Jahren die harte, eindeutige, parteiübergreifende Antwort in den USA auf die Konkurrenz mit China. Ursprünglich wurde diese Politik vom früheren Präsidenten Donald Trump initiiert. Besonders bei kritischen Technologien verfolgen die USA eine drastische Politik der Abschottung und führten weitreichende Exportkontrollen ein, um dem weltpolitischen Widersacher entscheidende Hochtechnologie vorzuenthalten. Weder die EU noch Japan verfolgen diese harte Linie. Die EU blieb bei der seit einigen Jahren propagierten Formel, dass China sowohl Partner, Konkurrent als auch systemischer Rivale ist. Mit dieser europäischen Konzeption konnte dann jedes Land für sich interpretieren, welcher der drei Aspekte die größte Bedeutung haben sollte. Damit verfolgten sowohl die Gruppe der G7 als auch die 27 EU-Mitglieder eine Politik, die man als überzeugende China-Strategie bezeichnen konnte.

Anscheinend konnten jetzt die sechs übrigen G7-Mitglieder die USA davon überzeugen, die harte Linie des De-Coupling aufzugeben. Denn im Abschlusskommuniqué des G7-Treffens in Hiroschima heißt es wörtlich, dass die G7 „konkrete Schritte“ für eine gemeinsame Politik zur Stärkung der wirtschaftlichen Resilienz unternehmen, die auf „der Diversifizierung und Vertiefung von Partnerschaften und des De-Risking und nicht De-Coupling beruht“. Die Zielvorstellung im Verhältnis zu China ist also Risikominderung und nicht Entkopplung. Und an anderer Stelle im Kommuniqué heißt es noch expliziter:

„Unsere politischen Ansätze sind weder darauf ausgerichtet, China zu schaden, noch versuchen wir, Chinas wirtschaftlichen Fortschritt und seine Entwicklung zu vereiteln. Ein wachsendes China, das sich an internationale Regeln hält, wäre von globalem Interesse. Wir entkoppeln uns nicht und wenden uns nicht nach innen. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass wirtschaftliche Resilienz Risikominderung und Diversifizierung erfordert. Wir werden individuell und kollektiv Schritte unternehmen, um in unsere eigene wirtschaftliche Dynamik zu investieren. Wir werden übermäßige Abhängigkeiten in unseren kritischen Lieferketten reduzieren.“

Der Begriff De-Risking, ursprünglich in der internationalen Finanzwelt verwendet, erlangte große Popularität als die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März 2023 vor ihrer Reise nach Beijing in einer Grundsatzrede mehrfach von De-Risking sprach: „Ich glaube, dass es weder sinnvoll noch im Interesse Europas ist, sich von China abzukoppeln. Unsere Beziehungen sind nicht schwarz oder weiß – und unsere Antwort kann es auch nicht sein. Aus diesem Grund müssen wir uns darauf konzentrieren, das Risiko zu verringern – nicht zu entkoppeln.“

„Ein wachsendes China, das sich an internationale Regeln hält, wäre von globalem Interesse.“

Handelt es sich mit dem De-Risking-Konzept der G7 also um eine substanziell neue Strategie gegenüber China? Bereits in ihrer Grundsatzrede vom März erwähnte von der Leyen ausdrücklich, es sei notwendig, in kritischen Bereichen – besonders in High-Tech-Bereichen wie Mikroelektronik, Quantencomputern, Robotik, Künstliche Intelligenz, Biotechnologie – „neue Werkzeuge der Verteidigung zu entwickeln“. Die Regierungen in Großbritannien und Japan übernahmen diese Politik, während die USA nun auch von De-Risking sprechen. Damit nähern sich die amerikanische und die europäischen Positionen an. Ob dies zu konkreten Veränderungen führt, bleibt jedoch abzuwarten.

Chinas Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die Regierung in Peking warf den G7 und vor allem den USA „wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen“ vor, China zu verleumden und sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Mit Blick auf einen Kommentar des britischen Premiers Rishi Sunak, dass China die größte globale Gefahr darstelle, hieß es in Peking sogar: „Äußerungen der britischen Seite sind nichts anderes als das Nachplappern von Worten anderer und stellen böswillige Verleumdungen dar, die den Tatsachen nicht gerecht werden.“ Einerseits signalisiert die chinesische Regierung, weiterhin für wirtschaftliche Kooperation offen zu sein. Andererseits geht sie zu Gegenmaßnahmen über. Unmittelbar nach dem G7-Gipfel unterzog die chinesische Regierung die US-amerikanische Firma Micron Technology, die in China Halbleiter herstellt, einer Cyber-Sicherheitsüberprüfung. Ziel dieser Maßnahme: „Gewährleistung der Sicherheit der Lieferkette der Informationsinfrastruktur.“ Mit anderen Worten: Wie du mir, so ich dir, lautet die chinesische Retourkutsche.

Was ist also neu an der G7-Politik des De-Risking? Der Begriff beinhaltet vielleicht weniger negative Assoziationen als De-Coupling. Risikominimierung klingt vielleicht etwas diplomatischer als die harte Forderung nach Entflechtung oder Abkopplung. „Wer will schon nicht die Risiken reduzieren?“, kommentierte Bates Gill, Chinaexperte und ehemaliger Direktor des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI. „Es ist nur rhetorisch eine viel smartere Art, darüber nachzudenken, was getan werden muss.“ Zu befürchten ist jedoch, dass sich die Auseinandersetzungen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und den G7-Ländern durch diese Risikominimierungsstrategie kaum ändern werden. Die Positionen sind nach wie vor verhärtet.