Dürfen wir im Verteidigungsbereich sparen oder müssen wir mehr ausgeben? Angesichts der ersichtlichen Kosten der Pandemiebewältigung war diese Debatte vorhersehbar. Tatsächlich war der erste Corona-Schock im Frühjahr noch nicht einmal verwunden, da traten schon die Mahner auf den Plan: Angesichts der zu erwartenden Kosten für die Bewältigung der Corona-Krise dürften die Haushalts-Aufwüchse im Verteidigungsbereich nicht in Frage gestellt werden.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnerte schnell daran, dass die NATO-Alliierten beschlossen hätten, mehr für die Verteidigung auszugeben, weil wir in einer unsichereren, weniger berechenbaren Welt leben. Da sich dies nicht verändert habe, erwarte er, dass die Alliierten den eingegangenen Selbst-Verpflichtungen (sprich: der Jagd nach dem Zwei-Prozent-Ziel) weiter nachkommen. Vereinfacht ausgedrückt: Die Bekämpfung der Corona-Folgen ist teuer, aber das ist nicht das Problem der Verteidigungspolitik.

Die Autoren eines aktuellen DGAP-Policy-Briefs griffen die Problematik der Verteidigungshaushalte in Corona-Zeiten in einem spannenden Europa-Vergleich auf. Sehr realistisch wird dort analysiert, dass es zwar bisher noch keine Einschnitte bei den Verteidigungshaushalten in Europa gab, es dabei aber wohl nicht bleiben wird. Gerade die Verteidigungshaushalte großer und besonders von der Pandemie betroffener südeuropäischer Länder wie Spanien und Italien dürften absehbar stark unter Druck geraten, so die Autoren.

In einem Nebensatz wird attestiert, dass dies auch daran liege, dass „die dortigen Regierungen weniger Spielraum in der Wahl zwischen schuldenfinanzierten Haushalten und Austeritätspolitik haben“. Eine sicherheitspolitische Kritik an der Austeritätspolitik also? Es bleibt aber bei diesem kurzen Seitenblick über den Tellerrand des sicherheitspolitischen Silos. Danach führt die europäisch-vergleichende Perspektive wieder zu einer recht spezifischen Schlussfolgerung für den deutschen Verteidigungshaushalt. Angesichts unvermeidlicher Kürzungen in anderen Staaten heißt es: „Die eigene Budgetplanung im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten oder sogar aufzustocken, wäre ein erstes wichtiges Signal“.

Gerade die Verteidigungshaushalte großer und besonders von der Pandemie betroffener südeuropäischer Länder wie Spanien und Italien dürften absehbar stark unter Druck geraten.

Und man muss offen zugestehen: Sowohl DGAP als auch Generalsekretär Stoltenberg haben mit ihrer Bestandsaufnahme recht. Die Welt scheint ganz offensichtlich unsicherer und unberechenbarer geworden zu sein. Und die von der DGAP konstatierten Fähigkeits-Defizite europäischer Streitkräfte sind ebenfalls unangenehm real. Man kann also festhalten: Es gibt tatsächlich gute Gründe eher mehr als weniger in Verteidigung zu investieren (ohne damit gleich wieder in die unselige Zwei-Prozent Debatte abzurutschen). Und tatsächlich wird genau das wohl auch für 2021 realisiert werden. Schön und gut, aber an dieser Stelle ist das strategische Tagewerk keineswegs getan. Denn mit einer Scheuklappen-Logik nach dem Motto „soll halt ein anderes Ressort sparen, bei der Verteidigungspolitik wird nicht gekürzt“, begibt sich die Sicherheitspolitik absehbar in eine strategische Sackgasse.

Zwei Fragen muss man sich in dieser Situation ernsthaft stellen. Erstens: An welcher anderen Stelle im Bundeshaushalt soll mittelfristig das Geld eingespart werden, welches für die Bewältigung der Coronakrise benötigt wird ohne die viel beschworene Resilienz von Staat und Gesellschaft zu gefährden? Zweitens: Wenn nicht über Einsparungen in anderen Haushalten, wie sollen die erforderlichen Kosten sonst gedeckt werden? Steuern erhöhen oder Schulden machen?

Die erste Frage kann man recht schnell abhandeln. Schon vor der Corona-Krise gab es eine große Einigkeit dahingehend, dass in einer ganzen Reihe von Politikfeldern endlich mehr investiert werden müsste. Zur Überwindung von Bildungsmisere und Pflegenotstand, zur Abwendung oder zumindest Abmilderung der Klimakatastrophe, und zur Ertüchtigung der physischen und digitalen Infrastruktur, um nur die drängendsten Problemfelder zu nennen.

Man muss kein Finanzexperte sein um zu erkennen, dass angesichts der Problemdimensionen, um die es in diesen Bereichen wie auch bei der Corona-Krise geht, eine Finanzierung durch Einsparungen an anderer Stelle auf absehbare Zeit illusorisch ist. Kurzfristig bleibt gar keine andere Wahl, als die hohen Kosten vor allem über Neuverschuldung zu finanzieren. In der Krise sparen würde bedeuten die Krise zu verschärfen und auf die Schnelle ist eine andere Form der Finanzierung nicht zu stemmen. Doch für alle darauffolgenden Haushalte wird die Frage der mittel- und langfristigen Finanzierung der öffentlichen Ausgaben – inklusive der nun kurzfristig massiv ausgeweiteten Verschuldung – umso drängender auf die Agenda rücken. Sie wird die strategische Schlüsselfrage werden.

Schon vor der Corona-Krise gab es eine große Einigkeit dahingehend, dass in einer ganzen Reihe von Politikfeldern endlich mehr investiert werden müsste.

Höchste Zeit also für die so genannte „strategic community“ sich zu positionieren. Sollen die zusätzlichen Finanzbedarfe für Verteidigung (ebenso wie für die anderen Politikfelder) durch Steuer- und Abgabenerhöhungen finanziert werden oder durch dauerhafte Verschuldung weit jenseits der Schuldenbremse? Natürlich kann man sich hier elegant aus der Affäre ziehen und der Politik im Allgemeinen und den Finanzpolitikern im Besonderen den schwarzen Peter zuschieben.

Aber das wäre nur dann angemessen, wenn die Frage, woher das ganze Geld denn kommen soll keine sicherheitspolitische oder strategische Relevanz hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich hat es auch massive sicherheits- und verteidigungspolitische Konsequenzen, wenn an anderen Punkten im Bundeshaushalt gespart wird oder man sich unbesorgt einer unbegrenzten Verschuldungspolitik verschreibt.

Sparen wir heute bei Umwelt- und Klimaschutz, Bildungs-, Sozial- und Entwicklungspolitik, wird dies unser sicherheitspolitisches Umfeld von morgen nur noch weiter belasten. Und gerade angesichts der notwendigerweise auf Jahrzehnte statt auf Jahre angelegten Haushaltsplanungen im Verteidigungsbereich ist es mehr als fraglich, ob die Finanzierung von zusätzlichen Verteidigungsausgaben tatsächlich nachhaltig sein und mittelfristig die eigene Glaubwürdigkeit und Abschreckungsfähigkeit erhöhen kann.

In anderen Politikbereichen denkt man ganz offensichtlich strategischer und weniger schüchtern. Der Ausgangspunkt ist ähnlich wie im Fall der Verteidigungspolitik die Angst vor den Corona-Kosten. Der Abbau der Corona-Schulden dürfe nicht durch Leistungskürzungen im Sozialbereich erfolgen, wie es teilweise bereits gefordert werde, stellte die Präsidentin des Sozialverbands VdK fest. Doch im Gegensatz zur Verteidigungspolitik belässt es der VdK nicht bei der schlichten „Finger weg vom Sozialhaushalt“-Logik sondern geht konsequent einen Schritt weiter und fordert eine einmalige Vermögensabgabe.

Tatsächlich erscheint diese Option fast schon zwingend. Vermutlich hätte man auch schon die Kosten der Finanzkrise auf diese Weise finanzieren sollen anstatt durch europaweiten Austeritätsdruck. Die damalige Entscheidung hat Folgen, die bis heute reichen – auch im sicherheitspolitischen Bereich (siehe Einspardruck auf Verteidigungshaushalte in den südlichen EU-Staaten und europaweiter Fähigkeitsabbau).

Wenn der neoliberale Zeitgeist wieder Fuß fasst, stehen alle Zukunftsinvestitionen in einen leistungsfähigen Staat zur Disposition.

Spätestens jetzt aber gehört die Debatte um eine Vermögensabgabe oder eben über alternative Instrumente zur Finanzierung aller grundlegenden Zukunftsherausforderungen – von Finanzkrise über Klimakrise und Coronakrise bis hin zur zukunftsfähigen europäischen Verteidigungspolitik – ganz oben auf die politische Agenda. Die politischen Entscheidungen, die hier in den kommenden beiden Jahren anstehen, werden wesentlich nicht nur darüber entscheiden wie wir uns verteidigen können, sondern vor allem auch darüber, was es zukünftig überhaupt noch zu verteidigen gibt.

Ressortspezifisches Spiegelfechten um Haushaltsanteile mit angelegten Scheuklappen ist da brandgefährlich. Gerade die Sicherheits- und Verteidigungspolitik darf sich an dieser Stelle nicht im sicherheitspolitischen Silo verbunkern. Schon jetzt wird in der allgemeinen politischen Debatte der alte Gassenhauer der Austerität wieder intoniert und absehbar im Wahljahr 2021 in Dauerschleife laufen.

Machen wir uns nichts vor: Wenn der neoliberale Zeitgeist wieder Fuß fasst, stehen alle Zukunftsinvestitionen in einen leistungsfähigen Staat zur Disposition – inklusive derjenigen im Verteidigungsbereich. Kluge Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss daher schon heute Positionen entwickeln und beziehen, wie die enormen Kosten vor denen wir in vielen Politikbereichen stehen, solide und gerecht finanziert werden sollen.

Denn eins ist klar: Wenn die neoliberalen Budget-Rasenmäher am Ende der Krise politisch schon wieder die Oberhand gewinnen sollten, stehen Panzer auf Pump auf einem ähnlich verlorenen Posten wie eine anspruchsvolle Bildungs-, Gesundheits-, Klima-  und Sozialpolitik. Wer also in den kommenden Jahren Fortschritte auf dem Weg zu einem souveränen, gerechten und nachhaltigen Europa machen will, muss heute offensiv und selbstbewusst in den Kampf um dessen Finanzierung ziehen.