Seit 2020 kam es im frankophonen Westafrika zu sechs Staatsstreichen: zwei in Mali, zwei in Burkina Faso, einer in Guinea und zuletzt einer in Niger. Letzte Woche kam es zudem zu einem Putsch im zentralafrikanischen Gabun. Mit Ausnahme von Guinea stecken alle diese Länder in einer schweren Sicherheitskrise. Die Putschisten begründeten ihre Staatsstreiche unter anderem damit, dass sie angesichts des Unvermögens der gestürzten Regime eine Veränderung herbeiführen und die Sicherheitslage verbessern wollten. In allen Fällen gelang es der jeweiligen Militärjunta innerhalb kurzer Zeit, die weit verbreitete „antifranzösische Stimmung“ auszunutzen und sich den Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung zu sichern.

Ausgangspunkt der „antifranzösischen Stimmung“, oder genauer gesagt: der Ablehnung der französischen Afrikapolitik, war Mali. Von dort breitete sie sich auf andere Länder aus. Dabei war die französische Operation „Serval“ – eingeleitet im Januar 2013 und 2014 in „Barkhane“ umbenannt – von der Mehrheit der malischen Bevölkerung zunächst begrüßt worden, weil durch sie der damals von dschihadistischen Gruppen besetzte Norden von Mali befreit wurde. Im weiteren Verlauf verschärfte sich die Krise jedoch dramatisch: Sie weitete sich 2014 auf Zentralmali und ab Ende 2017 auch auf die Nachbarländer Burkina Faso und Niger aus. Die „antifranzösische Stimmung“ ist also auf das „Scheitern“ von internationalen Interventionen zurückzuführen, an denen Frankreich federführend beteiligt war – zumal Frankreich sich mit seinen Entscheidungen (allumfassender Sicherheitsansatz) durchgesetzt und sich über die Wünsche der malischen Bevölkerung (Notwendigkeit eines Dialogs mit den Dschihadisten) hinweggesetzt hatte.

Die „antifranzösische Stimmung“ ist also auf das „Scheitern“ von internationalen Interventionen zurückzuführen, an denen Frankreich federführend beteiligt war.

Neu gegründete umtriebige zivilgesellschaftliche Organisationen wie Yèrèwolo (was auf Bambara „würdige Söhne“ bedeutet) traten mit dem erklärten Ziel an, Frankreich zu verdrängen. In der Rhetorik dieser Organisationen wirke Paris an der Destabilisierung Malis mit, nur um seine Präsenz zu legitimieren. In den sozialen Medien wurden regelmäßig Gerüchte, Bilder und irreführende Videos verbreitet, die diese These untermauern sollten. Manchmal waren französische Soldaten zu sehen, die den Dschihadisten Ausrüstung lieferten oder illegal Gold aus Mali abtransportierten. Diese Fake News, die dem Image Frankreichs erheblich schadeten, wurden unter anderem von russlandfreundlichen Netzwerken unterstützt und teils auch finanziert.

In Mali, Burkina Faso und Niger erkannten die Putschisten, dass etwas antifranzösische Rhetorik schon genügte, um sich die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern. Nach ihrer Machtübernahme trafen alle drei Juntas dieselben Maßnahmen: Sie kündigten die militärischen Kooperationsabkommen, forderten den Abzug der französischen Truppen, verboten die französischen Radio- und Fernsehsender RFI und France 24 und wiesen die französischen Botschafter aus. Im Falle Nigers lehnt Frankreich alle von der Militärjunta gestellten Forderungen kategorisch ab unter dem Vorwand, es erkenne die Legitimität der Junta nicht an.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Staatsstreichs trafen sich die Staatschefs der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) im nigerianischen Abuja – ohne die vier Militärjuntas, die bislang von der Organisation ausgeschlossen sind. Es wurde eine Reihe von Sanktionen gegen Niger beschlossen: Unter anderem wurden alle Grenzen zwischen Niger und anderen Ländern geschlossen und der gesamte Handels- und Finanzverkehr mit Niger ausgesetzt. Außerdem setzte die ECOWAS den Putschisten unter Androhung einer Militärintervention eine Frist von sieben Tagen, um Präsident Mohamed Bazoum wieder einzusetzen. Als die Junta sich dem verweigerte, beschlossen die ECOWAS-Staatschefs bei einem zweiten Treffen am 10. August in Abuja, die Eingreiftruppe der ECOWAS zu mobilisieren und mit ihrer Hilfe die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung zu erzwingen. Inzwischen ist die Planung der militärischen Intervention abgeschlossen. Beginnen soll sie aber erst, wenn alle Möglichkeiten des Dialogs ausgeschöpft sind.

Das Risiko eines Fehlschlags einer ECOWAS-Militärintervention in Niger und eines langwierigen Konflikts ist durchaus real und sollte einkalkuliert werden.

Nach der Entmachtung von Präsident Bazoum entsandte die nigrische Junta umgehend eine Delegation nach Mali und Burkina Faso zu Gesprächen mit den Juntas dieser beiden Länder, die (wie auch Guinea) erklärten, keine der von der ECOWAS gegen Niger verhängten Sanktionen umzusetzen. Die westafrikanischen Juntas verbünden sich gegen ECOWAS und Frankreich: In einer gemeinsamen Erklärung kündigten die beiden Länder an, sie würden gegebenenfalls an der Seite Nigers gegen die Truppen der ECOWAS kämpfen. Angesichts dieser Ankündigung und des starken Rückhalts in der Bevölkerung ist ein militärisches Eingreifen in Niger komplizierter, als es zunächst den Anschein hat. Das Risiko eines Fehlschlags und eines langwierigen Konflikts ist durchaus real und sollte einkalkuliert werden. Darüber hinaus könnte eine solche Intervention die gesamte Region destabilisieren. Im Falle einer militärischen Operation müsste die nigrische Armee unweigerlich ihre Prioritäten ändern und könnte wegen ihrer begrenzten Ressourcen in eine schwere Schieflage gegenüber den dschihadistischen Gruppen geraten. Dies würde den Dschihadisten in die Hände spielen, denn sie könnten die Situation für sich nutzen und größere Geländegewinne erzielen.

Dass Mali und Burkina Faso sich mit Niger solidarisieren, hatte allerdings einen wichtigen Grund, der nicht unbedingt etwas mit Niger zu tun hat. Die ECOWAS lieferte sich schon vor dem Putsch in Niger einen Machtkampf mit den drei anderen Militärregierungen über die Dauer von deren Übergangszeit. Beide Staaten haben daher ein Eigeninteresse an einer geschwächten ECOWAS. Wenn die Regionalorganisation es nicht schafft, die Situation in Niger in den Griff zu bekommen, könnte dies weitreichende Folgen haben und einen Dominoeffekt auslösen, der womöglich zu langwierigen militärischen Übergangsprozessen und weiteren Staatsstreichen führt. Eine Militärintervention bringt also so viele Risiken mit sich, dass unbedingt eine andere Lösung ins Auge gefasst werden muss.

Die heute in Niger zu beobachtende Dynamik nach dem Putsch lässt die Wiedereinsetzung von Präsident Bazoum in sein Amt als Utopie erscheinen.

Als Frankreich voreilig zum Abzug aus Mali gedrängt wurde, verlegte es einen Teil seiner Truppen nach Niger, und Präsident Mohamed Bazoum wurde zum bevorzugten Gesprächspartner der westlichen Partner in der Region. Unter den Umständen eine möglicherweise sehr unpopuläre Entscheidung, mit womöglich negativen Auswirkungen auf die Legitimität und Beliebtheit von Präsident Bazoum. Die gewaltsamen Zusammenstöße, die sich im Zusammenhang mit der Durchfahrt der Barkhane-Militärkonvois ereignet haben, zeugen davon. Das Gleiche gilt für Deutschland, das Niger als „Ankerpunkt für die Stabilität in der Region“ betrachtete und im Begriff war, zusätzlich zu den etwa hundert bereits im Land befindlichen Soldaten weitere nach Niger zu entsenden. Auch die EU hat ihre Ausbildungsmission EUTM in Mali drastisch reduziert und einen Teil ihres Personals nach Niger verlegt.

Die westlichen Partner sollten bei ihren politischen Entscheidungen für die afrikanischen Länder mehr auf die öffentliche Meinung achten, anstatt sich ausschließlich nach den Wünschen der nationalen politischen Akteure zu richten, die oft wenig legitimiert und diskreditiert sind. Es liegt auf der Hand, dass die „Invasion“ der internationalen Streitkräfte in Niger von einem großen Teil der Bevölkerung schlecht aufgenommen würde.

Unter den gegenwärtigen Umständen sollte die ECOWAS auf jeden Fall den einzigen Weg des Dialogs mit der Junta verfolgen und dabei ihre Forderungen überdenken. Die heute in Niger zu beobachtende Dynamik nach dem Putsch lässt die Wiedereinsetzung von Präsident Bazoum in sein Amt als Utopie erscheinen. Andererseits dürften die bereits gegen Niger verhängten Sanktionen – mit Ausnahme des humanitären Aspekts – dazu beitragen, die Junta unter Druck zu setzen und sie zu Zugeständnissen zu zwingen, insbesondere was die Dauer und die Form des Übergangs (zu einer zivilen Regierung) betrifft, der eingeleitet werden soll.

Moskau kann den betroffenen Staaten eine andere Form von Sicherheit anbieten und sich damit an Frankreichs Stelle setzen.

Diese ungeordnete Gesamtsituation und das damit verbundene tiefe Misstrauen gegenüber Frankreich kommt Russland, das die Rolle des Opportunisten übernommen hat, sehr gelegen. Moskau kann den betroffenen Staaten eine andere Form von Sicherheit anbieten und sich damit an Frankreichs Stelle setzen – so geschehen in Mali mit dem Einsatz des privaten Militärunternehmens Wagner.

Alles in allem könnte man meinen, die wiederholten Staatsstreiche seien ein Ausdruck dafür, dass die betroffenen Länder weiter auf der Suche nach einem demokratischen Modell seien, da sie es seit der Demokratisierung zu Beginn der 1990er Jahre bis heute nicht verwirklichen konnten. Die um sich greifende Korruption und die überkommene Regierungsführung der Staaten haben tiefe Gräben zwischen den politischen Eliten und ihren Wählerinnen und Wählern aufgerissen. Die schwere Sicherheitskrise in Niger, Mali und Burkina Faso hat die ohnehin schon weitgehend dysfunktionalen Institutionen dieser Länder weiter geschwächt und die Lebensgrundlagen vieler Menschen zerstört. In diesem allgemeinen Chaos lässt sich die Anziehungskraft des Militärs für die Bevölkerung nicht zuletzt damit erklären, dass die Armee in der Regel disziplinierte, hierarchische und gut organisierte Strukturen hat. Dass die Bevölkerung zu der Erwartung neigt, die Organisation und der Geist des Militärs lasse sich auf die Gestaltung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung übertragen, ist normal. Rückblickend muss man allerdings feststellen, dass dies meist nicht der Fall ist.

Aus dem Englischen von Christine Hardung