Sollte Deutschland als konkrete Übernahme von mehr internationaler Verantwortung Waffen in den Irak liefern? Die Argumente dafür und dagegen sind vorgetragen. Zu 100 Prozent überzeugt weder das Pro noch das Contra. Wie so oft bei einem Dilemma gilt: Was nach der Entscheidung bleibt, ist ein ungutes Gefühl.

Tatsächlich bieten sich Deutschland und der internationalen Gemeinschaft im Nordirak und in Syrien eigentlich nur schlechte Optionen. Zu lange hat man der Gewalt in Syrien zugeschaut – die Folgen holen uns nun ein. Sicher, man kann und darf der Ausbreitung des IS nicht einfach so zusehen. Doch ist die Aufrüstung der IS-Feinde– sofern sie überhaupt einen positiven Nutzen bringt – tatsächlich eine nachhaltige und umsichtige Strategie?

Bei der Auseinandersetzung um deutsche Waffenlieferungen ja oder nein handelt es sich insgesamt um eine eher nebensächliche Debatte.

Schließlich ist das Aufrüsten von Konfliktparteien in der Region weder neu noch hat es eine besonders gute Erfolgsbilanz. Im Gegenteil: Eine der Wurzeln des Übels liegt ja gerade in der sprunghaften Unterstützung von lokalen Konfliktparteien durch die unterschiedlichsten Groß- und Regionalmächte. Dabei ist Beobachtern auch längst klar, dass der einzig sinnvolle Ansatz zur nachhaltigen Eindämmung des aktuellen Flächenbrandes in einer Kooperation aller Regional- und Globalmächte begründet liegt. Doch die setzen bisher augenscheinlich nicht auf Dialog, sondern auf Eskalation in den verschiedenen Schauplätzen eines vermeintlichen regionalen Stellvertreterkrieges. Die bittere Wahrheit: Deutschland hat hierauf nur begrenzten Einfluss. So kann (und sollte) Berlin zwar Druck aufbauen, dass die entscheidenden Weichenstellungen in Ankara, Doha, Riad, Teheran und Washington vorgenommen werden, doch der Schlüssel zur Lösung liegt schlichtweg nicht im eigenen Verfügungsbereich. Und auch die akute Eindämmung der Gewalt im Nordirak lässt tatsächlich nur wenig Raum für die deutsche Übernahme von Verantwortung. Denn machen wir uns nichts vor: Bei der Auseinandersetzung um deutsche Waffenlieferungen ja oder nein handelt es sich insgesamt um eine eher nebensächliche Debatte.

Die Übernahme von mehr deutscher Verantwortung ist tatsächlich aber an anderer Stelle dringend geboten. Mit Blick auf die Aufforderung „Think Big“ drei große Würfe, die wir besser heute als morgen wagen sollten:

 

Humanitäre Hilfe massiv aufstocken.

Die Entwicklungen im Irak sind nur ein weiterer dramatischer Fall von menschengemachten Katastrophen, die die humanitären Organisationen der internationalen Gemeinschaft vor schier unlösbare Aufgaben stellen: Syrien, Irak, Süd-Sudan, Zentralafrikanische Republik sind darunter nur die vier dramatischsten Einzelfälle. Heribert Prantl fragt in der Süddeutschen, „Wie sehen die Zahlen für Hilfsgüter aus Deutschland aus?“. Diese Frage geht in die richtige Richtung und ist doch irreführend. Ja, Deutschland engagiert sich umfangreich in der humanitären Hilfe. Jüngst hat das Auswärtige Amt die Mittel für den Irak noch einmal deutlich aufgestockt. Doch auch wenn Deutschland unter den Gebern gar nicht so schlecht da stehen mag, ist die Gesamtsituation dennoch dramatisch: Die Vereinten Nationen haben für das laufende Jahr einen weltweiten Hilfsbedarf in Höhe von 17,3 Milliarden US-Dollar gemeldet. Davon werden allein 6 Milliarden US-Dollar für Syrien und weitere 3,1 Milliarden für den Süd-Sudan benötigt. Bis zum August hat die internationale Gemeinschaft aber gerade einmal 7 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Bis zum Jahresende wird deshalb mit einer Deckungslücke von mindestens 5 Milliarden US-Dollar gerechnet. Sicher, humanitäre Hilfe wird die aktuellen Konflikte genau so wenig über Nacht lösen wie Waffenlieferungen. Doch sie einfach als „Placebo“ zu bezeichnen ist schlicht und ergreifend falsch: Von dieser Hilfe hängen Menschenleben ab. Ein Blick auf die uferlosen Flüchtlingslager in Jordanien lässt zudem kaum Zweifel daran, dass humanitäre Hilfe auch Krisenprävention bedeutet (womit wir bei der zweiten Großbaustelle wären).

 

Krisenprävention und Friedensförderung ernsthafter betreiben.

Die Situation im Nordirak erinnert einmal mehr daran, dass Krisenprävention und frühes, nachdrückliches Engagement zur Einhegung und Beendigung von gewaltsamer Eskalation einer (zu) späten Intervention vorzuziehen sind. Richtig gemacht bieten sie bei geringerem Aufwand dramatisch höhere Erfolgsaussichten. Sicher, diese Einsicht hilft nicht dabei, die Situation im Irak zu entspannen oder den Entscheidungsträgern schwere Entscheidungen abzunehmen. Doch richtig ist auch, dass jetzt die Weichen dafür gestellt werden müssen, solche Situationen zumindest in Zukunft öfter zu vermeiden. Die Einsicht ist nicht neu, wie nicht zuletzt ein Blick auf den Aktionsplan zivile Krisenprävention aus dem Jahr 2004 zeigt. In der Praxis hat man den nötigen Quantensprung aber bisher noch nicht gewagt.

 

Bestehende Friedensmissionen stärken

Während im Irak ein direktes Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft derzeit ebenso wenig realistisch wie wünschenswert sein mag, gilt dies für andere fragile und von Bürgerkrieg geplagte Staaten nicht: Im Falle der Zentralafrikanischen Republik, Somalias, der Demokratischen Republik Kongo und im Süd-Sudan – um nur einige zu nennen – stehen bereits international mandatierte UN-Friedensmissionen. Die internationale Gemeinschaft behandelt sie in den meisten Fällen wie ungeliebte Stiefkinder: Finanziell und personell unterausgestattet aber mit unrealistisch anspruchsvollen Mandaten überladen. Sie stehen regelmäßig dafür in der Kritik, dass sie den (unrealistisch hohen) Erwartungen mit ihren (unrealistisch geringen) Ressourcen nicht gerecht werden. Absurd. In diesen Fällen hat die internationale Gemeinschaft zwar bereits Verantwortung übernommen, aber eben vielfach allenfalls halbherzig. Hier könnte Deutschland in fast allen Bereichen mehr tun: Politisch, personell und finanziell.

Korrekt: Das gibt es nicht zum Nulltarif. In Zeiten der weltweiten Austeritätspolitik werden die erforderlichen Gelder alles andere als leicht zu bekommen sein. Deswegen sollten wir unsere politische Energie nicht primär in die Fortsetzung der politisch-moralischen Auseinandersetzung um Waffenlieferungen in den Nordirak stecken, die bereits entschieden ist. Widmen wir uns endlich dem Kampf um politische Mehrheiten für einen Quantensprung des deutschen Engagements in den Bereichen humanitäre Hilfe, Krisenprävention und Friedensförderung. „Scheckbuchdiplomatie“ war lange Zeit politisch verpönt. Doch bei allen akuten politischen Zwängen: In der derzeitigen Situation dürfte nichts zuverlässiger menschliches Leid begrenzen als der beherzte Griff zum Scheckbuch.