Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung auf dramatische Weise zerstört. Er ist das jüngste Ereignis in einer Reihe von Krisen und wirkt als „Brandbeschleuniger“ für die sich seit längerem abzeichnende tiefgreifende Transformation der internationalen Ordnung.
Dieser Umbruch fällt in eine Zeit gravierender globaler Krisen, die unter dem Sammelbegriff des Anthropozän diskutiert werden. Mehrere planetare Grenzen sind bereits überschritten und der Klimawandel ist längst eine Gefahr für die menschliche Sicherheit. Um dem entgegenzuwirken, verfolgt die Europäische Kommission seit 2019 den European Green New Deal, der unter anderem ambitionierte Emissionsreduzierungen vorsieht.
Putins Überfall verändert die klimapolitischen Rahmenbedingungen massiv.
Putins Überfall verändert jedoch die klimapolitischen Rahmenbedingungen massiv. Einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union importieren große Mengen fossiler Energieträger aus Russland und bescheren Moskau somit seit Kriegsbeginn Rekordeinnahmen in Milliardenhöhe. Die Europäische Kommission präsentierte im Mai 2022 den „REPowerEU“-Plan, um diese Importabhängigkeit zu beenden und gleichzeitig ihre klimapolitischen Ziele umzusetzen.
Parallel steigern zahlreiche Staaten ihre Verteidigungsausgaben. Für die Bundeswehr hat der Bundestag das Sondervermögen beschlossen. Diese Steigerung der Verteidigungsausgaben scheint – angesichts der eklatanten Mängel bei der Ausstattung der Bundeswehr und des russischen Überfalls – in Kombination mit einer Reform des Beschaffungswesens zwar geboten, läuft aber dem Kampf gegen den Klimawandel entgegen.
Klimawandel und militärische Verteidigung stehen in einem Spannungsverhältnis.
Klimawandel und militärische Verteidigung stehen in einem Spannungsverhältnis. Eine verbesserte Ausrüstung von NATO-Streitkräften kann zur Abschreckung aggressiver Staaten beitragen. Sie schützt jedoch nicht vor dem Klimawandel. Selbst wenn Streitkräfte bei klimabedingt zunehmenden Katastrophenlagen wie etwa Unwettern oder Pandemien zum Einsatz kommen, können Sie nur die immer heftigeren Symptome des Klimawandels bekämpfen.
Inzwischen befassen sich viele Streitkräfte, beispielsweise der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Australiens, aber auch anderer Staaten mit dem Klimawandel, weil er sie vor erhebliche Herausforderungen stellt. Veränderte Umgebungsbedingungen erschweren die militärische Operabilität, Streitkräfte werden vermehrt für den Katastrophenschutz und humanitäre Einsätze angefordert und gleichzeitig emittieren Militärs selbst große Mengen Treibhausgas.
Der Klimawandel führt zu häufigeren Extremwetterlagen. Insbesondere für die USA sind Auswirkungen auf Stützpunkte gut dokumentiert. Die Hälfte der US-amerikanischen Militärbasen meldet Beeinträchtigungen durch Unwetter. Dabei entstehen gravierende Schäden. Die Tyndall Airforce Base in Florida wurde im Jahr 2018 binnen weniger Stunden von Hurrikan Michael weitgehend zerstört. Dabei entstanden Schäden in Milliardenhöhe. Die Norfolk Naval Shipyards in Virginia, USA, der größte Marinestützpunkt der Welt, wird regelmäßig überflutet. US-amerikanische Stützpunkte in der Arktis sind gefährdet, weil das Eis unter den Fundamenten von Landebahnen, Hangars und Straßen schmilzt.
Die Klimaveränderungen erschweren auch den Einsatz militärischer Geräte. Beispielsweise warnt das norwegische Militär davor, dass die Performance ihrer Kampfjets aufgrund der veränderten atmosphärischen Zusammensetzung abnehmen könnte. Hitzewellen setzen zudem Soldaten und Munitionslager zusätzlichen Risiken aus und Extremwetter beeinträchtigen die Mobilität und Einsatzbereitschaft von Soldaten, etwa im Rahmen von Friedensmissionen.
Zunehmende Extremwetter und Naturkatastrophen werden zu vermehrten Katastrophenschutzeinsätzen führen. Viele Streitkräfte haben die Möglichkeit, schweres Gerät in unwegsames Gelände mit zerstörter ziviler Infrastruktur zu verlegen und können dadurch Rettung, Versorgung und Wiederaufbau unterstützen.
Einer Schätzung zufolge machen militärische Treibhausgasemissionen etwa 5 Prozent der weltweiten Emissionen aus.
Die Möglichkeiten der Streitkräfte zur Unterstützung der zivilen Klimafolgenbewältigung jenseits der unmittelbaren Reaktion auf Katastrophenlagen sind allerdings begrenzt. Es wird diskutiert, ob der Klimawandel eine Rolle als Konfliktursache spielt. Mehrere Studien berichten jedoch, dass die Qualität lokaler Institutionen erheblichen Einfluss darauf hat, ob Unwetterkatastrophen zu sozialen Unruhen führen. Führt man sich das Scheitern des Militäreinsatzes in Afghanistan vor Augen, ist zweifelhaft, ob militärisch gesicherte Stabilisierungseinsätze bei der langfristigen Entschärfung von Konflikten eine Rolle spielen können, die durch den Klimawandel verstärkt wurden.
Streitkräfte sind nicht nur vom Klimawandel betroffen, sie tragen auch erheblich zu ihm bei. Einer Schätzung zufolge machen militärische Treibhausgasemissionen etwa 5 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Das Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet Mitgliedstaaten zwar zu regelmäßigen Auskünften über nationale Treibhausgasemissionen, für militärische Emissionen gelten jedoch komplizierte Sonderregelungen, so dass die gemeldeten Emissionen nicht den tatsächlichen Umfang widerspiegeln.
Für mehrere westliche Streitkräfte liegen dennoch Zahlen vor. Einem Bericht zufolge dokumentieren die USA und Kanada innerhalb der NATO ihre Emissionen am transparentesten. Das Pentagon ist der weltweit größte staatliche Emittent von Treibhausgasen. Die Emissionen der US-Streitkräfte machen dabei drei Viertel der staatlichen Emissionen der USA aus. Die Bundeswehr hingegen meldet militärische Emissionen nur unvollständig.
Westliche Streitkräfte bekunden zunehmend die Absicht, ihre Emissionen zu senken. NATO-Generalsekretär Stoltenberg erklärte im Rahmen der VN-Klimakonferenz COP26, dass ohne eine Senkung militärischer Emissionen keine Klimaneutralität erreicht werden könne. Kürzlich veröffentlichten zwei US-Teilstreitkräfte eigene Klimastrategien. Das US-amerikanische Heer plant eine Senkung ihrer Treibhausgasemissionen um 50 Prozent bis 2030 gegenüber 2005 und will 2050 sogar klimaneutral sein. Die US-amerikanische Marine plant sogar eine Senkung um 65 Prozent bis 2032 gegenüber 2008. Eine Reihe weiterer Staaten, wie etwa Südkorea, Japan, Kanada, haben ebenfalls Senkungen militärischer Emissionen in ihren nationalen Sicherheitsstrategien festgeschrieben. Die Streitkräfte Russlands oder Chinas haben bislang hingegen offenbar keine Emissionsreduzierungen angekündigt.
Militärische Emissionen verteilen sich dabei im Wesentlichen auf zwei Bereiche. Einsparungen im Bereich Infrastruktur sind vergleichsweise leicht durch einen Umstieg auf erneuerbare Energielieferanten und Gebäudesanierung zu erreichen. Schwieriger ist die Reduzierung von Emissionen im Bereich militärische Mobilität. Das Kernproblem ist, dass Großgeräte wie Kampfpanzer, Kampfjets und Kriegsschiffe viel Energie benötigen, weil sie sehr schwer sind und/oder sich schnell fortbewegen.
Die Schwierigkeiten beim Erreichen klimaneutraler Streitkräfte zeigen sich auch bei der Bundeswehr. Ohne Auslandseinsätze waren ihre Emissionen in beiden Bereichen im Jahr 2019 etwa gleich hoch. Für den Infrastrukturbereich können vergleichsweise schnell Einsparungen erzielt werden und auch der bislang geringe Anteil nichtfossil betriebener Fahrzeuge im zivilen Fuhrpark der BwFuhrparkService GmbH ließe sich zeitnah steigern. Für Einsatz- und Gefechtsfahrzeuge rechnet die Bundeswehr in einem Positionspapier jedoch „auch in absehbarer Zukunft“ nicht mit einer Verwendbarkeit von batterie- oder brennstoffzellenbetriebenen Fahrzeugen. Folgerichtig ist die Bundeswehr bislang offenbar aus dem erklärten Ziel der deutschen Klimaneutralität bis 2045 ausgeklammert.
Die Bundeswehr ist bislang offenbar aus dem erklärten Ziel der deutschen Klimaneutralität bis 2045 ausgeklammert.
Es ist zu befürchten, dass die militärischen Emissionen angesichts der weltweit steigenden Rüstungsausgaben weiter wachsen werden. Kurz- bis mittelfristig werden verbesserte Klarstände, der technischen Zustand und die Einsatzfähigkeit von technischen Geräten sowie Boden- und Luftfahrzeugen, sowie vergrößerte Panzer- und Flugzeugflotten in Verbindung mit zunehmender Patrouillen- und Übungstätigkeit für steigende Emissionen sorgen. Mittelfristig rückt die Klimabilanz neu beschaffter Großgeräte in den Vordergrund. Das Kampfflugzeug F-35 ist beispielsweise auf eine Nutzungsdauer von über einem halben Jahrhundert ausgelegt. Um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, wird die deutsche Luftwaffe dieses Flugzeug mit E-Fuels betreiben oder Emissionen massiv anderweitig kompensieren müssen. Es ist zu hoffen, dass bei zukünftigen Großbeschaffungen, wie FCAS oder MGCS, die Klimabilanz beachtet wird. Das kürzlich verabschiedete Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz hält die Beschaffungsstellen immerhin zur Berücksichtigung von umweltbezogenen Aspekten an.
Die russische Invasion stellt die deutsche Sicherheitspolitik vor ein Dilemma: Wegen der russischen Aggressionen müssen die militärischen Fähigkeiten verbessert werden – und wegen des Klimawandels müssen gleichzeitig die militärischen Emissionen sinken. Die deutsche Sicherheitspolitik sollte zügig Emissionen in den Bereichen senken, in denen dies leicht möglich ist. Der Weg zu klimaneutralem Großgerät ist jedoch noch weit, insbesondere, wenn dessen Klimabilanz ganzheitlich berechnet wird. Außenministerin Annalena Baerbock kündigte an, dass der Klimawandel eine wichtige Rolle in der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie spielen werde – es ist zu hoffen, dass dabei auch die Klimabilanz der Bundeswehr berücksichtigt wird.