Es kann keine militärischen Lösungen geben

Der Angriff der USA auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt bedeutet eine Zäsur. Jetzt muss alles unternommen werden, um weitere, einseitige Schritte zu verhindern. Das Eskalationsrisiko ist hoch und Provokationen sind nicht auszuschließen. Bisher hat der Sicherheitsrat versagt. Präsident Donald Trump und Außenminister Rex Tillerson müssen in direkten Gesprächen mit China und Russland alles versuchen, um jetzt doch noch eine gemeinsame Linie zu finden. Alle am Krieg in Syrien Beteiligten müssen endlich erkennen, dass es keine militärischen Lösungen geben kann. Auch Saudi-Arabien und der Iran müssen nun stärker in die Pflicht genommen werden, um einen Flächenbrand zu verhindern.

Das Eskalationsrisiko ist hoch, und Provokationen sind nicht auszuschließen

Nur unter dem Dach der Vereinten Nationen kann ein neues und friedliches Syrien entstehen. Es gibt keine Alternative zum Wiener Prozess und den Genfer Verhandlungen. Notwendig ist eine unabhängige Untersuchung des Giftgasangriffs und eine vollständige Vernichtung der noch vorhandenen, bisher nicht deklarierten Chemiewaffenbestände. Deutschland kann dabei, wie in der Vergangenheit auch, seine Hilfe anbieten.

Dr. Rolf Mützenich, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender für Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte

 

 

Eskalation im Affekt?

Ähnlich wie 2013, als es ein paar Tage lang so aussah, als würde Barack Obama seinen Worten Taten folgen lassen, begrüßen viele Syrer die Angriffe auf den Militärflughafen. Nicht von ungefähr fordern Beobachter ja seit geraumer Zeit Flugverbotszonen, die die Attacken der syrischen Armee auf Zivilisten endlich unterbinden. Auch wenn sie den USA ausgesprochen kritisch gegenüberstehen, ist es faktisch vielen Menschen in Syrien mittlerweile egal, woher Unterstützung kommt. Tatsächlich ist dies das erste Mal in dem nun schon sechs Jahre dauernden Konflikt, dass Kriegsverbrechen des syrischen Regimes überhaupt eine internationale Reaktion hervorrufen.

Viele Syrer begrüßen die Angriffe auf den Militärflughafen.

Natürlich kann ein solch punktueller Eingriff keinen langfristigen Effekt haben, wenn er nicht Teil einer umfassenden Strategie zur Beilegung des Konflikts ist. Besorgniserregend ist vor allem die Spontanität der Entscheidung zum militärischen Eingriff. Vor einigen Tagen hieß es in Washington noch: Assad kann bleiben. Heute fliegen die Marschflugkörper – offenbar im Affekt. Insofern bietet die Militäraktion nicht wirklich Anlass zur Hoffnung, sondern birgt die Gefahr, den Konflikt durch derart kurzfristige Entscheidungen noch weiter eskalieren zu lassen.

Dr. Friederike Stolleis, Leiterin des Syrien-Projekts der Friedrich-Ebert-Stiftung

 

Desillusionierung russischer Hoffnungen

Die Illusion einer engeren russisch-amerikanischen Kooperation scheint sich in Pulverdampf aufzulösen, nachdem Donald Trump einen Militärschlag gegen Syrien anordnete, ohne Moskau vorab zu informieren – dies ist zumindest die Lesart der russischen Verlautbarungen am Morgen nach der US-amerikanischen Militäraktion. Wladimir Putin reagierte umgehend auf den amerikanischen Raketenangriff und ließ Kremlsprecher Dmitri Peskow erklären, dass er das amerikanische Vorgehen als Aggression gegen einen souveränen Staat werte und entsprechend verurteile. Gleichzeitig wirft er den Amerikanern einen Völkerrechtsbruch vor. Diese Aktion sei nichts anderes, als der Versuch der US-Administration, mit militärischer Gewalt von den Opfern unter der Zivilgesellschaft im Irak abzulenken, die vorherige Aktionen mit sich gebracht hatten. Das russische Außenministerium teilte mit, dass das mit den USA unterzeichnete Memorandum zur Luftsicherheit ab sofort ausgesetzt ist.

Die russischen Zeitungen bewerten das Vorgehen der Amerikaner durchweg kritisch. Die regierungsnahe Komsomoljskaja Prawda zitiert den Chefredakteur des Journals National Defense, Igor Korotschenko, mit den Worten, „Trump tat das, was Obama nicht wagte ...“. Die unabhängige Nezavisimaja Gazeta warnt vor den „unabsehbaren Folgen“ des amerikanischen Angriffs und das liberale Online-Portal Medusa titelte „Rubelkurs gesunken nach dem Luftangriff der USA auf Syrien“.

Ein engere russisch-amerikanische Kooperation scheint sich in Pulverdampf aufzulösen, nachdem Trump einen Militärschlag anordnete, ohne Moskau vorab zu informieren – dies ist zumindest die Lesart der russischen Verlautbarungen.

Wer gehofft hatte, Amerikaner und Russen werden nach der Wahl von Donald Trump in Syrien Hand in Hand für eine Stabilisierung dieses geschundenen Landes eintreten, darf mit Ernüchterung feststellen, dass eine neue Phase der Eskalation eingesetzt hat, deren Folgen unabsehbar sind. Inwieweit diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die künftigen Beziehungen zwischen den USA und Russland hat, muss abgewartet werden. Was aber sicher scheint, ist eine weitere Stufe der Desillusionierung russischer Hoffnungen auf eine Normalisierung und Intensivierung der russisch-amerikanischen Beziehungen auf Augenhöhe.

Mirko Hempel, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau und Dr. Jens Hildebrandt, stv. Leiter des FES-Büros in Moskau

 

 

Verteidigung des internationalen Normen- und Wertesystems

Trump lässt Raketen auf eine syrische Luftwaffenbasis abfeuern – und Europa atmet auf. So viel Zustimmung hat Donald Trump in seiner bisherigen Amtszeit aus Europa noch nie bekommen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen war es, nach allem was bisher bekannt ist, ein nahezu „chirurgischer“ Schlag, militärisch wirkungsvoll und ohne zivile Opfer. Zum anderen läutet die Begründung des Weißen Hauses für den Luftschlag – vielleicht – die Rückkehr zum amerikanischen Selbstverständnis als Weltpolizist ein.

Vor allem aber befreit Trumps Vorgehen die Europäer zumindest für den Moment von einem äußerst unangenehmen Dilemma: Ohne das militärische Eingreifen der USA hätten sich alle Augen und Hoffnungen auf die EU gerichtet. Wieder einen Tabubruch, ein Überschreiten roter Linien mit Forderungen nach Aufklärung und Appellen an den UN-Sicherheitsrat allein beantworten? Das hätte in Zeiten, in denen die EU so laut wie nie von der Verteidigung der westlichen Wertegemeinschaft, von strategischer Autonomie und militärischer Handlungsfähigkeit spricht, wie eine Bankrott-Erklärung gewirkt. Eine rasche, abgestimmte militärische Reaktion der EU? Im Moment nicht nur politisch schwer umzusetzen.

Nach sechs Jahren Bürgerkrieg ohne Tabus und dem wiederholten Einsatz von chemischen Waffen muss sich der Westen nun tatsächlich entscheiden: Wollen wir uns weiterhin weitgehend auf das Danach beschränken, auf das, was kommt, wenn Syrien so ausgeblutet ist, dass der Konflikt von allein zum Erliegen kommt? Glauben wir wirklich, dass unser bisher eingesetztes Instrumentarium einen Unterschied für die Menschen vor Ort macht? Oder ist es jetzt Zeit, das wiederholte Überschreiten roter Linien spürbarer als bisher zu sanktionieren?

Wem es ernst ist mit der Wahrung der internationalen Ordnung und der Verteidigung des internationalen Normen- und Wertesystems, der muss Trumps Vorgehen begrüßen.

Die internationale Ordnung und das internationale Normen- und Wertesystem sind reichlich unter Beschuss geraten in den letzten Jahren. Völkerrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, immer wieder gezeichnete und überschrittene rote Linien unterhöhlen sie fortgesetzt. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass ausgerechnet Trump nun die roten Linien verteidigt, die einst Obama zog. Sein Vorgehen ist natürlich nicht frei von Risiken. Es wirft die Frage auf, worauf Trump seine außenpolitischen Entscheidungen begründet (Emotions First?) und inwieweit er sich künftig mit seinen Partnern abzustimmen gedenkt. Aber es ist – für den Moment – ein starkes Signal der Abschreckung, das man übrigens auch in Moskau registrieren wird. Wem es ernst ist mit der Wahrung der internationalen Ordnung und der Verteidigung des internationalen Normen- und Wertesystems, der muss ein entschiedenes Vorgehen gegen Assad begrüßen. Trumps Alleingang wird Europa aber nicht die Entscheidung ersparen, welche Rolle es selbst künftig in Syrien spielen will.

Anna Maria Kellner, Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung