Mit dem Ausschluss aus dem UN-Menschenrechtsrat durch die UN-Generalversammlung hat die diplomatische Isolation Russlands scheinbar einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Bei den an diesem Mittwoch beginnenden Gesprächen der Finanzminister aus den führenden Industrie- und Schwellenländern (G20) ist Russland dabei – auch wenn die US-Finanzministerin Janet Yellen jüngst den Boykott von G20-Sitzungen angekündigt hatte, an denen Vertreter Moskaus teilnähmen, und auch nachdem US-Präsident Joe Biden schon vor einigen Wochen den Ausschluss Moskaus aus dem Kreis der mächtigsten 20 Staaten gefordert hatte.
Eine Isolation Russlands in internationalen Gremien, über die weiter heftig gestritten wird, zielt darauf ab, Kommunikationsplattformen für Moskau zu minimieren und auch über diesen Weg zu einer klaren völkerrechtlichen Verurteilung des Aggressors zu kommen – zusätzlich zu einem hoffentlich wirkungsvollen Sanktionsregime und der militärischen und humanitären Unterstützung der Ukraine.
Die diplomatische Isolation und letztendlich die weltweite Verurteilung Russlands ist damit auch ein Baustein in der nicht-militärischen Auseinandersetzung – und keinesfalls nur symbolisch oder trivial. Sie kann ein bedeutendes Element bei späteren Kriegsverbrecher-Prozessen sein. Zusätzlich sind diese Schritte auch dadurch motiviert, dass die bisherigen Versuche einer Gesprächsdiplomatie oder der Befassung in zuständigen UN-Gremien kaum zielführend waren und von russischer Seite eher dazu genutzt wurden, um haarsträubende Kriegspropaganda zu verbreiten.
Nicht nur China hat wiederholt gegen eine Isolation Russlands gestimmt.
Damit scheinen die Forderungen nach einem Ausschluss Russlands aus den G20 zunächst plausibel. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass nicht nur China wiederholt gegen eine Isolation Russlands gestimmt hat. Auch Indonesien, das derzeit die G20-Präsidentschaft innehat, sowie Indien, das 2023 auf Indonesien folgt, hatten sich bei den entsprechenden Abstimmungen bei den Vereinten Nationen enthalten.
Wer Anfang April das zynische Interview mit dem sogenannten Kreml-Vordenker Sergej Karaganow im New Statesman gelesen hat, in dem er den Ukraine-Überfall als Kampf um eine künftige Weltordnung einordnet, kann leicht die sich abzeichnende propagandistische Erzählung eines globalen Ost-West-Konflikts erkennen: Die Verhinderung einer ungebremsten Ausdehnung des sogenannten Westens sei ein wichtiges Ziel dieses Krieges, es gelte die dekadente und schwächliche liberale Ordnung zurückzudrängen. Dieses Narrativ ist leicht anschlussfähig an rechtsradikale und populistische Strömungen in Europa und weltweit. Es bedient dabei einen anti-emanzipatorischen Reflex, der ökologische-, Gender- und postkoloniale Diskurse als libertäre Grotesken verurteilt und dagegen einen „männlichen“ Triumphalismus beschwört. Das Carl Schmitt’sche Freund-Feind-Denken lässt grüßen, das gepaart wird mit einem unversöhnlichen Rigorismus, den die sogenannten „sozialen“ oder staatlich gelenkten Medien in Teilen der Welt befeuern. Die Erzählung über „unsere eine Welt“ oder eine „Weltinnenpolitik“ klingt in den Analysen mancher Kommentatoren wie eine vergessene Kindheitserinnerung an Astrid Lindgrens „Wir Kinder von Bullerbü“.
Neben der humanitären Katastrophe in der Ukraine schreien auch der voranschreitende Klimawandel und die beschämende weltweite Ungerechtigkeit bei der Verteilung des Wohlstands nach einer globalen Antwort.
Auch wenn mit dem menschenverachtenden Narrativ eines Sergej Karaganow die territoriale Integrität von souveränen Staaten ebenso verneint wird wie die demokratische Selbstbestimmung von Völkern, wenn somit Krieg zur Durchsetzung von politischen Zielen faktisch legitimiert wird, scheint doch die offensichtliche Zurückhaltung einiger asiatischer Schwergewichte bei der Verurteilung des Angriffskrieges ein Indiz zu sein, dass eine solche Erzählung Anklang findet. Dies ist brandgefährlich: Denn neben der humanitären Katastrophe in der Ukraine, die die Weltgemeinschaft rasch lösen muss, schreien auch der voranschreitende Klimawandel und die beschämende weltweite Ungerechtigkeit bei der Verteilung des Wohlstands nach einer globalen Antwort, die keinen zeitlichen Aufschub duldet. Hierbei werden nicht nur Indonesien, Indien und China als Partner gebraucht, sondern es bedarf auch globaler Institutionen und nachhaltiger Gesprächsformate, um für diese Probleme eine dauerhafte Lösung zu finden.
Überdies ist nicht ersichtlich, dass ein Ausschluss Russlands aus Formaten wie den G20, die keine Beschluss-, sondern eher eine Beratungskompetenz besitzen, einen Effekt zur Konfliktbeendigung beitragen kann. Der Ausschluss Russlands aus den damaligen G8 im Jahr 2014 – nach der Annexion der Krim – hatte zumindest nicht den erwünschten Effekt. Deshalb wäre ein Ausschluss Russlands aus den G20 ein falscher Schritt. Das schließt allerdings nicht aus, dass weiterhin harte Sanktionen gegen den russischen Aggressor verhängt werden und die Ukraine effektiv unterstützt wird.
Die G20 werden bei den vielfachen globalen Krisen und der Notwendigkeit einer systemischen Transformation zu nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Gesellschaften und Ökonomien dringender benötigt denn je!
Vielmehr muss es jetzt aber auch darum gehen, eine breitere Palette der Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, dabei auch ein Narrativ und eine politische Praxis zu verhindern, die den Krieg nicht nur als legitime Politikstrategie anerkennt, sondern dabei alle Bemühungen um eine diplomatische Kriegsprävention diskreditiert. Die Verächtlichmachung der Entspannungspolitik erinnert an die unselige Debatte, die mit der Position „Erst der Pazifismus der 1930er Jahre hat Ausschwitz möglich gemacht“ verbunden war.
Die G20 werden bei den vielfachen globalen Krisen und der Notwendigkeit einer systemischen Transformation zu nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Gesellschaften und Ökonomien dringender benötigt denn je!
Ein neuer Kalter Krieg im Zeitalter von taktischen Atomwaffen, asymmetrischer Kriegsführung und einer Renaissance von Verschwörungserzählungen ist keine Strategie, sondern ein Irrtum.
Eine Alternative zu einer Isolation Russlands in internationalen Formaten könnte sein, diese Formate zum Aufbrechen von vermeintlichen Ost-West-Gegensätzen zu nutzen und dadurch eine multipolare Weltordnung zu verhindern, die auf Deals und das Recht des Stärkeren setzt. So könnte der sogenannte Westen initiativ werden und z.B. im Rahmen der G7 auf wichtige internationale Player wie Indien, China und Indonesien zugehen, um sie zu einer Waffenstillstandsinitiative für die Ukraine einzuladen, an der Kiew selbstverständlich beteiligt sein muss. Die derzeitige deutsche G7-Ratspräsidentschaft könnte dies tun, um den internationalen politischen Handlungsrahmen zu erweitern und so zu versuchen, dem gefährlichen Narrativ einer gewalttätigen multipolaren Ordnung den Wind aus den Segeln zu nehmen – und so einen Weltenbrand durch das Aufeinanderprallen von autokratischen und demokratischen Regimen zu verhindern. Dazu gehört allerdings auch, dass der sogenannte Westen Widersprüche im eigenen „Lager“ anerkennt, die nicht nur im Zusammenhang von autoritären Entgleisungen einer Trump-Regierung oder entsprechender Tendenzen in Polen und Ungarn offensichtlich sind, sondern auch durch einen neoliberalen Wachstums-Fetisch, dem ökologische und soziale Fortschritte geopfert wurden.
Fakt bleibt: Wir werden es uns angesichts der planetarischen Herausforderungen nicht erlauben können, die Gesprächsformate zur Lösung der großen Menschheitsherausforderungen abzuschaffen. Und ein neuer Kalter Krieg im Zeitalter von taktischen Atomwaffen, asymmetrischer Kriegsführung und einer Renaissance von Verschwörungserzählungen ist keine Strategie, sondern ein Irrtum.