Die Europäer haben sich mit der Tatsache abgefunden, dass eine politische Lösung für den seit zwölf Jahren andauernden Konflikt in Syrien nicht in Sicht ist. In Gesprächen mit Diplomatinnen und Diplomaten hört man es dieser Tage immer wieder: Syrien hat keine Priorität mehr. Das notorisch zögerliche Europa ist mit Russlands Einmarsch in die Ukraine beschäftigt und hat entsprechend geringes Interesse, sich im Krisengebiet Syrien allzu aktiv zu engagieren. Dieser „Politik auf Sparflamme“ steht jedoch eines im Wege: die „Flüchtlingsfrage“. Nicht nur, dass die Mehrheit der bereits geflüchteten Syrerinnen und Syrer nicht nach Syrien zurückkehrt – jedes Jahr machen sich Zehntausende weitere auf den Weg in die EU. Vor diesem Hintergrund haben die Europäer Präsident Baschar al-Assad zu verstehen gegeben, dass Zugeständnisse in der „Flüchtlingsfrage“ sie veranlassen könnten, ihre Politik der Ächtung des syrischen Diktators und seines Regimes zu überdenken.
Bei den Diskussionen über die Rückkehr von Geflüchteten aus der EU und aus Syriens Nachbarländern geht es bisher fast ausschließlich um deren Rückkehr in das vom Regime kontrollierte Syrien. Ein Großteil der offiziellen Überlegungen zu diesem Thema, einschließlich der des UN-Sondergesandten, basiert auf der Annahme, dass Assad im Gegenzug für die Normalisierung diplomatischer Beziehungen sowie für politische und finanzielle Anreize gewillt ist, die notwendigen Bedingungen zu schaffen. Die Rückkehr von Geflüchteten zu einem Verhandlungsgegenstand zu machen, mag aus diplomatischer Sicht attraktiv erscheinen: Wenn eine freiwillige und menschenwürdige Rückkehr realisiert werden kann, ließe sich das innenpolitisch ausschlachten. Darüber hinaus könnten Außenministerien sowie die EU-Institutionen dies als Indikator für Fortschritte im festgefahrenen politischen Prozess verkaufen. Nichtsdestotrotz beruht Europas derzeitiger Ansatz, die Rückkehr von Geflüchteten zu ermöglichen und gleichzeitig die Anzahl der Neuankömmlinge zu reduzieren, auf Wunschdenken.
Zunächst einmal gehen die Europäer fälschlicherweise davon aus, dass Assad die Geflüchteten grundsätzlich zurückhaben will. Abgesehen von der Belastung, die das für die ohnehin knappe Versorgung in Regimegebieten bedeuten würde – Wasser, Strom, Treibstoff, Lebensmittel usw. –, gibt es noch einen wichtigeren Aspekt: die Sicherheit. Das Regime betrachtet all jene, die geflohen sind, bestenfalls als Feiglinge und schlimmstenfalls als Verräter. Dass sie sich dem Wehrdienst entzogen haben, ist in den Augen des Regimes ein klares Zeichen von Illoyalität. „Wir werden niemals vergeben oder vergessen“, lautet ein verbreiteter Slogan unter den Anhängerinnen und Anhängern des Regimes.
Berichte von Rückkehrerinnen und Rückkehrern über Verhaftungen und Mord lassen keinen Zweifel daran, dass es sich dabei nicht um leere Drohungen handelt. Diejenigen, die mit den Rebellen oder ihren Familien blutsverwandt oder verschwägert sind, sowie diejenigen, die als Verräter denunziert werden, fallen bei der Sicherheitsüberprüfung des Regimes für Rückkehrer sofort durch, ebenso wie jene, die aus ehemaligen Rebellenhochburgen stammen. Wenn sie viele Jahre in einem Nachbarland gelebt und dort Wurzeln geschlagen haben, was für die meisten Geflüchteten gilt, kann das Regime sie außerdem pauschal als „politisch verdächtig“ abstempeln. Der syrische Außenminister behauptet zwar, dass die Menschen „ohne jegliche Bedingungen“ zurückkehren könnten, aber diese Rhetorik wird nur in Anwesenheit westlicher Reporter bemüht. „Der vielleicht bemerkenswerteste Aspekt des Diskurses des syrischen Regimes über Geflüchtete ist, dass es kaum einen gibt“, heißt es in einer Studie zu diesem Thema. Überraschen sollte das niemanden.
In Syrien war die Vertreibung der Bevölkerung ein wesentlicher Bestandteil von Assads Strategie zur Niederschlagung der Rebellion.
Die Vertreibung von großen Teilen der syrischen Bevölkerung wurde zu lange als bedauerliche Nebenwirkung des Krieges angesehen, anstatt als beabsichtigtes Ziel. In Bürgerkriegen mit ethnischem oder konfessionellem Charakter ist Vertreibung jedoch ein strategisches Mittel. Eine andere Studie kommt zu folgendem Schluss: „Vertreibung wird nicht nur eingesetzt, um unerwünschte Bevölkerungsgruppen loszuwerden, sondern auch, um die Unerwünschten überhaupt erst zu identifizieren, indem Menschen gezwungen werden, Loyalitäts- und Zugehörigkeitssignale zu senden, je nachdem, ob und wohin sie fliehen.“ In Syrien war die Vertreibung der Bevölkerung ein wesentlicher Bestandteil von Assads Strategie zur Niederschlagung der Rebellion. Assads Einsatz von Chemiewaffen ist ein Teil eben jener Kriegsführung – taktisch, operativ und strategisch. Ob es sich um Artillerieangriffe, Fassbomben oder Sarin-Gas handelte, all das diente dem Zweck der kollektiven Bestrafung der Bevölkerung in Oppositionsgebieten.
Assads Kriegsführung gegen die Bevölkerung zielt darauf ab sicherzustellen, dass deren Zusammensetzung, wie sie vor dem Krieg war – und beinahe das Ende seines Regimes und Clans herbeigeführt hätte –, nicht wiederhergestellt werden kann. „Zwei Drittel der [syrischen] Bevölkerung war sunnitisch und die Hälfte von ihnen ist nun in alle Winde zerstreut, als Geflüchtete oder Binnenvertriebene“, schreibt ein Beobachter. Ein willkommenes Ergebnis für den alawitischen Präsidenten, für den das Land nun eine „gesündere und homogenere Gesellschaft“ gewonnen hat. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die meisten Geflüchteten es ablehnen, in die von seinem Regime kontrollierten Gebiete zurückzukehren.
Bedeutet dies, dass die Europäer die „Flüchtlingsfrage“ nicht zum Gegenstand von Verhandlungen machen sollten? Nicht ganz. Aber sie wären gut beraten, ihre Ziele nüchtern abzuwägen. Der Versuch, das Thema zu nutzen, um Bewegung in den festgefahrenen politischen Prozess zu bringen, wäre ethisch unverantwortlich. Umso beunruhigender ist das Signal von EU-Diplomaten, dass glaubwürdige Schritte, die die Rückkehr von Geflüchteten ermöglichen, den Weg für eine schrittweise Wiederherstellung der Beziehungen ebnen könnten. Praktisch bedeutete dies, Geflüchtete zu einer politischen Währung zu degradieren. Den do-no-harm-Test bestünde ein solches Vorgehen nicht. Wenn das Ziel allerdings darin besteht, zu erreichen, dass Geflüchtete tatsächlich in großer Zahl nach Syrien zurückkehren können und weniger Menschen das Land verlassen, sollten die Europäer nicht mit Damaskus, sondern mit Ankara sprechen.
Die unbequeme Wahrheit ist, dass die Rückkehr von Geflüchteten nur dann funktioniert, wenn genügend Menschen bereit sind, freiwillig zurückzukehren. Dies setzt realistische Bedingungen voraus, inklusive eines ernstzunehmenden Partners vor Ort, der ein aktives Interesse daran hat, dass die Rückkehr gelingt. Im Moment können nur die Türkei und ein Teil der dort lebenden syrischen Geflüchteten beide Bedingungen erfüllen, da die Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze eng miteinander verbunden ist und die Türkei in der Lage, relative Sicherheit zu gewährleisten. Nach Angaben des UNHCR kehren jede Woche etwa 800 syrische Geflüchtete aus der Türkei nach Syrien zurück, obwohl Konsens darüber herrscht, dass die dafür notwendigen Voraussetzungen derzeit nicht erfüllt sind. Darüber hinaus sind die meisten (500 000) der insgesamt 750 000 Geflüchteten, die seit 2016 nach Syrien zurückgekehrt sind, aus der Türkei in Oppositionsgebiete im Norden und Nordwesten zurückgekehrt. Im Gegensatz dazu kehrten zwischen Januar und Oktober 2022 nur 10 766 Geflüchtete in die vom Regime kontrollierten Gebiete zurück. Im gleichen Zeitraum sind mehr Menschen aus denselben Gebieten geflohen.
Eine Vereinbarung mit Ankara über ein umfassendes Programm zur freiwilligen Rückkehr von Geflüchteten könnte die logistische Kette der Menschenhändlerinnen unterbrechen, die in Berlin und Amsterdam endet, aber am syrischen M4-Highway beginnt.
Die Abwesenheit von korrupten Sicherheitsüberprüfungen und Wehrpflicht – beides sind zentrale Fluchtursachen in den Gebieten, die vom Regime beziehungsweise von den mit den USA verbündeten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrolliert werden – sowie die Tatsache, dass sich sunnitische Binnenvertriebene und Geflüchtete unter dem Schutz der Türkei relativ sicher fühlen, bilden solide Grundlagen für eine realistische Rückkehrpolitik. Für die europäischen Entscheidungsträger von besonderem Interesse ist, dass die Türkei das Gebiet in Nordsyrien kontrolliert, über das eine große Anzahl von Menschen aus den Gebieten des Regimes und der SDF in die Türkei und weiter nach Europa gelangt. Eine Vereinbarung mit Ankara über ein umfassendes Programm zur freiwilligen Rückkehr von Geflüchteten könnte die logistische Kette der Menschenhändler unterbrechen, die in Berlin und Amsterdam endet, aber am syrischen M4-Highway beginnt.
Die Europäer sollten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass eine signifikante Rückkehr von Geflüchteten in die derzeit vom Assad-Regime kontrollierten Gebiete sowie die Bekämpfung von Fluchtursachen einer politischen Lösung nicht vorausgehen können. Maßnahmen wie lokale Wiederaufbauprojekte, die oft als Early Recovery Assistance bezeichnet werden, können daran nichts ändern. Sollte das Regime tatsächlich minimale Zugeständnisse machen, haben diese lediglich den Zweck, die Dynamik der Normalisierung aufrechtzuerhalten. Syrerinnen und Syrer, die mehrheitlich keine Illusionen über die unveränderliche Natur des Regimes haben, werden sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen.
Solange die Europäer ihre Politik nicht an der Tatsache orientieren, dass Syrien mittlerweile de facto ein geteiltes Land ist, werden sie weiterhin den Realitäten hinterherhinken.
Aus Sicht europäischer Politik sprechen die Fakten für eine umfangreichere Kooperation mit der Türkei. Die Europäer haben natürlich das Recht, eine kritische Haltung gegenüber Ankaras Syrien-Politik einzunehmen. Doch neue Realitäten erfordern eine nuancierte Position statt selbstgefälliger Ignoranz. Solange die Europäer ihre Politik nicht an der Tatsache orientieren, dass Syrien mittlerweile de facto ein geteiltes Land ist, werden sie weiterhin den Realitäten hinterherhinken. Ein Anfang wäre damit gemacht, die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes nicht mehr als Niemandsland zu betrachten und stattdessen in umfangreiches Konfliktmanagement zu investieren. Einzelne Diplomatinnen und Diplomaten mögen sich dieser Notwendigkeit durchaus bewusst sein, doch solange sich diese Erkenntnis nicht in tatsächliche Politik übersetzt, wird sich die EU weiterhin selbst täuschen.