Weltweit hat die Demokratie einen schweren Stand. Nationalistische, autoritäre Tendenzen sind auf dem Vormarsch. Und die USA und die Länder der Europäischen Union (EU) bilden wahrlich keine Ausnahme. Während auf der einen Seite des Atlantiks Wahlergebnisse nicht anerkannt werden, werden auf der anderen Seite Rechte von Geflüchteten, Frauen und LGBTQI* mit Füßen getreten. Als einst stolze Geburtsstätten der Demokratie sollten die USA und Europa ihr Bestes geben, um den autoritären Vormarsch aufzuhalten und die Demokratie im In- und Ausland zu schützen.

Viel zu lange war der transatlantische Weg der Demokratieförderung jedoch der einer elitären EU-US-Partnerschaft, die den Ansatz verfolgte, die Demokratie vor allem außerhalb der eigenen Grenzen gestalten zu wollen. Der Demokratie-Gipfel, der heute auf Einladung von US-Präsident Joe Biden beginnt, bietet eine Chance, die transatlantische Demokratieförderung neu aufzustellen.

Demokratie wird regelmäßig als tragende Säule der transatlantischen Beziehungen beschworen. Aber weder sind die Demokratien in der EU und den USA in einem guten Zustand, noch waren sie in letzter Zeit in der Lage, bei der Unterstützung demokratischer Bewegungen im Ausland effektiv zusammenzuarbeiten – wie zuletzt der Abzug aus Afghanistan deutlich vor Augen führte. Die USA und die EU stehen derzeit vor drei Herausforderungen.

Viel zu lange war der transatlantische Weg der Demokratieförderung der einer elitären EU-US-Partnerschaft, die den Ansatz verfolgte, die Demokratie vor allem außerhalb der eigenen Grenzen gestalten zu wollen.

Erstens sehen sie sich mit einem wachsenden Misstrauen ihrer Bevölkerungen gegenüber demokratischen Institutionen konfrontiert. Die Grundsätze der Demokratie werden in Frage gestellt, da das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit gesunken ist, die Repräsentation durch Parteien und Wahlen angezweifelt wird und Medien bewusst Desinformationen verbreiten. Zu oft ist das Misstrauen gerechtfertigt. In den USA werden derzeit Wahlkreise politisch motiviert neu zugeschnitten (das sogenannte Gerrymandering), und die EU muss Mitgliedsstaaten wegen vorsätzlicher Verletzung der Rechtsstaatlichkeit sanktionieren. Bürger fühlen sich von ihren politischen Entscheidungsträgern abgekoppelt, so dass autoritäre Politiker und Parteien, die gegen das „Establishment“ wettern, an Macht gewinnen. Einmal im Amt, treiben sie die Aushöhlung demokratischer Normen voran und missbrauchen demokratische Institutionen.

Zweitens erleben die USA und die EU einen Anstieg der sozialen Ungleichheit, der die Fähigkeit von demokratisch verfassten Staaten in Frage stellt, für ihre Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer. Die Finanzkrise von 2008 hat diese Kluft nochmal vertieft, und bei der Covid-19-Pandemie zeigte sich das gleiche Bild: Menschen mit Mehrfachdiskriminierung sind unverhältnismäßig stark betroffen. Diese sozio-ökonomische Ungleichheit überträgt sich auf den politischen Bereich. Eine wachsende Zahl von Menschen ist von ihren demokratischen Vertretern enttäuscht, da es diesen nicht gelingt, das Leben der Bevölkerung zu verbessern.

Eine wachsende Zahl von Menschen ist von ihren demokratischen Vertretern enttäuscht, da es diesen nicht gelingt, das Leben der Bevölkerung zu verbessern.

Drittens sind die USA und die EU mit umfassenden geopolitischen Veränderungen konfrontiert. Autoritäre Mächte wie Russland und China sind selbstbewusster geworden. Sie üben weltweit politischen Einfluss aus und nehmen die USA und die EU als ihre Hauptkonkurrenten ins Visier. Sie beabsichtigen, das demokratische Modell zu diskreditieren. Ihre Instrumente reichen von Chinas „Neuer Seidenstraße“ bis hin zu russischen Medienplattformen, die Desinformation verbreiten. Globale Krisen wie die Pandemie sind so zum Lackmustest für Demokratie geworden: Welches System wird besser abschneiden?

Trotz dieser düsteren Aussichten gibt es noch etwas Hoffnung. Weltweit setzen politische Bewegungen aktiv Zeichen für gelebte Demokratie. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass diese Kräfte Erfolg haben werden, aber vom Demokratiegipfel kann ein wichtiges Signal für Demokratieförderung ausgehen. Die EU und die USA können eine wichtige globale Demokratiestütze sein – wenn sie ihre alte Rhetorik aktiv in globale Zusammenarbeit umwandeln. Dazu vier Vorschläge:

Erstens sollte beim Gipfel vereinbart werden, dass alle teilnehmenden Staaten die Förderung der Demokratie auf ihre nationale und internationale Agenda setzen, und zwar mit höchster Priorität. Anstatt die Demokratie im eigenen Land als selbstverständlich anzusehen, sollten die teilnehmenden Staaten den Stand bei sich selbst überprüfen und Demokratieförderung im eigenen Land möglich machen. Außerdem sollte überall dort, wo enge internationale Kooperationen mit anderen Gipfelteilnehmern bestehen – egal ob mit handels- oder sicherheitspolitischem Schwerpunkt – die Zusammenarbeit auch unter dem Blickwinkel der Demokratieförderung überprüft werden. Warum kann nicht jede dieser Partnerschaften die Grundlage für eine konstruktive Zusammenarbeit in Sachen Demokratie bilden?

Anstatt die Demokratie im eigenen Land als selbstverständlich anzusehen, sollten die teilnehmenden Staaten den Stand bei sich selbst überprüfen und Demokratieförderung im eigenen Land möglich machen.

Zweitens muss der Gipfel endlich Demokratieförderung globalisieren. Sie ist kein nationales, sondern ein globales Unterfangen. Globalisierung der Demokratieförderung bedeutet, in einen globalen Dialog einzutreten, um die nationalen und internationalen Beschränkungen der Demokratie zu problematisieren, Lösungen zu entwickeln und die aktive Operationalisierung demokratischer Maßnahmen zu koordinieren. Für eine globale Demokratieförderung sollte der Gipfel eine themenbezogene Koordination beschließen. So können alle Staaten zum Agenda-Setter werden und sich darin auch abwechseln. Warum können die USA und die EU diesen von ihnen so oft eingenommenen Platz nicht auch einmal räumen?

Drittens braucht der Demokratiegipfel ein eigenes positives Narrativ von Demokratie. Diese muss um ihrer selbst willen definiert werden, nicht nur zur Abgrenzung von autoritären Regimen. Im Zuge der sich zuspitzenden Rivalitäten zwischen den USA und der EU auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite müssen sowohl die transatlantischen Partner als auch andere Demokratien aufpassen, dass sie nicht behaupten „wir sind alles, was China nicht ist“. Ohne eine positive Definition von Demokratie kann diese nicht angemessen gegen Autoritarismus verteidigt werden. Die Suche nach einem gemeinsamen Verständnis von Demokratie sollte daher beim Gipfel absolute Priorität haben. Wieso nicht eine positive Liste einführen, um gemeinsam aufzuzeigen, was Demokratie konkret für die Menschen bedeutet?

Viertens müssen die Gipfelteilnehmer ihren eigenen demokratischen Grundsätzen gerecht werden. Wenn es ins eigene Kalkül passt, verlangen die USA und die EU von ihren Partnern gerne die Einhaltung der Menschenrechte – werden ihnen aber im eigenen Land oft genug nicht gerecht. Zu oft übertrumpfen politisch oder ökonomisch motivierte Interessen dringliche demokratische Prinzipien. Selbstverständlich sollten Staaten weiterhin die Einhaltung der Menschenrechte im Ausland fordern, doch eben nicht nur bei politischen Rivalen. Schließlich haben zum Beispiel die „Me Too“- und die „Black Lives Matter“-Bewegungen gravierende Defizite in den USA und der EU aufgedeckt. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, sollten eigene Versäumnisse offen diskutiert, Best Practices ausgetauscht und gemeinsame Unterstützungsformen ausgearbeitet werden. Warum sollte die USA beispielsweise nicht von Südafrikas Kampf gegen institutionellen Rassismus lernen können?