2017 gewinnt Cristiano Ronaldo mit Real Madrid die Champions League, die spanische Liga und die FIFA-Klub-WM. 40 Spiele am Stück sind „Die Königlichen“ in jener Saison siegreich. CR7 befindet sich auf seinem Zenit, ein Jahr zuvor triumphierte er bei der Fußball-EM in Frankreich. Ob der portugiesische Superstar bei diesen Erfolgen jemals einen Gedanken an Saudi-Arabien verschwendet hat, ist eher unwahrscheinlich.

Im selben Jahr wird Mohammed bin Salman, Spitzname „MBS“, zum Kronprinzen von Saudi-Arabien ernannt. Heute ist der 37-Jährige einer der mächtigsten Männer auf dem Planeten und schickt sich an, mit dem schier unerschöpflichen Public Investment Fund (PIF) – einem Staatsfonds des Königreichs – sein Land und die Welt des Sports für immer zu verändern. MBS, seit 2022 auch Premierminister des Landes, gilt unter Kennern des Landes als gerissen, machtgierig, unerbittlich – und clever. Als Kind und Jugendlicher liebt er nicht nur US-amerikanisches Fast Food, sondern auch die Geschichten von Alexander dem Großen oder einflussreichen Moguln wie Bill Gates oder Tim Cook. Und Computerspiele. Vor allem das Strategiespiel „Age of Empires“. Schon früh übt sich MBS in Machtspielen innerhalb des Königreichs, lernt, indem er seinen Vater, König Salman, begleitet und beobachtet.

Bereits 2011 werkelt der heutige Kronprinz mit Beratern aus den Bereichen der Ökonomie und des Rechts an seinen Strategien, woraus später die Vision 2030 entsteht: Der Plan, Saudi-Arabien dem Westen gegenüber zu öffnen und zu modernisieren sowie die Wirtschaft innerhalb von nur zwei Dekaden unabhängig vom Öl zu machen. Dieses Öl aber ist der Hauptgrund, warum der PIF so prall gefüllt ist, 600 Milliarden Euro sollen es etwa sein. Und führt dazu, dass der europäische Fußball mit seinen Ligen und Wettbewerben immer gebannter gen Saudi-Arabien blickt. Denn ein Teil der Vision 2030 ist eine Revolution, wie der Sport ihn nie hat kommen sehen. Zwar investiert der PIF auch massiv in Kultur und Tech-Firmen. Aber der nächste Schritt in der aggressiven globalen Sportstrategie Saudi-Arabiens scheint eine neue Investmentgesellschaft zu sein, die sich ausschließlich auf Sportunternehmen konzentriert.

Saudi-Arabien ist nur das jüngste Beispiel für Investitionen in den Sport aus der Golf-Region. Die Formel 1 gastiert schon seit 2004 in Bahrain, 2005 standen sich Roger Federer und Andre Agassi bei einem weltweit beachteten Showmatch in knapp 300 Meter Höhe auf dem Burj Al Arab gegenüber und von dort an nahm die Geschichte Fahrt auf. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte sie bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar.

Der Kampf um den Schwergewichtstitel im Boxen leuchtete Saudi-Arabien zum ersten Mal im grün-günstigen Licht des Sportswashing aus.

Das Königreich wartete lange und öffnete sich erst unter dem Kronprinzen Mohammed bin Salman. Doch der meint es ernst. Der Schlüsselmoment liegt dabei weit über drei Jahre zurück. Der Kampf um den Schwergewichtstitel im Boxen zwischen Anthony Joshua und Andy Ruiz Jr. im Dezember 2019 leuchtete Saudi-Arabien zum ersten Mal im grün-günstigen Licht des Sportswashing aus. In diesem Kampf war alles angelegt: Die Bilder des Triumphs, das Geld, die Reinwaschung jener, die mit den Millionen um sich warfen. Unten verteidigte der Brite seinen Titel und von oben blickte MBS auf die Menge herab. Die den Anordnungen von bin Salman zugeschriebene Ermordung des Publizisten Jamal Khashoggi war da gerade einmal ein Jahr her.

Der PIF, oder bald das speziell für diesen Zweck neu gegründete, milliardenschwere Unternehmen, hört natürlich nicht beim Fußball auf. Dafür sind die Allmachtsfantasien von MBS zu lebendig. Mindestens zwei Milliarden Dollar an Finanzmitteln schüttete Saudi-Arabien in die Golf-Tour LIV, die nun nach langem Streit mit der etablierten PGA-Tour zusammengeführt wurde. Der Golfsport gehört nun effektiv dem Königreich. Dazu findet seit 2021 der Große Preis von Saudi-Arabien in der Formel 1 statt und der PIF ist mit 16,7 Prozent am Aston Martin F1-Team beteiligt. Snooker, Pferdesport, eSports – die Liste lässt sich beliebig weiterführen.

Als Nächstes sind Radsport und Tennis dran. Saudi-Arabien richtet bereits seit 2022 mit dem Tour de France-Veranstalter ASO ein Profi-Radrennen aus, jetzt will das Land ein Profi-Team übernehmen. Nicht irgendeines wohlgemerkt. Das beste der Welt, Jumbo-Visma, mit Jonas Vingegaard, Toursieger 2022, Primož Roglič und Wout van Aert. Die Mannschaft soll ab dem kommenden Jahr vom saudischen Städtebauprojekt Neom City gesponsert werden – eine sich derzeit im Bau befindende Megastadt in der Wüste, wegen der Menschen, die ihre Häuser dafür nicht verlassen wollten, zum Tode verurteilt wurden. Im Tennis sprechen saudische Vertreter bereits mit ATP und WTA – sowohl die Männer – als auch die Frauen-Tour scheinen an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein.

Teil der Strategie des Landes: Die Massen müssen unterhalten werden. Koste es, was es wolle. Die junge Bevölkerung des Landes, 70 Prozent sind unter 35, dürstet es nach Events. Es existiert eine Art Gesellschaftsvertrag. Die Bevölkerung fragt nach Ronaldo und bekommt Ronaldo. Dafür bleibt sie ruhig, lehnt sich nicht auf, protestiert nicht. Der Arabische Frühling 2011 ist schließlich immer noch präsent – als Bedrohung für das System. 

Den Fußball entdeckten sie im Königreich spät, dabei sind die Strukturen dort gewachsen. Es existiert eine Fußballtradition. Eine, die auch dazu führte, dass Saudi-Arabien bei der WM in Katar die einzige Nation blieb, die den späteren Weltmeister Argentinien im Tollhaus Lusail bezwingen konnte. Es war ein wilder Nachmittag im beinahe ausschließlich mit Saudi befülltem Finalstadion, der bewies, wie groß die Leidenschaft für das Spiel verbreitet ist. Der Rest des Turniers zeigte auch, wie sehr Helden wie Ronaldo am Golf verehrt werden.

Dem Lockruf des Geldes folgt in diesem Sommer eine Armada von Fußballstars.

Auch wenn er 2017 noch nicht an Saudi-Arabien dachte, im Januar 2023 nach der WM in Katar wechselte Ronaldo zum al-Nassr FC. Das Königreich sendete nach dem Argentinien-Sieg die nächste Schockwelle in die Welt des Fußballs. MBS rieb sich die Hände. Etwa 200 Millionen Euro soll der Portugiese pro Jahr verdienen. Knapp 550 000 täglich. Passenderweise kündigte der PIF jüngst an, dass er den Klub der Stürmerlegende und drei weitere Vereine der saudischen Liga übernimmt. Die 1975 gegründete Saudi Professional League unterliegt nicht den Regeln des finanziellen Fairplays, die für den europäischen Fußball gelten, sodass sie für Spieler und Gehälter so viel ausgeben können, wie sie wollen.

Ronaldo ist dabei nichts als ein erstes Mosaiksteinchen. Dem Lockruf des Geldes folgt in diesem Sommer eine Armada von Fußballstars. Längst sind nicht mehr alle von ihnen im Spätabend ihrer Karrieren wie der 38-jährige Ronaldo. Vom Star-Faktor kann die Fußball-Bundesliga da bereits jetzt nicht mehr mithalten. Die jüngste Überraschung, auch wenn es mittlerweile kaum noch erstaunt: Superstar Roberto Firmino geht nach Saudi-Arabien. Der 31-jährige Brasilianer gewann beim FC Liverpool mit dem deutschen Trainer Jürgen Klopp die englische Meisterschaft sowie die Champions League.

Zuvor hatte der Transfer von Karim Benzema von Real Madrid zu al-Ittihad FC für Wirbel gesorgt. Als einer der besten Stürmer der Welt hätte der 35-jährige Franzose noch bei etlichen europäischen Topklubs einen Platz gefunden. Doch damit nicht genug: Marcelo Brozovic, kroatischer Nationalspieler, wechselte als nächster europäischer Top-Spieler auf die arabische Halbinsel. N’Golo Kanté, französischer Champions-League-Sieger 2021 und Weltmeister 2018, war zuvor Benzema zu Ittihad gefolgt. Zudem wechselten der portugiesische Nationalspieler Ruben Neves, Edouard Mendy, FIFA-Welttorhüter des Jahres 2021, und Kalidou Koulibaly, Kapitän der Nationalmannschaft Senegals, zu al-Hilal.

Klar, nicht jeder folgt dem Lockruf des Öl-Gelds. Doch die Attacke des saudischen Fußballs auf die europäische Topliga, die englische Premier League, aus der ein Großteil der Neuzugänge kommt, ist von weitaus größerer Substanz als diejenige aus China vor einigen Jahren. Saudi-Arabien setzt nicht nur auf große Namen, sondern langsam auch auf Köpfe, auf Wissen. Das Königreich will den Fußball kapern. Mit dem vom PIF aufgekauften englischen Traditionsklub Newcastle United mischt es ab der nächsten Saison sogar in der Champions League mit. Es attackiert die Königsklasse, die erfolgreichste Klub-Liga der Welt. Wie "The Independent" berichtet, stand das Königreich bereits hinter zwei Angriffen auf die Champions League. Im Jahr 2020 soll Saudi-Arabien das finanzielle Backing für eine neue Version der FIFA Klub-WM geliefert haben. Als die Pandemie sich wenig später durch die Geldreserven der Superklubs fraß, soll das Königreich zudem eine entscheidende Rolle in der letztendlich krachend gescheiterten Gründung der Super League gespielt haben.

Die Saudi Pro League soll zu einer der größten Ligen der Welt aufsteigen.

Doch damit nicht genug. Die Saudi Pro League soll zu einer der größten Ligen der Welt aufsteigen, im Idealfall mit Klubs in einer neu gegründeten, dann globalen Super League vertreten sein und einigen europäischen Ligen so das Wasser abgraben. Was aus der Sicht des alten Kontinents hanebüchen erscheint, ist es aus der Sicht des Rests der Welt nicht. Auch für FIFA-Präsident Gianni Infantino nicht, der sich gerne mit den saudischen Führungsfiguren umgibt und mal privat und mal offiziell nach Riad reist, wo er regelmäßiger Gast ist. Schon gibt es wilde Spekulationen, dass eines der Ziele die FIFA an sich ist. Sie soll ihren Hauptsitz irgendwann einmal in das Königreich verlegen. Der Weg ist lang, doch die WM 2034, die vielleicht wieder in der Wüste ausgetragen werden wird, wäre ein passender Termin für eine Machtübergabe.

Der Fußball ist der mächtigste Sport der Welt. Er strahlt überall hin, in die eigene Bevölkerung und über Kontinente hinaus. Auch hierzulande wird man sich die Frage stellen, ob die Superstarliga Saudi-Arabiens nicht vielleicht doch spannender ist als zum Beispiel ein Spiel der deutschen Fußball-Bundesliga. Ronaldo gegen Benzema oder Darmstadt gegen Augsburg? Diese Frage ist beinahe rhetorischer Natur und hat direkte Auswirkungen auf die ohnehin brachliegende Auslandsvermarktung der deutschen Top-Liga.

Saudi-Arabien greift nach der Welt des Sports, um nach außen zu strahlen und das eigene Land zu transformieren. Fossile Brennstoffe werden verschwinden, Unterhaltung jedoch wird es immer geben. Und Sport ist die beste Form der Unterhaltung. In all den Facetten erzählt er immer neue Geschichten, bringt immer neue Ikonen hervor und wird nie langweilig. Die Wette ist zu gewinnen. Europa hat schon lange keine Antwort mehr auf all das Geld der Golf-Staaten. Der Fußball und all der andere Sport wird den alten Kontinent nicht verlassen, doch er wird sich neu erfinden sowie auf alte Wertesysteme zurückgreifen müssen. Wenn er nicht völlig von Saudi-Arabien überrannt werden will.