US-Präsident Biden wird am 9. und 10. Dezember einen globalen Demokratie-Gipfel abhalten. Aber keiner redet darüber. In den europäischen Medien und Debatten taucht das Thema nicht auf. Der Plan ist, dass sich die teilnehmenden Staaten zu konkreten Schritten verpflichten, um ihre eigene Regierungsführung zu stärken und Demokratie weltweit zu fördern. Im Dezember 2022 soll ein zweiter Gipfel die Umsetzung bewerten. Den Demokratie-Gipfel hatte Biden in seinem Wahlprogramm versprochen. Nach der Trump-Präsidentschaft wollte er damit ein Ausrufezeichen setzen und zeigen, dass die USA die globale Schwächung von Demokratie nicht tatenlos hinnehmen.

Das Timing für den ersten Gipfel ist allerdings ungünstig. Der chaotische Rückzug aus Afghanistan widerspricht der erhofften Signalwirkung des Gipfels. Das Land wurde überhastet fallengelassen und Verbündete vor den Kopf gestoßen – damit ein anderes Wahlkampfversprechen erfüllt werden konnte. Das unrühmliche Ende des Afghanistan-Engagements markiert das Ende einer Ära. Beim Afghanistan-Einsatz paarte sich der demokratische Überschwang der 1990er Jahre mit dem militärischen Selbstbewusstsein der Neokonservativen, die auch die Invasion des Irak zu vertreten haben. Gerade letztere wurde jedoch zur tragischen Karikatur der Idee des democratic nation-building.

Für Kritiker der Demokratieförderung im Ausland boten die Einsätze im Irak und in Afghanistan die besten Argumente, warum das nicht funktionieren könne. Aber die beiden Länder stellten Ausnahmen dar: Es handelte sich um Invasionen, die das jeweilige Regime stürzten. Demokratieaufbau und -förderung finden in der Regel in ganz anderen Kontexten statt, sei es in halb-autoritären Staaten, nach Revolutionen oder in fragilen Konfliktstaaten. In diesen Situationen bleibt die Frage der Demokratie entscheidend.

Es ist kein Zufall, dass die von Deutschland und Frankreich initiierte Allianz für den Multilateralismus fast nur aus Demokratien besteht.

Die innere Verfasstheit von Staaten ist keineswegs nur eine innere Angelegenheit, sondern außenpolitisch hochrelevant. Innen- und Außenpolitik verschwimmen. Konflikte führen zu Vertreibungen und Flüchtlingen. Autoritäre Regierungen versuchen, andere Demokratien zu schwächen. Sie sind keine verlässlichen Partner, weil ihr Kerninteresse das politische Überleben der Führung um jeden Preis ist. Es ist kein Zufall, dass die von Deutschland und Frankreich initiierte Allianz für den Multilateralismus fast nur aus Demokratien besteht.

Der erste Demokratie-Gipfel ist daher von fundamentaler Bedeutung. Wird er nur als amerikanische PR-Veranstaltung wahrgenommen, beschädigt er den Ruf der Demokratie weiter. Die EU hat eine gemeinsame Position zum Gipfel entwickelt und der US-Regierung übermittelt. Sie hat vor allem ihren Anspruch angemeldet, auf dem Gipfel eine aktive Rolle zu spielen. Die Europäer sollten noch weiter gehen und darauf dringen, dass schon jetzt eine Gruppe von Staaten aus allen Kontinenten den Gipfel vorbereitet. Das ist durchaus auch im Interesse der USA. Es wäre kontraproduktiv, wenn der Eindruck eines amerikanischen Alleingangs erweckt und die USA als selbsternannter „Demokratie-Schiedsrichter“ wahrgenommen würden.

Viele Diplomaten aus EU-Staaten fürchten, dass der Gipfel eine geostrategische Schlagseite bekommen und vor allem als Anti-China-Gipfel wahrgenommen werden könnte. Diese Gefahr ist real. Die Einhegung chinesischer Hegemonialansprüche ist in den USA gegenwärtig eines der wenigen Themen, bei denen sich Demokraten und Republikaner einig sind. Für die US-Regierung ist es also eine Gelegenheit, auch innenpolitisch zu punkten.

Es wäre kontraproduktiv, wenn der Eindruck eines amerikanischen Alleingangs erweckt und die USA als selbsternannter „Demokratie-Schiedsrichter“ wahrgenommen würden.

Eine solche Schlagseite liegt allerdings nicht im europäischen Interesse. Man sollte sich keine Illusionen machen: Russland und China versuchen, demokratische Prozesse in anderen Ländern zu schwächen und unglaubwürdig zu machen. In diesem Sinne hat der Systemwettbewerb schon jetzt Elemente eines geopolitischen Kalten Kriegs. Aber es ist nicht im europäischen Interesse, diesen auszuweiten und eine Trennung zwischen pro-westlichen Demokratien und autoritären Staaten zu forcieren. Die Vermengung von Demokratieförderung und geopolitischen Interessen stellt die Motive ersterer in Frage. Viele globale Probleme können nur von der ganzen Staatengemeinschaft gelöst werden. Der Klimanotstand ist das offensichtlichste Beispiel.

Der demokratische Westen arbeitet eng mit Saudi-Arabien zusammen, einem der repressivsten Länder der Welt, das keinesfalls der „demokratischen Welt“ zugerechnet werden kann. Andererseits gibt es Länder, die sich geopolitisch an China orientieren, aber trotzdem demokratisches Potential haben, zum Beispiel Pakistan. Wegen des Konflikts mit Indien ist die pakistanische Politik grundsätzlich pro-chinesisch ausgerichtet. Gleichzeitig gibt es in Pakistan demokratische Prozesse, die – mit vielen Einschränkungen – funktionieren. Diese können wir unterstützen – allerdings ohne zu erwarten, dass das Land deshalb seinen außenpolitischen Kurs ändert.

Viele Diplomaten aus EU-Staaten fürchten, dass der Gipfel eine geostrategische Schlagseite bekommen und vor allem als Anti-China-Gipfel wahrgenommen werden könnte.

Statt eine geopolitische Kampfansage zu formulieren, sollte der Gipfel ein ruhiges Selbstbewusstsein ausstrahlen, dass Demokratie die beste Regierungsform ist. Die teilnehmenden Staaten sollten erklären, dass sie sich gegenseitig in ihren Bemühungen und demokratische Bewegungen grundsätzlich unterstützen. Die Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Staaten sollten keinesfalls das Rad neu erfinden: Demokratische Regierungsführung ist schon lange eine völkerrechtliche Verpflichtung. Das Problem ist immer die Umsetzung. Der Gipfel sollte auch signalisieren, dass die Unterscheidung zwischen etablierten, stabilen Demokratien und neuen, potentiell instabilen Demokratien nicht mehr leicht zu treffen ist. Viele alte Demokratien haben ernste Problem, sei es mit Extremismus oder starker Polarisierung. In vielen jungen Demokratien gibt es interessante „best practices“ – starke Institutionen wie unabhängige Wahl- oder Menschenrechtskommissionen.

Der Gipfelprozess darf schwierigen Fragen und Kritik keineswegs aus dem Weg gehen. Die offene Debatte ist ein Merkmal der Demokratie – sie versteckt sich nicht und schweigt unangenehme Fragen nicht tot. Die US-Regierung hat angekündigt, dass die Zivilgesellschaft bei dem Gipfel-Prozess eine wichtige Rolle spielen soll. Dies darf nicht auf eine symbolische Mitwirkung beschränkt sein. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften, religiöse Organisation und Menschenrechtsgruppen müssen mit am Tisch sitzen. Demokratie kann nicht nur unter Regierungen verhandelt werden, ohne die gesellschaftliche Dimension einzubeziehen.

Die Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Staaten müssen konkret und messbar sein. Es bringt beispielsweise wenig, wenn die ungarische Regierung allgemeine Erklärungen zur Demokratie abgibt. Würde sie sich aber verpflichten sicherzustellen, dass die öffentlichen Medien ausgeglichen über die verschiedenen Parteien berichten, wäre für die Evaluierung eines möglichen Fortschritts im kommenden Jahr die Grundlage geschaffen. Eine solche Verpflichtung wäre relevant und messbar.

Statt eine geopolitische Kampfansage zu formulieren, sollte der Gipfel ein ruhiges Selbstbewusstsein ausstrahlen, dass Demokratie die beste Regierungsform ist.

Deutschland sollte die vom Europarat angemahnten Anti-Korruptionsreformen umsetzen, zum Beispiel durch bessere Regulierung von Lobbyismus und Interessenkonflikten im Bundestag sowie bei hohen Staatsbeamten und Politikern. Auch die Schließung der vielen Lücken bei der Regulierung des Online-Wahlkampfs würde sich als Verpflichtung anbieten. Die deutsche Außenpolitik muss Demokratie stärker als bislang als zentrales Thema verankern. Kommunikativ und institutionell ist das Thema derzeit wenig sichtbar. So gibt es im Auswärtigen Amt beispielsweise eine Beauftragte und ein Referat für Menschenrechte, aber Demokratie kommt im Organisationsaufbau nicht vor. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sollten in einer Arbeitseinheit gebündelt werden, um diesem zentralen Themenkomplex die notwendige Expertise und Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Demokratie bleibt ein globales Mega-Thema des 21. Jahrhunderts. Die Zusammenarbeit um den geplanten Demokratie-Gipfel gibt uns die Chance zu überdenken wie wir Demokratie effektiv fördern und stärken können.