Diese Pläne sorgen in Israel für Aufruhr: Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, hat verkündet, dass er eine Nationalgarde – eine Art Bereitschaftspolizei – aufbauen wird, die ihm direkt unterstehen soll. Dies hat er Ministerpräsident Benjamin Netanjahu abgerungen, nachdem dieser nach massivem Druck von Protestierenden gegen die sogenannte Justizreform diese pausiert hatte. Ben Gvir protestierte zunächst und kündigte an, die Regierung zu verlassen, wenn die Justizreform nicht in vollem Tempo umgesetzt würde. Er ließ sich allerdings gegen das Versprechen zur Schaffung einer Nationalgarde unter seiner Aufsicht auf das Pausieren der Gesetzgebung ein. Die aktuelle Planung sieht vor, dass die Nationalgarde mit etwas mehr als 1 800 Personen bestückt und mit einem Budget von rund einer Milliarde Schekel (260 Millionen Euro) ausgestattet werden soll.
Die Kritik an den Plänen ist groß. Der aktuelle Polizeichef Kobi Schabtai sowie mehrere seiner Vorgänger haben mitunter in drastischen Worten vor der Einrichtung einer solchen Einheit für Ben Gvirgewarnt. Zeitungen berichten davon, dass der Inlandsgeheimdienst dies als gefährlich erachtet, weil es zu Konkurrenzsituationen zwischen regulärer Polizei und Nationalgarde kommen könne. Auch die Generalstaatsanwältin sieht im Vorfeld rechtliche Probleme mit einer solchen Einheit.
Ben Gvir ist ein notorischer Provokateur, der wegen Volksverhetzung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe verurteilt wurde.
Dabei ist nicht die Etablierung einer Nationalgarde selbst problematisch. Eine solche wurde auch von der Vorgängerregierung schon angedacht, um die notorisch überforderte Polizei zu unterstützen. Die Warnungen zielen vielmehr auf den nationalen Sicherheitsminister Ben Gvir, dessen Weltanschauung und die Absichten, die er mit einer solchen Garde verbindet. Denn Ben Gvir ist eine der radikalsten Personen der israelischen Politik. Der Minister für nationale Sicherheit ist ein notorischer Provokateur, der wegen Volksverhetzung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppe verurteilt wurde. Er ist Anhänger der Lehre des bereits 1990 ermordeten radikalen US-israelischen Rabbiners Meir Kahane. Letzterer forderte einen religiösen jüdischen Staat einschließlich der Palästinensergebiete und lehnte Demokratie als unjüdisch ab. Dazu kam sein Hass auf links-liberale Jüdinnen und Juden und mehr noch auf die arabische Bevölkerung, die er vertreiben wollte: „they must go“. Gerahmt wurde dies in einer dialektischen Rachetheologie, nach der alles Leid, das Jüdinnen und Juden im Lauf der Geschichte angetan wurde, den Nichtjuden jetzt mit Gewalt zurückgezahlt werden müsse. In einem Text schrieb Kahane etwa, dass eine Faust im Gesicht eines Nichtjuden ein Lobpreis Gottes sei. Gewalt wird in dieser Lehre zum religiösen Selbstzweck, Rache dient der Erlösung des jüdischen Volkes.
Ben Gvir und die Partei Jüdische Macht sind die Erben dieser Ideologie. Auch wenn er sich nach öffentlichem Aufschrei 2023 vorsichtig von Kahane distanzierte, scheint jedoch klar, dass dies vor allem ein taktisches Bekenntnis war. Noch in der jüngsten Vergangenheit bekannte sich der Minister für nationale Sicherheit mehrfach dazu, Kahanes Pfad fortsetzen zu wollen. So spricht sich seine Partei für den „totalen Krieg“ gegen Israels Feinde aus und Ben Gvir selbst hat noch 2022 unterstrichen, dass die Palästinenser dazu gebracht werden sollen, das Land zwischen Jordan und Mittelmeer zu verlassen, und warb für ein Emigrationsministerium.
Nach Ben Gvirs Meinung geht die Polizei nicht genug gegen die arabische Bevölkerung vor.
In einer zentralen Herangehensweise unterscheidet sich Ben Gvir aber von Kahane: Er geht nicht mehr auf absolute Konfrontation zum Staat Israel und dessen Einrichtungen, sondern versucht stattdessen, seine Überzeugungen im Staat zu verankern und diesen vielmehr zu nutzen, um diese auch durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund war das Ministerium für nationale Sicherheit auch ein langgehegter Wunsch. Ben Gvir – der vom Armeedienst wegen seiner Radikalität ausgeschlossen worden ist und von Polizeichef Kobi Schabtai noch 2021 nach vielen Provokationen persönlich für die Gewalteskalation zwischen Israel und den Palästinensern verantwortlich gemacht wurde – will entscheiden, was die Prioritäten der Polizei sein sollten. Seiner Meinung nach geht die Polizei nicht genug gegen die arabische Bevölkerung vor, auch weil eine angebliche linksliberale Elite die Richtlinien im Staat vorgebe, insbesondere in der Manifestation des Obersten Gerichtshofs.
Daher hat er sich bei seinem Antritt auch mehr Kompetenzen ausbedungen, um der Polizei Handlungsdirektiven vorgeben und mitunter sogar in konkrete Untersuchungen eingreifen zu können. Allerdings wurden ihm hier Grenzen durch den Obersten Gerichtshof gezogen. Die radikalen Positionen von Ben Gvir führten relativ schnell zu Spannungen mit dem Polizeiapparat und dessen Führung. Deutlich war dies jüngst bei den Demonstrationen gegen die Regierungspläne zum Justizumbau zu sehen. Ben Gvir bezeichnete mal alle Demonstrierenden, mal Teile von ihnen als Anarchisten, von denen eine Gefahr für Staat und sogar die Leben einzelner Politiker ausgehe, und ordnete eine Null-Toleranz-Politik an. Die Polizei ist ihm in vielen Dingen nicht nachgekommen, insbesondere wurde Ben Gvirs Behauptung, dass es Pläne für politische Morde geben soll, zurückgewiesen. Der Minister kritisiert, dass die Polizei seinen Anweisungen vor allem nach härterem Durchgreifen nicht Folge leiste.
Aus der Sicht von Ben Gvir ist die Polizei nur eine weitere staatliche Institution, die sich der demokratisch gewählten Regierung verweigert. Denn in der oftmals revolutionär anmutenden, majoritären Logik dieser Regierung müssen sich alle Institutionen vollends dem Prinzip der Mehrheit beugen. Alles andere sei eine Form der undemokratischen Insubordination und die fortgesetzte Kontrolle „liberaler Eliten“ und des „tiefen Staates“, die sich weigerten, die Mehrheitsverhältnisse im Staat anzuerkennen. In einem Interview hat Ben Gvir erklärt, dass es eben wegen einer Politisierung der Polizei notwendig sei, „eine nicht-politische Polizeigewalt zu schaffen“.
Ben Gvir will eine Polizei, die seinen Befehlen unwidersprochen folgt.
Soll heißen: eine Polizei, die seinen Befehlen unwidersprochen folgt. Und dies ist seine Vorstellung hinsichtlich der Nationalgarde. Diese soll nämlich nicht in die Polizei integriert werden, sondern eine separate Einrichtung sein, die nur dem Minister direkt untersteht. Damit könnte sich Ben Gvir quasi eine eigene Polizeieinheit selbst zusammenstellen. Eine erschreckende Idee. Bereits Kahane schrieb davon, dass man in jeder arabischen Stadt eine Polizeistation haben müsse, um den arabischen Nationalismus zu unterdrücken. Eine der zentralen Aufgaben für die Nationalgarde soll laut Ben Gvir ebenfalls der Kampf gegen „nationalistische Verbrechen“ sein – das beginnt bei ihm bereits beim Zeigen der palästinensischen Flagge. Eine solche Nationalgarde wäre die ultimative Kontrolle einer Polizeieinheit in den Händen eines Brandstifters.
Allerdings ist noch nicht klar, ob sich diese Pläne wirklich so materialisieren werden. Denn tatsächlich wurden zwar Gelder allokiert, allerdings hängt die genaue Formation der Nationalgarde noch von weiteren Genehmigungsschritten durch Regierungsgremien ab. Es mag durchaus sein, dass Netanjahu nur auf Zeit spielt, um Ben Gvir bei der Stange zu halten. Es wäre auch möglich, dass die Vorstellung einer Nationalgarde unter dem Befehl Ben Gvirs die Opposition unter Druck setzen und zu stärkeren Konzessionen in den Gesprächen zur Justizreform bewegen soll. Sollte dies allerdings verwirklicht werden, wäre es eine neue Eskalationsstufe, denn hier würde wirklich eine Art politisierter Miliz für einen der radikalsten Akteure der israelischen Politik vorbereitet. Das kann auch Netanjahu nicht wollen.