Donald Trump ist jetzt auf TikTok – auf einer Plattform, die er zuvor eigentlich verbieten wollte. Noch im März bezeichnete der ehemalige US-Präsident TikTok als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Nun sammelte er innerhalb von einer Woche bereits knapp sechs Millionen Follower ein, während der Kampagnen-Account von Präsident Joe Biden lediglich auf gut 360 000 kommt. Die beiden Präsidentschaftskandidaten verfolgen damit das Ziel, einen direkteren Draht zur US-amerikanischen Bevölkerung aufzubauen. Und wie es scheint, gelingt dies eher Trump – wie auch weltweit eher populistische Akteure damit Erfolge erzielen.

Dabei soll TikTok eigentlich verkauft oder verboten werden – darin waren sich beide Kandidaten mal einig, und das war auch die eindeutige Nachricht des Kongresses an das chinesische Unternehmen ByteDance, den Mutterkonzern von TikTok. Seit Bidens Unterschrift Ende April läuft nun eine neunmonatige Frist, in denen ByteDance die letzten Anteile in chinesischer Kontrolle an westliche Investoren verkaufen muss, um ein Verbot in den USA zu umgehen. 60 Prozent von ByteDance Ltd. sind zwar bereits im Besitz westlicher Investoren, doch kann der Gründer, trotz eines Anteils von lediglich 20 Prozent, aufgrund höherer Stimmrechte weiterhin Kontrolle ausüben. Es ist jedoch nicht sicher, ob es überhaupt zu einem Verbot kommen würde: Eine Klage gegen die US-Regierung mit Verweis auf unrechtmäßige Einschränkung der freien Meinungsäußerung wurde bereits angekündigt. Doch worum geht es bei dem Gesetz wirklich? Und was bedeutet das für Europa und die Demokratie?

In den USA nutzen rund 170 Millionen Menschen die Kurzvideo-App regelmäßig und es wird geschätzt, dass 300 000 Arbeitsplätze an TikTok gebunden sind – überwiegend sogenannte Content Creators. Und doch sind sich erstaunlicherweise alle in den Vereinigten Staaten darin einig, was zu tun ist: Mit einem Verbot drohen, um den Verkauf zu erzwingen. Auch Donald Trump hatte sich seinerzeit für einen solchen Deal ausgesprochen – und nun auch den Nutzen der Reichweite der Plattform erkannt.

Ursache für diesen ungewöhnlichen parteiübergreifenden Zusammenhalt ist die Angst vor Spionage und unautorisiertem Zugang zu den Daten der US-amerikanischen Nutzerinnen und Nutzer durch China. ByteDance hatte der US-Regierung daraufhin angeboten, diese Daten in den USA zu speichern, doch das reichte scheinbar nicht aus. Auch die Berücksichtigung der Interessen der jungen, digitalaffinen Wählerschaft war mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im November nicht ausschlaggebend. Dass ein im Raum stehendes TikTok-Verbot in großen Teilen der GenZ nicht wohlwollend aufgenommen würde, liegt auf der Hand. Vordergründig wurde dieses Argument mit den Sorgen um Desinformationskampagnen gekontert, doch eigentlich ist es merkwürdig, dass Wählerinteressen derart unberücksichtigt bleiben. Schließlich gedeihen chinesische und russische Bots und Datenskandale auch auf X oder Meta, wo erst 2021 die Daten von über 500 Millionen Facebook-Nutzern durch einen Hackerangriff gestohlen wurden – aber das sind ja amerikanische Unternehmen. Könnte es bei dem verabschiedeten Gesetz demnach um etwas ganz anderes gehen?

Elon Musk beweist immer häufiger, dass er auch eine politische Agenda verfolgt – und dazu auch X einspannt.

Dass Daten und die damit verbundenen Möglichkeiten von Online-Werbung ein Milliardengeschäft sind, sollte mittlerweile den meisten Schulkindern klar sein und bildet inzwischen die Grundlage vieler Geschäftsmodelle. User Profiling  findet in einem derart hohen Grad statt, dass maßgeschneiderte Werbung an den jeweiligen Nutzer ausgespielt wird. Aber das kennt man bereits von Meta und den dazugehörigen Diensten Facebook oder Instagram. Und Elon Musk beweist immer häufiger, dass er auch eine politische Agenda verfolgt – und dazu auch X einspannt.

Der entscheidende Unterschied ist, dass TikTok die einzige große Social-Media-Plattform ist, die nicht in den USA entwickelt wurde und deren Code eine rein chinesische Angelegenheit bleibt. Ist das drohende TikTok-Verbot dann vielleicht keine Frage von Datenschutz, sondern schlicht ein Fall von purem Neid? Wollen die US-amerikanischen Firmen nicht einfach selbst ihr Unwesen mit den ganzen Daten treiben? Würde ein Verkauf sich überhaupt spürbar positiv auf die Nutzererfahrung auswirken – oder noch besser: die westlichen Demokratien wieder entscheidend stärken?

Innerhalb der Europäischen Union trifft die Stimmungsmache gegen TikTok jedenfalls auf Zuspruch.

Innerhalb der Europäischen Union trifft die Stimmungsmache gegen TikTok jedenfalls auf Zuspruch. In Estland und Frankreich wurde TikTok inzwischen auf Diensthandys von Angestellten im öffentlichen Dienst verboten und seit Mitte März dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EU-Kommission die App auch nicht mehr benutzen. Im Fokus steht das Thema Cybersicherheit, sodass europäischen Beamten sogar von der privaten Nutzung von TikTok abgeraten wird. Wie das letztlich durchgesetzt und überprüft werden soll, bleibt unklar.

Parteiübergreifend wird in Deutschland unterdessen ein ähnliches Vorgehen gefordert. Einigkeit herrscht bei den Bedenken wegen einer nicht DSGVO-konformen Handhabung von Nutzerdaten sowie bei der Angst vor Spionage und vor der Verbreitung von Desinformationen – insbesondere im Zuge der bevorstehenden Europawahlen. Roderich Kiesewetter, Vizevorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, bezeichnete TikTok sogar als „eine Gefahr für die Demokratie“ und als Instrument der „hybriden Kriegsführung“ Chinas und Russlands. Gegen Facebook oder Instagram fand eine solche Wortwahl in Europa bislang wenig Verwendung und auch ein Verbot stand von Seiten der Politik nie ernsthaft im Raum. Bei den US-amerikanischen Diensten werden stets die Reichweite und der Impact erfolgreicher Online-Kampagnen in den Vordergrund gestellt. Das enorme und weiterhin steigende Reichweitenpotenzial von TikTok, insbesondere bei unter 25-Jährigen, wird hingegen gern vergessen. Die Gründe dafür sind: Zu viel Kulanz gegenüber westlichen Tech-Konzernen und ein zu starres Politikfeld, in dem weder die Institutionen noch die Politikerinnen und Politiker mit den technischen Entwicklungen Schritt halten.

Aus Sicht der Europäerinnen und Europäer kann US-Tech-Unternehmen mit schillerndem Führungspersonal genauso wenig vertraut werden wie den chinesischen Pendants.

Die Gefahren von Desinformation und Missbrauch von Nutzerdaten sind natürlich real – und sollten ernst genommen werden. Vor einigen Jahren zeigte eine MIT-Studie bereits, dass sich Fake-News und Lügen bis zu sechsmal schneller auf X verbreiten, damals noch Twitter. Und wie reagiert die Politik? Einerseits mit profitmotivierten Verbotsforderungen in Bezug auf TikTok; dahinter steckt offensichtlich nicht vorrangig der Schutz der Demokratie, da sich sonst auch der Umgang mit dem von Desinformationskampagnen geplagten Facebook ändern müsste. Es reicht eben nicht, Mark Zuckerberg in einem Ausschuss zu befragen. Und andererseits mit lächerlichen Geldstrafen für westliche Tech-Konzerne, die keineswegs zu grundsätzlichen Veränderungen am Geschäftsmodell mit Nutzerdaten einladen. Meta bekam 2023 von der EU eine Rekordstrafe in Höhe von 1,2 Milliarden Euro aufgebrummt – gerade einmal drei Prozent des im selben Jahr erwirtschafteten Profits. Beides sind demnach leider völlig unzureichende Strategien. Warum sollte es schließlich aus Sicht eines europäischen Nutzers einen Unterschied machen, ob er von einem Unternehmen mit Sitz im Silicon Valley desinformiert wird oder ob ein Pekinger Unternehmen seine Daten missbraucht? Aus Sicht der Europäerinnen und Europäer kann US-Tech-Unternehmen mit schillerndem Führungspersonal genauso wenig vertraut werden wie ihren chinesischen Pendants.

Hinzu kommt, dass die Schwerfälligkeit politischer Institutionen mit der Wandelbarkeit und kontinuierlichen Entwicklung technischer Möglichkeiten und Anwendungen schlicht nicht mithalten kann. Dies wird leider dadurch verschärft, dass die meisten demokratisch-gesinnten Politikerinnen und Politiker sich den Sozialen Medien meist entweder gänzlich verweigern oder halbherzig und unbeholfen Nähe mit einem jüngeren Publikum herstellen wollen. Bestes Beispiel ist Olaf Scholz’ kürzlich veröffentlichtes erstes TikTok-Video.

Man kann eben nicht immer verbieten, was man nicht beherrschen kann.

Ganz anders sieht es hingegen bei der rechtsextremen, digitalkundigen AfD aus. Diese hat sich die Sozialen Medien zu eigen gemacht und zählt doppelt so viele Facebook-Fans wie die restlichen Parteien zusammen und kommt durchschnittlich auf etwa zehnmal mehr Impressionen pro TikTok-Video. Die demokratischen Parteien hingegen überschatten diese Möglichkeiten der Reichweite mit ihren Bedenken und bieten den kommenden Generationen daher auch keine Alternative zu den Inhalten der AfD. Das Gleiche passiert in Frankreich, wo der junge Spitzenkandidat des rechtsradikalen Rassemblement National auf TikTok 1,3 Millionen Follower hat und gerade auch bei jungen Menschen viel Anklang findet. Marine Le Pens Partei liegt in Umfragen zur Europawahl unangefochten auf Nummer 1. Vor diesem Hintergrund über ein Verbot von TikTok zu reden, wirkt sehr verkürzt. Man kann eben nicht immer verbieten, was man nicht beherrschen kann.

Im Kleinen wehren sich bereits eine aus Fridays for Future hervorgegangene Gegenbewegung mit dem Hashtag #ReclaimTikTok oder auch Politiker wie Karl Lauterbach, der aber den Algorithmus der Plattform nicht ausreichend füttert. Ganz übergeordnet braucht es eine agilere deutsche und europäische Politik, die technische Entwicklungen – sei es in Bezug auf Facebook, X, TikTok oder auch bezüglich Künstlicher Intelligenz – institutionell sowie legislativ zeitgemäß begleitet und auch auf praktischer Anwendungsebene den Anschluss an die Bevölkerung nicht verliert. Auch ein Digital Services Act macht die demokratischen Parteien nicht auf einen Schlag wieder attraktiv. Unsere Politikerinnen und Politiker sollten, statt ein Verbot zu diskutieren, sich vielmehr mit einem gekonnten TikTok-Auftritt für unsere Demokratie einsetzen.