Heute ist die Demokratie beinahe überall vom Geist der Illiberalität, des Anti-Pluralismus und des autoritären Rechtsextremismus bedroht. Dies hat eine Reihe von Ursachen: ein sich ausbreitender Pessimismus, die Angst vor sozialem Abstieg, die das Fortschrittsgefühl der Nachkriegszeit verdrängt hat, sowie verschiedenste Gegenreaktionen auf kulturellen Wandel. In das Panorama der multikausalen Hintergründe gehört jedoch auch eine Banalisierung der Diskurse durch ein Zusammenspiel von reiner Propaganda, dem Strukturwandel der Öffentlichkeit durch Social Media und dem Internet generell sowie der Schlagzeilen-Kultur und Sensationsmache der Tabloids.
Der Rechtsextremismus operiert mit den Mitteln von Übertreibung, Vereinfachung und durch das Schaffen von Feindbildern. Obwohl er seinen reichen Gönnern verpflichtet ist, stilisiert er sich zum Fürsprecher der einfachen Leute gegen „die da oben“, die „Eliten“ und gegen Politiker, die allesamt als gekauft, korrupt, unfähig, abgehoben, „gegen das Volk“, ja, als Agenten eines „Systems“ dargestellt werden. Darin steckt jedoch auch ein Kern des Guten, nämlich die Sehnsucht nach etwas ganz anderen, nach einer Politik, die sich nicht mit der Verwaltung des Existierenden und dem Management von Details zufriedengibt. Es ist eine Art Revolte in perversen Formen, der Wunsch nach einer echten Systemveränderung.
Deswegen gibt es auch immer wieder die Kritik, dass breite Teile der gemäßigten Linken diese rebellischen, widerständigen Energien den Rechtsextremen überlassen hätten. Mit dieser Kritik geht manchmal ein Plädoyer für einen „linken Populismus“ einher. Was linker Populismus sein soll, ist dabei häufig nicht so klar. Der vor einigen Jahren verstorbene britisch-argentinische Philosoph Ernesto Laclau galt als einer der schlauesten Denker eines solchen Populismus „von links“. Für ihn war eine der Charaktereigenschaften dieses Populismus, dass die Linke die Unterprivilegierten ansprechen müsse – als ein widerständiges „Wir“, gegen die Etablierten, die Reichen, die Gewinner, gegen diejenigen, die das System zu ihrem Vorteil geschaffen haben. Andere wiederum verbinden mit Linkspopulismus mehr Radikalismus, oder auch leicht verständliche Forderungen, die sich nicht im energielosen Für und Wider, dem Einerseits-Andererseits verlieren, die häufig progressive Regierungspolitik kennzeichnen.
Viele dieser Argumente klingen nicht nur plausibel, sie haben auch viel für sich. Zugleich führen Versuche einer radikaleren linken Politik sehr oft in eine Sackgasse, in der eine regressive Linke die Welt viel zu oft in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse unterteilt. Eine solche banale Gegenüberstellung verkennt jedoch sowohl die Ambiguitäten der Wirklichkeit als auch die Komplexität der meisten Themen. Und sehr häufig stellt sich dann heraus, dass eine solche Strategie nicht nur zu deprimierenden Simplifizierungen führt, sondern auch zu pseudo-leninistischer Kraftmeierei und Verbalradikalismus – und überdies noch nicht einmal Erfolge nach sich zieht. Denn im eher heterogenen Wählerpotenzial von Linksparteien schreckt solche Unvernunft immer auch mindestens so viele Leute ab wie sie möglicherweise anzieht.
Der Linksliberalismus ist in aller Regel derart gemäßigt, dass er wegen der „realpolitischen“ Orientierung keinerlei Leidenschaften entfachen kann.
Das, was man in Kontinentaleuropa gelegentlich den gemäßigten Linksliberalismus nennt, war immer auch eine Gegenreaktion auf eine regressive Linke, die glaubte, die Konflikte in einer modernen Welt in den Kostümen einer untergegangenen Vergangenheit führen zu können. Das ist das Gute am Linksliberalismus. Aber auch er hat, wie der Linkspopulismus, seine Falle: Er verliert sich leicht in einer ausbalancierten Gemäßigtheit und Vernünftigkeit, sodass er gar nichts mehr zuwege bringt. Ja, schlimmer noch: Oft war er einfach eine Kapitulation vor den „Realitäten“, die Akzeptanz des zeitgenössischen Kapitalismus.
Der Linksliberalismus ist in aller Regel derart gemäßigt, dass er wegen der „realpolitischen“ Orientierung keinerlei Leidenschaften entfachen kann, während die akzentuierte Linke einen gewissen „Unrealismus“ für notwendig hält, um den Kampf gegen Gewalt, Ungerechtigkeiten, soziale und ökonomische Ungleichheit aufnehmen zu können. Das ist oft eine Schwäche des Linksliberalismus. Aber dennoch hat er gegenüber einem (verbal-)radikalen Linkspopulismus einen großen Vorzug: Die Banalisierung der Diskurse, die Gereiztheit, die Phrasen und die allgegenwärtige Propaganda, die mit dem Aufstieg des Rechtsextremismus einhergehen, gehen sehr vielen Leuten richtig auf die Nerven. Es ist eine Sackgasse, zu versuchen, in diesem Stil mit den Rechtsextremen und Rechtspopulisten in Konkurrenz zu treten.
Die demokratische Linke sollte auf die Macht des Wortes, auf die des leisen Nachdenkens und Abwägens, aber auch auf die Macht der Gesprächsführung setzen, wozu das Argumentieren, das Widersprechen, aber auch das Zuhören gehört. „Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat“, formulierte Sigmund Freud einmal. Vielleicht werden manche von Ihnen jetzt entgegnen, dass es romantisch oder sogar naiv sei, auf diese Weise auf die Macht des Wortes zu setzen, auf das, was Jürgen Habermas in einer längst legendären Formulierung den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ nannte. Dann sollten wir allesamt romantischer werden. Denn es gibt keine andere gute Möglichkeit zur Verbesserung unserer Gesellschaften, als sich – um Kant zu paraphrasieren – des eigenen Verstandes zu bedienen, und das öffentlich zu tun und die Macht des Wortes zur Geltung zu bringen, gegen das Geschrei.
Der Königsweg wäre wohl so etwas wie ein „radikaler Linksliberalismus“, wenn es denn so etwas gäbe, angelehnt an einen „revolutionären Reformismus“, der nicht nur den autoritären Versuchungen einer regressiven Linken und den Verlockungen entgeht, eine komplexe Welt in alberne Eindeutigkeiten aufzulösen, sondern der zugleich die Falle einer totalen Gemäßigtheit vermeidet, in der man die Fähigkeit einbüßt, irgendwelche ambitionierten Ziele zu formulieren. Also etwa in der Art: radikal in der Ambition, aber vernünftig in Stil und Ton.
Dieser Artikel ist eine gemeinsame Publikation von Social Europe und dem IPG-Journal.