In seiner freitagabends ausgestrahlten Late-Night-Satire-Show ZDF Magazin Royale griff der öffentlich-rechtliche Sender kürzlich die Kontroverse um das geplante Selbstbestimmungsgesetz auf, das es transidenten Personen ermöglichen soll, ihr rechtliches Geschlecht ohne vorherige psychologische oder medizinische Untersuchung zu ändern. Moderator Jan Böhmermann machte sich über alle Gegenargumente lustig, die im Namen von Frauenrechten und geschlechtsspezifischen Schutzräumen (single-sex spaces) vorgebracht werden, und tat diese Argumente ab, als ob das Engagement für die Belange von Frauen nur ein Deckmantel für Transphobie wären. Er rückte Alice Schwarzer, eine Ikone der westdeutschen Frauenbewegung der zweiten Generation, in die Nähe der extremen Rechten und verwendete für diejenigen, die Zweifel an dem Gesetzentwurf äußerten, das aktivistische Schimpfwort „TERF“ (trans exclusionary radical feminist – trans-exkludierende Radikalfeministin).

Böhmermanns vielleicht frappierendste Aussage war: „Es ist längst wissenschaftlicher Konsens, es gibt sehr wohl mehr als zwei biologische Geschlechter.“ Selbst wenn intersexuelle Menschen ein eigenes biologisches Geschlecht ausmachen würden (was sie mangels einer dritten Geschlechtszelle nicht haben), würde das nicht bedeuten, dass Geschlecht ein Spektrum ist. Der Anspruch intersexueller Menschen auf körperliche Unversehrtheit wird systematisch instrumentalisiert, um jegliche Forderungen im Namen der Trans- und Queer-Identität zu legitimieren.

In der Sendung wurden alle Kritikerinnen und Kritiker verunglimpft. In einer arroganten Art und Weise wurde ihnen die feministische Legitimation abgesprochen. Laut Böhmermann bestehe die einzig richtige feministische Haltung darin, das Gesetz vorbehaltlos zu unterstützen. Sein „Mansplaining“ von Feminismus gegenüber Frauen zielte jedoch nicht darauf ab, Andersdenkende zu überzeugen, sondern sie vor aller Augen zu delegitimieren: Kein anständiger Mensch – so die Botschaft – dürfe solche Ansichten vertreten, weil sie eindeutig von der extremen Rechten stammten.

Ob beabsichtigt oder nicht, werden abweichende Meinungen mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht.

Die von einem Millionenpublikum gesehene Sendung ist ein anschauliches Beispiel für die zentrale diskursive Strategie eines zensierenden Social-Justice-Aktivismus im Westen, der über Genderfragen hinausgeht: Ob beabsichtigt oder nicht, werden abweichende Meinungen mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht. Das beinhaltet gleich zwei Logiken der Delegitimierung: Jedes Gegenargument kommt von der moralisch falschen Seite, und jede angebliche Gesellschaftskritik ist eigentlich eine Verschwörungstheorie.

Die ZDF-Show ist jedoch weder ein Extremfall noch eine Ausnahme. Im jüngsten Bericht der in Brüssel ansässigen Lobby-Organisation „Transgender Europe e.V.“ (TGEU) werden rechte Anti-Gender-Bewegungen und genderkritische Feministinnen in einem Atemzug genannt. Andere Pro-Trans-Organisationen werfen Letzteren sogar eine genozidale Ideologie vor. Wer bei Google Scholar als Suchbegriff „TERF“ eingibt, findet zahllose akademische Veröffentlichungen, in denen dieses aktivistische Vokabular von Ausgrenzung, Hass und sogenannter rechtsextremer Logik unkritisch übernommen wird. Die Kontroversen um die bei Oxford University Press erschienenen Bücher von Holly Lawford-Smith und Alex Byrne über „Sex“/„Gender“ sind ein Indiz für höchst problematische Phänomene in der Philosophie und im akademischen Verlagswesen.

Bestimmte Konzepte, politische Ziele und Forderungen der postmodernen Linken stehen schon seit geraumer Zeit unter Beschuss. Die Kritik kommt nicht nur von der Rechten (und erst recht nicht nur von der extremen Rechten), sondern auch aus marxistischen Kreisen, von liberalen Verfechterinnen und Verfechtern der Rede- und Wissenschaftsfreiheit, von Feministinnen verschiedener Strömungen, Befürworterinnen und Befürwortern von Schwulen- und Lesbenrechten und von besorgten Eltern. Die Reaktionen auf diese Kritik sind oft aggressiv und fanatisch: Wer Kritik übt, hat nicht nur Unrecht, sondern ist eine verachtenswerte Person, die ihren Hass oder ihre Bigotterie hinter Argumenten verschanzt, die von rechtschaffenen Menschen verachtet werden sollten.

Wir alle sollten uns als Individuen verantwortungsvoll verhalten, und es leuchtet durchaus ein, dass wir die eigenen blinden Flecken, die unsere Eigeninteressen bedienen, nicht wahrnehmen. Doch jede Kritik an Mobbing-Praktiken gegenüber Einzelnen in der Anti-Rassismus-Bewegung als White Fragility zu brandmarken, ist schon ziemlich gewagt. Ähnlich zu kurz gegriffen wurde kürzlich in der Podcast-Serie The Witch Trials of JK Rowling. Die für ihr YouTube-Format „Contrapoints“ bekannte Natalie Wynn warf Rowling einmal mehr indirekte Bigotterie vor und bezeichnete jeden Hinweis auf Sorgen über die Sicherheit von Frauen oder die Verletzlichkeit von Kindern im Zusammenhang mit der geschlechtlichen Selbstidentifikation als reinen Deckmantel für Transphobie.

Dieser moralistische Diskurs macht oft den Fehler, die Anliegen der Mitglieder bestimmter Gruppen mit den Zielen und Strategien der damit verbundenen sozialen Bewegungen gleichzusetzen – als würde die Kritik an Letzterer zwangsläufig bedeuten, dass Erstere ignoriert werden, oder als würde, direkt oder indirekt, das ihnen zugefügte Leid vergrößert. Nach dieser Logik ist jede Kritik an #MeToo Sexismus, jede Kritik an der Leihmutterschaftsindustrie Homophobie und jede Kritik an der Prostitutionsindustrie Ausgrenzung von Sexarbeiterinnen. Nach dieser Logik ist es rassistisch, wenn jemand die Excel-Tabellen-ähnliche Aufzählung „intersektionaler“ Identitäten hinterfragt, und trans- und queerfeindlich, wenn jemand nicht jeden partikularen Identitätsanspruch blindlings akzeptiert.

Dies ist bereits in den verwendeten Definitionen angelegt. Naiverweise könnte man denken, dass eine „Phobie“ eine konkrete Angst oder Verachtung beinhaltet. Doch nach der Definition der namhaften LGBT+-Organisation Stonewall beinhaltet Transphobie jede „Leugnung der eigenen Geschlechtsidentität oder die Weigerung, diese zu akzeptieren“. Oder: Wenn man der Meinung ist, dass die Gleichstellung von Schwulen/Lesben mit Heterosexuellen auch das gleiche Recht auf Kinder einschließt, dann erscheint jede Infragestellung dieses Rechts – zum Beispiel unter Hinweis auf die körperliche Ausbeutung besonders armer Frauen als Leihmütter – als Affront.

Zwar handeln die genannten Akteure bestimmt aus besten Motiven, aber sie verhindern eine kritische Diskussion. Auch Kritik an den beteiligten Eliten ist tabu. Dabei ist es durchaus legitim, empirisch zu fragen, wer die maßgeblichen Stimmen hinter bestimmten sozialen Anliegen sind und welche Gruppen von einer bestimmten Politik profitieren. Es gibt ausgesprochen überzeugende Beiträge, die den Zusammenhang zwischen dieser Art von Politik und den Eliten in Medien und Wissenschaft problematisieren.

Wer von Lobbys spricht, wird als Verschwörungstheoretikerin verunglimpft.

Wer von Lobbys spricht, wird als Verschwörungstheoretikerin verunglimpft. Doch ebenso, wie es eine feministische Lobby (die Europäische Frauenlobby nennt sich sogar so), eine katholische Lobby und eine Lobby für Großfamilien gibt, gibt es auch eine Trans-Lobby. All diese Lobbyorganisationen bündeln ihre Kräfte, bilden Koalitionen und üben Druck auf politische Institutionen aus, damit diese auf nationaler oder europäischer Ebene Gesetze erlassen, die ihren Interessen dienen. Doch über diese Themen zu sprechen, ist mittlerweile zu einem Eiertanz geworden.

Das kritische Denken sollte nicht geschwächt, sondern gestärkt werden, um zum Beispiel besser zu verstehen, wie bestimmte scheinbar fortschrittliche Anliegen vor den Karren von Kapitalinteressen gespannt werden können – indem beispielsweise die großen Pharmakonzerne Profit damit machen, dass Menschen nach einer Geschlechtsumwandlung lebenslang medizinisch behandelt werden müssen, oder indem Unternehmen ihre weiblichen Angestellten drängen, ihre Eizellen einfrieren zu lassen und ihre Familiengründungspläne aufzuschieben, oder indem Angestellte sich eher in LGBT+-Gruppen als in Gewerkschaften engagieren.

„Die intellektuelle Luft, die wir atmen, ist vom Neoliberalismus durchtränkt“, sagen Gender-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler. Sie bringen überzeugende Argumente dafür, dass die neuere Gender-Theorie in der Ideologie des Individualismus gefangen ist und individuelle Identitäten zu sehr in den Vordergrund stellt. Das berechtigte Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit (wie etwa die Akzeptanz von Trans-Personen) basiere auf falschen Individualansprüchen (und reproduziere das essenzialistische „Born this way“-Narrativ, das allen sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen darüber widerspreche, wie sich Identitäten in der Interaktion mit der Umwelt herausbilden).

Die  Delegitimierung der Gesellschaftskritik verstärkt die Individualisierung unserer politischen Vorstellungskraft.

Vor allem aber verstärkt diese Delegitimierung der Gesellschaftskritik die Individualisierung unserer politischen Vorstellungskraft. Marc Saxer formuliert es so: „Der Streit um Moral und Identität ist eine typische Erscheinung der neoliberalen Epoche. Viele Bürger haben den Glauben an Gestaltungskraft und -willen des demokratischen Staates verloren. Gesellschaftliche Veränderungen sind nur noch vorstellbar, wenn Individuen in großer Zahl einsehen, dass sie ihr Verhalten ändern müssen.“ Sich mit der Anerkennung der eigenen Identität zu befassen und dann die Sprache der anderen zu disziplinieren, ist Ausdruck einer tiefen Resignation und zeugt von Pessimismus: Wir dürfen höchstens noch hoffen, dass unsere bigotten Mitmenschen ihre Meinungen, mit denen sie andere unterdrücken, nicht mehr laut äußern. Dies ist ein sehr betrüblicher Fall des Neoliberal Order Breakdown Syndrome.

Wie repräsentativ, wie weit verbreitet und systemisch diese Diskurse in der Zivilgesellschaft sind, müsste empirisch noch genauer untersucht werden. Sie sind jedenfalls keine Einzelfälle an den extremen Rändern der Gesellschaft, sondern in den Medien und gesellschaftlichen Bewegungen, in Politik und Wissenschaft präsent. Sie sind keine Beschreibungen von tatsächlichen Konfliktlinien – für oder gegen Gleichheit und Inklusion –, sondern sie sind diskursive politische Strategien, um diese Konfliktlinien herzustellen und eine bestimmte Lesart von sozialer Gerechtigkeit hegemonial festzuschreiben.

Wenn Menschen vor die Alternative gestellt werden – „Entweder du bist auf unserer Seite oder du bist ein rechter Verschwörungstheoretiker, der moralisch auf der falschen Seite der Geschichte steht“ –, mag das eine abschreckende Wirkung entfalten und dafür sorgen, dass Menschen aus Angst den Mund nicht mehr aufmachen. Aber auf lange Sicht wird sich damit keine Mehrheit für irgendetwas mobilisieren lassen. Vielmehr wird es diejenigen radikalisieren, die so angegangen werden.

Dies ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Christine Hardung