Die Olympischen Spiele und Fußballweltmeisterschaften zwischen 2006 und 2022 fanden zu großen Teilen in den BRICS-Staaten statt. Mit Ausnahme von Indien hatten sich alle bisherigen Mitglieder für zumindest eines der beiden Sportgroßereignisse beworben. Sport-Megaevents bieten Staaten eine herausragende Bühne, um die eigene Leistungsfähigkeit im internationalen Kontext zu präsentieren und das nationale Prestige zu steigern. Sie eröffnen Regierenden aber auch die Möglichkeit, die eigene Macht zu sichern. Die Konzepte Sportdiplomatie und Soft Power zählen mittlerweile zu etablierten Kategorien, wenn es darum geht, die Potenziale des Sports als politisches Instrument zu klassifizieren.

Die internationalen Sportverbände haben den BRICS-Staaten bereitwillig den Zuschlag erteilt, da man sich von ihnen nicht nur die Erschließung neuer Sportmärkte und Einnahmequellen versprach, sondern auch vergleichsweise geringen Widerstand gegen umfassende infrastrukturelle Forderungen und finanzielle Investitionen. Dass die oftmals problematische Menschenrechtslage in den BRICS-Staaten dann aber in zahlreichen westlichen Staaten erhebliche Kritik und sogar eine umfassende Protestbewegung von Fans, Spielern, Politik und Medien im Vorfeld der Sportgroßereignisse heraufbeschwor, überraschte die internationalen Sportorganisationen.

Geprägt durch die Unsicherheiten der Pandemiejahre setzte man in den internationalen Sportverbänden infolgedessen zuletzt verstärkt auf die Sicherheitskarte und kehrte zur traditionellen Vergabe von Sportgroßereignissen an Staaten der OECD-Welt zurück. Als nächste Ausrichter der Olympischen Spiele wählte das IOC dementsprechend Paris, Los Angeles und Brisbane. Die FIFA entschied sich für die Fußballweltmeisterschaft 2026 in Kanada, Mexiko und den USA. Kürzlich wurde zudem beschlossen, dass die Weltmeisterschaft 2030 gemeinsam von Spanien, Portugal und Marokko als Hauptausrichter veranstaltet wird.

Von nicht wenigen Beobachtern wird aber gerade die letztgenannte Entscheidung als Problem gesehen, gehen damit doch weitreichende Folgen einher, die das Potenzial haben, den Weltfußball im Kern zu erschüttern. Inspiriert von der paneuropäischen Europameisterschaft 2021, die in elf UEFA-Mitgliedsländern stattfand, entschied die FIFA, die Weltmeisterschaft 2030 – in Anlehnung an das erste Turnier 100 Jahre zuvor in Uruguay – nunmehr mit je einer Partie in Paraguay, Uruguay und Argentinien zu eröffnen. Was auf den ersten Blick den Eindruck einer charmanten historischen Reminiszenz erweckt, wird auf den zweiten Blick von zahlreichen Beobachtern als strategischer Coup gewertet.

Ebenso wie in Katar und den Emiraten kommt auch in der „Saudi Vision 2030“ dem Sport eine zentrale Rolle zu.

Die FIFA hatte im Jahre 2000 ein Rotationsverfahren beschlossen, um seinerzeit Südafrika die Ausrichtung der Weltmeisterschaft zu ermöglichen. Das Land hatte trotz seiner Favoritenrolle 2006 gegenüber Deutschland den Kürzeren gezogen und sollte nach den Vorstellungen der FIFA-Offiziellen im Jahre 2010 endlich zum Zuge gekommen. Hierzu wurde zunächst festgelegt, dass ab dem Jahre 2010 – beginnend mit Afrika – Weltmeisterschaften in einer festen Folge zwischen den sechs Kontinentalverbänden alternieren sollten. Da dieser Modus aber die Auswahl qualifizierter Bewerber allzu sehr einschränkte, änderte die FIFA den Rotationsmodus bereits 2007 wieder. Nunmehr waren bei der Bewerbung nur noch diejenigen Kontinentalverbände ausgeschlossen, in denen die beiden letzten Weltmeisterschaften ausgerichtet worden waren.

Mit der Vergabe der WM 2030 an mehrere Ausrichter zugleich hatte die FIFA strategisch geschickt – wie von vielen Beobachtern konstatiert wurde – das Feld der für 2034 zulässigen Fußballkonföderationen erheblich begrenzt. Die CONCACAF (Nord- und Mittelamerika) kam aufgrund der drei Ausrichterländer des Jahres 2026 nicht in Frage, die UEFA (Europa) nicht wegen Spanien und Portugal 2030, die CONMEBOL (Südamerika) schied aus wegen der Auftaktspiele in Uruguay, Argentinien und Paraguay und die CAF (Afrika) war infolge der Beteiligung von Marokko 2030 nicht zulässig. Letztlich verblieben damit für 2034 nur die AFC (Asien) und die OFC (Ozeanien) als Ausrichter. Berücksichtigt man, dass von den 13 ozeanischen Landesverbänden de facto nur Neuseeland entfernt überhaupt als Ausrichter in Frage kommt – der Rest sind kleine Inselstaaten –, lief alles auf die AFC als kontinentale Ausrichterföderation hinaus.

In der AFC meldete Saudi-Arabien besonderes Interesse an. Hatte man hier ursprünglich das Ziel verfolgt, sich gemeinsam mit Griechenland und Ägypten für die WM 2030 zu bewerben, änderte Saudi-Arabien im Laufe des Jahres die Strategie und setzte nun ganz auf das Turnier in 2034 als alleiniger Ausrichter. Offenkundig mit Erfolg. Australien, das gehofft hatte, die WM 2034 gemeinsam mit Indonesien auszurichten, gab nach dem Verzicht seines Co-Hosts seinen Rückzug bekannt und überließ damit Saudi-Arabien das Feld. Der offiziellen Entscheidung des FIFA-Kongresses im Februar 2024 in Tokio vorgreifend, erklärte Fifa-Präsident Gianni Infantino am 31. Oktober 2023, dass die Fußball-WM 2034 in Saudi-Arabien stattfinden werde.  

Diese Entwicklung ist keine Überraschung. Seit den 2010er Jahren setzt der Wüstenstaat auf die Potenziale der Sportdiplomatie und des Nation Branding, und geht seither seinen sportpolitischen Zielsetzungen umso gründlicher nach. Ebenso wie in Katar und den Emiraten kommt auch in der „Saudi Vision 2030“ dem Sport eine zentrale Rolle zu. Mit der Formel 1 (dem Großen Preis von Saudi-Arabien in Dschidda), mit Golf (der LIV-Turnierserie), mit Tenniswettbewerben, Reitsportturnieren (dem Großen Preis in Riad, dem Weltcup-Finale der Spring- und Dressurreiter) und mit den asiatischen Winter Games 2029 hat man bereits wichtige Sportgroßereignisse in das Land geholt. Die Mittel des saudi-arabischen Staatsfonds PIF mit einem Volumen von rund 760 MilliardenUS-Dollar stehen dabei nahezu unbegrenzt zur Verfügung.

Es steht zu erwarten, dass die sportpolitischen Kontroversen mit Blick auf Saudi-Arabien noch an Schärfe gewinnen werden.

Mit der Ausrichtung des spanischen Super-Cups und dem Investment beim britischen Premier League-Klub Newcastle United begann Saudi-Arabien auch verstärkt auf eine Fußballstrategie zu setzen, die durch die Aufwertung der saudi-arabischen Pro League im Zuge des Einkaufs internationaler Weltstars wie Ronaldo, Neymar und Benzema ergänzt wurde. Die dabei eingesetzten Mittel sind so beträchtlich, dass der Liga nicht nur verstärkt internationale Aufmerksamkeit gewidmet wird, sondern auch eine Anhebung des Spielniveaus wahrscheinlich ist. Ob man aber dem eigenen Anspruch gerecht wird, zu einer der zehn stärksten Ligen der Welt zu werden, bleibt offen.  

Es zeichnet sich dennoch schon heute ab, dass nach einigen absehbar weniger konfliktreichen Jahren die sportpolitischen Grundsatzdebatten in den 2030er Jahren erneut und verstärkt zum Tragen kommen werden. Dies umso mehr, wenn die Ankündigung Katars, sich um die Olympischen Spiele 2036 zu bewerben, konkreter wird. Im Vergleich zu Katar ist Saudi-Arabien jedoch ein anderes Kaliber. Im Königreich sind zahlreiche politische Gefangene inhaftiert, denen Folter und Hinrichtungen drohen. Frauenrechte werden trotz der formellen Abschaffung der männlichen Vormundschaft und des Frauenfahrverbots noch immer begrenzt, vor allem wenn sie aktiv gelebt werden. Den unrühmlichen Höhepunkt markierte der Mord an dem saudischen Exil-Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul, der mutmaßlich auf eine Anweisung von Mohammed bin Salman zurückgeht. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages zeigte sich im Jahr 2020 in einer Erklärung tief besorgt über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien. Und die Bundesregierung entschied erst im November 2023 die Ausfuhr des Eurofighters nach Saudi-Arabien aufgrund der Beteiligung des Landes am Jemenkrieg zu blockieren. 

Welche Konsequenzen erwachsen aus dieser Konstellation? Berücksichtigt man die Erfahrungen rund um die Weltmeisterschaft 2022 in Katar und die Debatte um die Teilnahme russischer Athletinnen und Athleten an den kommenden Olympischen Spielen in Paris, steht der Weltsport nicht nur vor einer neuerlichen Protestwelle, sondern auch vor einer Zerreißprobe. Es steht zu erwarten, dass die sportpolitischen Kontroversen mit Blick auf Saudi-Arabien noch an Schärfe gewinnen werden. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, engagierte Fußballfans und kritische Journalisten werden in den kommenden Jahren über Saudi-Arabien berichten und – wenn man den Protest gegen Katar als Maßstab nimmt – noch weitaus vehementer Widerstand und Boykott fordern. Die europäischen Verbände werden sich eng mit den nationalstaatlichen Regierungen abstimmen, aber noch stärker als in der jüngsten Vergangenheit mit der Herausforderung konfrontiert sein, Protest und Reformforderungen jenseits von Boykottaufrufen glaubwürdig und wirksam zu begegnen.

Das Image der FIFA wird in Europa noch fragwürdiger werden, der Weltfußballverband wird aber höchstwahrscheinlich erneut versuchen, Protest mit Blick auf die Erfahrungen in Katar auszusitzen und Widerstand durch weitere finanzielle Ausschüttungen an die Nationalverbände in globaler Perspektive zu beschwichtigen. Zudem zeichnet sich ein Wandel im Weltsport ab, den der Fußball als Pionier wegweisend anzustoßen scheint. Mit der Verlagerung von einzelnen Abteilungen der FIFA nach Singapur und Miami deutet sich an, dass künftig womöglich nicht mehr Zürich und die Schweiz den zentralen Bezugspunkt für Entscheidungen des Weltfußballverbandes markieren, sondern diese im Stil eines globalen Unternehmens an anderen Orten der Welt – und mit einem anderen Wertehorizont – getroffen werden.

Der Sport selbst wird in dieser Gemengelage von Sportswashing, Gewinnmaximierung und Protestbekundung zunehmend zum Spielball der unterschiedlichen Interessen. Dass sich nun erneut eine verstärkte Inanspruchnahme des Sports durch und für politische Zwecke abzeichnet, birgt selbstredend Gefahren. Der Sport hat zweifellos transformatives Potenzial und kann dazu beitragen, Spannungen abzubauen sowie Antagonisten an einen Tisch zu bringen. Ein Universalinstrument zur Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme ist er aber nicht.