Es war ein Erfolg gegen den globalen Trend des Democratic Backsliding, der sich nun bei der Europawahl wiederholt hat. Der neuen Regierungskoalition in Polen war mit pro-demokratischen Polarisierungsstrategien bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 ein Sieg über die Populistinnen und Populisten gelungen. Nun wurde ihre Arbeit auch bei den Wahlen zum Europäischen Parlament bestätigt. Was können wir daraus für den Kampf gegen autoritäre und populistische Kräfte lernen?

Am vergangenen Wahlsonntag konnte die Bürgerkoalition von Donald Tusk  37,1 Prozent erreichen und übertrumpfte damit das erste Mal seit zehn Jahren die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyński. Der Dritte Weg konnte 6,9 Prozent und die Neue Linke 6,3 Prozent der Stimmen verbuchen. Insgesamt konnte die Regierungskoalition aus Bürgerkoalition, Drittem Weg und Neuer Linken damit beinahe an ihr Ergebnis von den Parlamentswahlen 2023 anschließen. Die PiS vereinte 36,2 Prozent und die Konföderation 12,1 Prozent der Stimmen auf sich.

Die Europawahlen – ebenso wie die vergangenen Regionalwahlen – dienen der neuen Regierungskoalition vor allem als Stimmungstest. So zeigt sich, dass ihr Wahlerfolg im Oktober des vergangenen Jahres keineswegs von Kurzfristigkeit geprägt war, sondern nunmehr mittelfristig Bestand hat. Desto interessanter ist es, sich den damaligen (Wahl-)Kampf um die demokratische Wende genauer anzuschauen und sich zu fragen, welche Lehren wir daraus ziehen können: Neben der autokratischen PiS-Regierung hatte eben auch die sogenannte demokratische Opposition (Bürgerkoalition, Dritter Weg und Neue Linke) eine gezielte Polarisierung betrieben. Vor dem Hintergrund des globalen Democratic Backsliding bietet somit der seltene Fall der demokratischen Wende in Polen die Möglichkeit, den Debattenraum um pro-demokratische Potenziale von Polarisierung zu erweitern.

Rückblick auf die Parlamentswahl im Oktober 2023: Das polarisierende Element der demokratischen (Oppositions-)Parteien war der gemeinsame Wille, die polnische Demokratie wiederherzustellen. Alle drei waren geeint in ihrer Kritik an und in der Ablehnung der autokratischen PiS-Regierung. Dieses polarisierende Element wurde jedoch durch ein pluralistisches Element ergänzt. Entgegen anfänglicher Vermutungen hatte sich die demokratische Opposition gegen eine gemeinsame Wahlliste entschieden und zog mit getrennten Listen in den Wahlkampf. Es kam infolgedessen zu keiner absolut polarisierenden Konfrontation der demokratischen Opposition gegen die autokratische Regierung. Somit gab es zwar eine Polarisierung im Sinne des normativen Demokratieverständnisses, die sich jedoch nicht in einem binären Regierungs-Oppositions-Gefüge niedergeschlagen hat, wie es zuletzt in Ungarn der Fall war. Dort ist die sehr breit zusammengeschlossene Opposition gegen Viktor Orbán kläglich gescheitert. 

Die Polinnen und Polen konnten sich also für das individuell adäquateste der drei pro-demokratischen Angebote entscheiden, ohne „zur Rettung der Demokratie“ eine allzu große Kröte schlucken zu müssen.

Die polnische Opposition konnte aufgrund getrennter Listen politische Nuancen zulassen und den Wählerinnen und Wählern ein pluralistisches politisches Angebot machen. Dieses reichte von links-progressiver (Neue Linke) über liberal-konservative (Bürgerkoalition) bis hin zu konservativer Politik (Dritter Weg). Die Polinnen und Polen konnten sich also für das individuell adäquateste der drei pro-demokratischen Angebote entscheiden, ohne „zur Rettung der Demokratie“ eine allzu große Kröte schlucken zu müssen. Die Aussicht einer wirklichen Auswahl dürfte allgemein zur Mobilisierung beigetragen haben. Weiterführend spielten positive Emotionen und konkrete inhaltliche Angebote eine wichtige Rolle, die in Kampagnen der demokratischen Opposition mit der polarisierenden ablehnenden Haltung gegenüber der PiS kombiniert wurden.

Die PiS hat, auf Kosten Deutschlands, einen besonders polarisierenden Wahlkampf geführt – doch waren sie damit erfolgreich? Am Ende konnte sie lediglich die ihr ideologisch bereits nahestehenden Wählermilieus aus den vorherigen Wahlen mobilisieren. Die von der PiS vorangetriebene Strategie der Polarisierung durch die Angst vor dem Untergang des Staates im Falle eines Wahlsiegs des als deutschen Agenten verteufelten Donald Tusk lief ins Leere. Die Wahl wurde vor allem durch die Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern entschieden, die 2019 noch nicht gewählt hatten – unter ihnen besonders Frauen und junge Menschen. Diese konnten vor allem von der demokratischen Opposition mobilisiert werden.

Die demokratischen Parteien haben selbst vor dem Untergang der polnischen Demokratie im Falle einer weiteren Amtszeit der PiS gewarnt und damit polarisiert.

Die demokratischen Parteien haben selbst vor dem Untergang der polnischen Demokratie im Falle einer weiteren Amtszeit der PiS gewarnt und damit polarisiert. Ein zentraler Unterschied bestand jedoch darin, dass sie nicht ausschließlich durch den ablehnenden Blick auf den politischen Gegner und das Schüren von Angst polarisiert und mobilisiert haben, sondern darüber hinaus den Blick auf die Zukunft des Landes, positive Emotionen sowie konkrete Inhalte eingebunden haben. Sinnbildlich für die positiven Emotionen kann das Herz in den Nationalfarben Polens sein, welches die Bürgerkoalition als ihr neues Parteilogo etabliert hat und das auch namensgebend für den Marsch der Millionen Herzendem Medienereignis im Wahlkampf – kurz vor den Wahlen war. Damit wurden positive, gar harmonische sowie patriotische Emotionen vermittelt. Diese unterfütterte die Bürgerkoalition mittels einer Liste mit 100 leicht kommunizierbaren Forderungen. Damit wurde insgesamt ein kraftvoller Zukunftsentwurf vorgelegt, welcher der PiS-Kampagne aus Hass und Angst keinen Klangkörper gab und sie somit ersticken konnte.

Auch der Dritte Weg hat sich nicht ausschließlich auf die Ablehnung der PiS als polarisierend-mobilisierendes Element verlassen und sich inhaltlich strategisch klug zwischen den beiden Alpha-Tieren PiS und Bürgerkoalition sowie der Konföderation positioniert. So wurden einerseits wertkonservative Positionen in Konkurrenz zur PiS und wirtschaftsliberale Standpunkte in Konkurrenz zur Bürgerkoalition und der Konföderation vertreten. Letztere befand sich noch wenige Wochen vor den Wahlen auf einem Höhenflug von über zwölf Prozent in Umfragen, konnte bei den Wahlen jedoch aufgrund einer starken Wählerwanderung zum Dritten Weg nur 7,2 Prozent erlangen. Eine Nachwahlumfrage hat zudem dargelegt, dass der Dritte Weg den größten Anteil an Wählerinnen und Wählern hatte, die diesen aus Mangel an guten Alternativen gewählt haben. Der Dritte Weg hat somit eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung von potenziellen Wählergruppen der PiS und der Konföderation gespielt, die unter Umständen nicht von anderen Parteien hätten mobilisiert werden können.

Die Mobilisierung von Frauen und jungen Menschen war das entscheidende Element der polnischen Parlamentswahlen.

Anders als die Bürgerkoalition und der Dritte Weg hat die Neue Linke primär auf die Polarisierung mit der Konföderation gesetzt. Es wurde ein – durchaus realistisches – Schreckgespenst einer Koalition aus PiS und Konföderation gezeichnet. Diese hätte die polnischen Frauen(-rechte) hart getroffen. Parallel zur Polarisierung wurde aber auch hier ein konkreter inhaltlicher Gegenentwurf angeboten, indem das am stärksten auf Frauenrechte ausgerichtete Wahlprogramm präsentiert wurde. Die Mobilisierung von Frauen und jungen Menschen war das entscheidende Element der polnischen Parlamentswahlen. Dazu beigetragen hat eine Vielzahl von überparteilichen Kampagnen zur Steigerung der Wahlbeteiligung, die besonders auf Frauen und junge Menschen ausgerichtet waren. Auch wenn die Neue Linke ein schwächeres Ergebnis im Vergleich zu den vorherigen Wahlen eingefahren hat, hat sie das Thema der Frauenrechte auf die politische Bühne gehoben und mit der themenspezifischen Polarisierung zur Mobilisierung entsprechender Wählergruppen beigetragen.

Daraus kann man schlussfolgern, dass Parteien grundlegend eine klare pro-demokratische Position einnehmen, aber gleichzeitig weiterhin wirkliche Alternativen bieten sollten. Sobald die (vermeintliche) Rettung der Demokratie und die gemeinsame Abgrenzung gegenüber dem Autoritären die inhaltlichen Positionen der Parteien in den Hintergrund schieben, besteht die Gefahr einer Demobilisierung potenzieller Wählerinnen und Wähler aufgrund von mangelnden Wahloptionen. Auch im (Wahl-)Kampf um die Demokratie nehmen Menschen politische Positionen ein, die vertreten werden wollen. Dabei gilt es ferner zu beachten, sich nicht zu einer Dämonisierung des (anti-)demokratischen Gegners verleiten zu lassen. Damit würde man der gegebenenfalls von der Gegenseite betriebenen Polarisierung nur den Raum zur weiteren Entfaltung geben, wodurch man in eine Eskalationsspirale abrutschen und sich Freund-Feind-Schemata verhärten könnten. Stattdessen sollte der Blick weniger auf dem politischen Gegner, sondern selbstbewusst auf dem eigenen Programm mit positiven und vor allem konkreten Inhalten liegen.