Es ist eine wenig beachtete Auswirkung der Pandemie, deren Folgen noch lange anhalten werden, insbesondere in Afrika. Viele Mädchen verlieren ihren Zugang zur Schulbildung. Eine ganze Generation afrikanischer Mädchen kann aufgrund der durch die Lockdowns verursacht Schulunterbrechungen als „verloren“ angesehen werden: Nach der Wiedereröffnung blieben sehr viele Mädchen im vergangenen Jahr der Schule fern.

Eine Studie in Kenia zeigt, dass nach knapp einem Jahr Lockdown 16 Prozent der Mädchen und acht Prozent der Jungen nicht in die Bildungseinrichtungen zurückkehrten. Dies wird sich zweifellos auf die Geschlechtergerechtigkeit im Bereich Bildung niederschlagen und das Leben vieler Mädchen negativ beeinflussen. Es besteht die Gefahr, dass solche durch die Pandemie ausgelösten negativen Trends lange anhalten werden. Zum Beispiel entscheiden sich mehr als zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie viele Eltern immer noch dafür, eher ihre Söhne zur Schule zu schicken. Die Töchter bleiben hingegen zu Hause, um im Haushalt zu helfen.

Ein weiterer Trend: Manche Eltern, die während der Pandemie ihren Lebensunterhalt verloren haben, verheirateten ihre schulpflichtigen Töchter gegen eine Mitgift. 16 Prozent der Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren, die im ersten Pandemiejahr in Kenia eine Ehe schlossen, gaben an, ohne Pandemie nicht verheiratet worden zu sein. Im März 2021 warnte UNICEF, weltweit drohe rund 10 Millionen Mädchen aufgrund des Coronavirus eine Kinderheirat.

Mehr als zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie entscheiden sich viele Eltern immer noch dafür, eher ihre Söhne zur Schule zu schicken, als ihre Töchter.

Zeitgleich verzeichnen die meisten afrikanischen Länder zunehmende Armut und Ungleichheit – eine Folge des wirtschaftlichen Einbruchs der Wirtschaft aufgrund der Lockdowns. Die Pandemie hat die vorherigen Erfolge Kenias bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit zunichte gemacht. Die Zahl der Menschen in Kenia, die als arm gelten, ist um weitere 6 Millionen gestiegen. Da die Armutsquote bei Frauen, vor allem bei alleinerziehenden Müttern, in der Regel höher ist als bei Männern, treffen die Nachwehen der Pandemie Frauen besonders hart.

Auch Frauen, die im informellen Sektor arbeiten oder kleine Unternehmen betreiben, haben sehr zu leiden. Eine Umfrage ergab, dass mehr als ein Drittel der Kleinunternehmen in Kenia, die vor der Pandemie in Betrieb waren, bis zum Juli des vergangenen Jahres aufgegeben wurden. Eine weitere Studie zeigt, dass fast 40 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer seit dem Ausbruch der Pandemie nicht in der Lage waren, ihre Miete zu zahlen. Das ist ein Anstieg um mehr als das Fünffache gegenüber der Zeit vor der Pandemie. Geringere Einkommen und/oder Arbeitslosigkeit zwingen somit viele Eltern dazu, auf die Schulbildung ihrer Töchter zu verzichten.

Wie in anderen Teilen der Welt kam es auch in afrikanischen Staaten in den vergangenen zwei Jahren vermehrt zu häuslicher und sexueller Gewalt gegen Frauen. Die Pandemie löste weltweit eine weniger sichtbare „Schattenpandemie“ aus, auch in Afrika. Während der Lockdowns wuchs die Zahl häuslicher Übergriffe dramatisch an. In Ostafrika gab es einen 48-prozentigen Anstieg der gemeldeten Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt. Im nigerianischen Bundesstaat Lagos nahm die häusliche Gewalt während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 um über 100 Prozent zu. Die Zentralafrikanische Republik verzeichnete eine 69-prozentige Steigerung der gemeldeten Körperverletzungen an Frauen und Kindern sowie einen 27-prozentigen Anstieg von Vergewaltigungen.

Mädchen sind angesichts der Schulschließungen gefährdeter gegenüber sexueller Gewalt oder Missbrauch, da sie den Schutz verlieren, den die Schulen bieten können.

Auch Frauen, die in Flüchtlingslagern leben, erlitten mehr Gewalt. Eine Umfrage des International Rescue Committee (IRC) in 15 afrikanischen Ländern ergab, dass mehr als 70 Prozent der vertriebenen und geflüchteten Frauen einen Anstieg der häuslichen Gewalt in ihrer jeweiligen Gemeinschaft erlebten.

Es hat sich gezeigt, dass Mädchen angesichts der Schulschließungen gefährdeter gegenüber sexueller Gewalt oder Missbrauch sind, da sie den Schutz verlieren, den die Schulen bieten können. Etwa drei Viertel der in einer Studie in Kenia befragten heranwachsenden Frauen und Mädchen gaben an, dass sie während der Schulschließungen mehr sexuellen, körperlichen oder emotionalen Missbrauch erlebt oder beobachtet haben. Sie führten dies auf Spannungen zurück, die durch den Verlust des Familieneinkommens und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit während der Lockdowns entstanden. Laut offizielle kenianischen Daten stieg der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen 2020 um 26 Prozent an.

Die ausgebliebene Bildung für die heutige Generation afrikanischer Mädchen im schulpflichtigen Alter wird langfristig negative Folgen für die afrikanischen Volkswirtschaften haben.

Auch die Zahl ungewollter Schwangerschaften ist in der Pandemie gestiegen. In der südafrikanischen Provinz Gauteng wurde seit Beginn der Pandemie ein Anstieg der Teenager-Schwangerschaften um 60 Prozent verzeichnet. Dies wird auf eine Reihe von Faktoren zurückgeführt, darunter der fehlende Zugang zu Sexualerziehung für Mädchen, eingeschränkte Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln während der Lockdowns sowie sexuelle Gewalt. Als in der Provinz Gauteng die Schulen wieder öffneten, kehrten deutlich weniger Mädchen zurück.

Angesichts dieser Trends droht eine ganze Generation afrikanischer Mädchen aus dem Bildungssystem gedrängt zu werden. Nur wenige afrikanische Länder werden ihre Sustainable Development Goals bis 2030 erreichen. Die ausgebliebene Bildung für die heutige Generation afrikanischer Mädchen im schulpflichtigen Alter wird langfristig negative Folgen für die afrikanischen Volkswirtschaften haben.

Die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Covid-19 in Afrika erfordern jetzt neue Maßnahmen und Bemühungen, um die Einschulungsraten von Mädchen zu erhöhen.

Die geschilderten Daten könnten einerseits nahelegen, die Schulschließungen seien eine schlechte Idee gewesen: Schließlich haben sie die Mädchen zusätzlich vulnerabel gemacht. Andererseits kann man es den afrikanischen Regierungen nicht anlasten, strenge Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ergriffen zu haben. Die Gesundheitssysteme der afrikanischen Länder sind zu leistungsschwach und nicht ausreichend ausgestattet, um einen plötzlichen Patientenzustrom zu bewältigen. Angesichts der Tatsache, dass nirgends sonst auf der Welt so wenige Menschen gegen das Coronavirus geimpft sind wie in Afrika, wollten die Regierungen kein Risiko eingehen. Heute wird deutlich, dass sie dabei nicht vorhergesehen haben, welche Effekte die Einschränkungen auf Frauen und Mädchen haben würden.

Die schwerwiegenden geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Covid-19 in Afrika erfordern jetzt neue Maßnahmen und Bemühungen, um die Einschulungsraten von Mädchen zu erhöhen. Dafür braucht es einen sektorübergreifenden Ansatz, der Eltern, Schulen, Kommunen, Regierungen und internationale Entwicklungsorganisationen einbezieht. Es ist noch nicht zu spät, diese „verlorenen Mädchen“, die ohne eigenes Verschulden von der Schulbildung ausgeschlossen wurden, wieder in das Bildungssystem zu integrieren.

Die afrikanischen Regierungen müssen darüber hinaus in soziale Sicherung für diejenigen investieren, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Angesichts der immer weiter steigenden Staatsverschuldung in den meisten afrikanischen Ländern und der Inflation, die infolge des aktuellen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine vermutlich noch zunehmen wird, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Regierungen kurzfristig Geld für Sozialprogramme ausgeben werden. Somit werden afrikanische Frauen und Mädchen weiterhin am schwersten leiden.

Aus dem Englischen von Tim Steins