Vor 15 Monaten unterzeichnete Wladimir Putin für den Krieg in der Ukraine ein Dekret über eine Teilmobilmachung. Die genaue Zahl der Mobilisierten ist unklar, es existieren ganz unterschiedliche Angaben. Doch eins steht fest: Hunderttausende russische Soldaten bleiben seitdem ununterbrochen an der Front in der Ukraine, ohne Aussicht auf Beurlaubung. Gleichzeitig werden die für den Krieg rekrutierten Kriminellen nach sechs Monaten Teilnahme an der sogenannten „militärischen Sonderoperation“ nach Hause entlassen. In ihren Bemühungen, die Rückkehr ihrer Männer zu erreichen, haben sich viele Ehefrauen der Mobilisierten im August 2023 zum Telegram-Kanal Heimweg zusammengeschlossen, der im Dezember bereits über 38 000 Abonnentinnen zählt.

Am 7. November versuchten die Frauen erstmals in Moskau zu demonstrieren. Die Stadtverwaltung verbot allerdings die Aktion unter Verweis auf „Einschränkungen wegen der Covid-19-Pandemie“. Daher schlossen sie sich einer Kundgebung der Kommunistischen Partei anlässlich des Jahrestages der Oktoberrevolution an, die erstaunlicherweise nicht verboten war. Etwa 30 Frauen hielten Plakate mit der Aufschrift „Gebt den Kindern ihre Väter zurück“. Eine Aktivistin sagte einem Journalisten: „Wir leben in der Hölle. Sie haben die Menschen in die Sklaverei genommen.“ Es dauerte keine fünf Minuten, bis die Kundgebung von der Polizei aufgelöst wurde. Danach versuchten die Frauen in sozialen Netzwerken landesweit Proteste zu organisieren. Doch die Demonstrationen wurden nicht genehmigt.

Schnell erkannte die Propagandamaschine in ihnen eine Gefahr für das Regime und begann, sie systematisch zu diskreditieren. Der russische Chefpropagandist Wladimir Solowjow behauptete, der Telegram-Kanal Heimweg sei „von ausländischen Geheimdiensten organisiert“ worden, und bereits am 30. November wurde der Kanal mit einem „Fake“-Patch markiert. Die Aktivistinnen werden auch direkt von den Sicherheitskräften bedroht. Es gab mehrere Fälle, in denen die Polizei sie aufsuchte, um vor der „Unzulässigkeit extremistischer Aktivitäten“ zu warnen.

Die Aktivistinnen werden auch direkt von den Sicherheitskräften bedroht.

Trotzdem geben die Frauen nicht auf und suchen nach neuen Formen des Protests. Ende November veranstalteten sie einen Flashmob, indem sie Aufkleber mit Aufschriften wie „Bringt meinen Mann zurück“ oder „Ich habe die Nase voll“ auf ihre Autos klebten. Dabei wurden im Text die Buchstaben des lateinischen Alphabets Z und V verwendet, die in Russland zum Symbol des Krieges geworden sind und von Hurra-Patrioten verwendet werden. Anfang Dezember veröffentlichten die Aktivistinnen ein Video, in dem sie ein Manifest verlasen, in dem sie den Rückzug ihrer Ehemänner, Brüder, Söhne und Väter aus dem Kriegsgebiet fordern. Dabei trugen sie weiße Kopftücher.

Die Teilnehmerinnen der Bewegung Heimweg warteten gespannt auf die jährliche Pressekonferenz Putins am 14. Dezember und schickten ihm massenhaft Fragen. Einige davon wurden sogar auf einem großen Bildschirm übertragen: „Wann werden die Mobilisierten freigelassen? Warum sollen 300 000 Menschen für das ganze Land dienen?“ Putin ignorierte sie jedoch. Auf die Frage, ob es eine neue Mobilisierung geben werde, sagt er: „Wozu brauchen wir eine Mobilisierung? Es gibt derzeit keinen Bedarf dafür.“ Im Klartext: Es wird keine Rotation stattfinden.

Eine der Unterstützerinnen der Frauen in ihrem Kampf ist Olga Zukanowa, Leiterin des Rates der Ehefrauen und Mütter. Sie bezweifelt jedoch, dass die Ehefrauen der mobilisierten Männer zu einer echten politischen Bewegung werden können. Denn sie seien „völlig unpolitisch“. Es ist außerdem unklar, wie viele Frauen es sind, wo sie leben, und ob die Follower ihres Telegram-Kanals ihre Forderungen tatsächlich teilen. Die Betreiberinnen des Kanals Heimweg bleiben anonym.

Viele liberale Oppositionelle kritisieren die Koordinatorinnen von Heimweg. Indem sie eine Rotation an der Front forderten, stimmten sie implizit zu, dass statt ihrer Männer andere in den Krieg geschickt werden sollen. Und genau das ist der Schwachpunkt ihres Protests – so können sie kaum Sympathisanten in der russischen Gesellschaft gewinnen. Der Oppositionspolitiker und YouTube-Blogger Maxim Kaz dagegen nennt die Position der Mütter und Ehefrauen der Mobilisierten „tadellos“. Sie hätten recht, denn es gebe keine Rechtfertigung für den Krieg, in den ihre Lieben geschickt wurden.

Die Hauptstrategie dabei ist die Einschüchterung.

Die Unzufriedenheit der Frauen der Mobilisierten ist zweifelsohne eines der wichtigsten Themen des bevorstehenden Präsidentschafts-Wahlkampfes. Der Kreml fürchtet mögliche Massenproteste. Ihr Beispiel könnte Schule machen. So durfte eine einzige Kundgebung der Bewegung Heimweg in Novosibirsk stattfinden, jedoch nicht auf der Straße, sondern in einem Kulturhaus. Die Polizei war dort zahlreicher versammelt als die Teilnehmerinnen, deren Ausweise und Plakate am Eingang kontrolliert wurden. Laut der Exil-Zeitung Wjorstka hat die Präsidialverwaltung regionale Beamte angewiesen, Proteste von Angehörigen der Mobilisierten „mit Geld zu ersticken“. Sie dürften nicht zu einem landesweiten Kampf werden.

Örtliche Behörden taktieren, indem sie Frauen versprechen, ihre Beschwerden „nach oben“ weiterzuleiten, in der Hoffnung, sie so eine Zeit lang zu beruhigen. Die Hauptstrategie dabei ist die Einschüchterung. Gegen Zukanowa wurde bereits ein Strafverfahren wegen „Anstiftung zur Verweigerung von Bürgerpflichten“ eingeleitet. So will man die Aktivistinnen mundtot machen. Doch sie warnt: „Wenn man eine Feder überspannt, kann sie springen.“

Maxim Kaz verglich die protestierenden Frauen sogar mit den Müttern vom Plaza de Mayo in Argentinien, die während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) nach ihren verschwundenen Kindern suchten. Ihr Protest war einer der Faktoren, die die Junta schließlich zu Fall brachten. Auch sie waren unpolitische Hausfrauen. Auch ihr Symbol war ein weißes Kopftuch. Und die Rolle des Symbolischen in der Politik sollte man nicht unterschätzen, gibt die Politologin Jekaterina Schulmann zu bedenken. Die Frauen in weißen Kopftüchern könnten das Regime in Russland zwar nicht stürzen. Doch sie bereiteten ihm große Schwierigkeiten, indem sie das forderten, worauf sie ein Recht haben, so Schulmann.

„Wir werden erst nachgeben, wenn unsere Männer sicher zu Hause sind“, warnen die Koordinatorinnen der Bewegung in ihrem Manifest. Auch Olga Zukanowa gibt nicht auf: „Die Frauen müssen sich zusammenschließen, auf föderaler Ebene auftreten und vom Präsidenten eine Lösung verlangen. Wenn sie ihre Männer zurückbekommen, werden auch andere dasselbe fordern.“