Im Juni des Jahres soll in Brüssel erneut entschieden werden, ob Albanien die EU-Kandidatenschaft gewährt wird. Seit dem ersten Antrag des Landes vor knapp fünf Jahren wurde dies bereits dreimal abgewiesen, zuletzt durch Entscheidung des Europäischen Rates vom 20. Dezember. Und dafür gibt es bekanntlich Gründe: Etwa eine hohe Staatsverschuldung, ein angeschlagenes Finanzsystem und niedriges Wachstum. 

Als noch stabiler als die faktische Integration der Albaner in Europa erweist sich leider immer wieder die Vorurteilslage.

Dennoch spricht Vieles für einen positiven Entscheid. Nicht von Ungefähr hatte die Europäische Kommission dem Europäischen Rat schon im Oktober 2013 empfohlen, Albanien den Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren. Albanien habe im Zuge der Parlamentswahlen des vergangenen Sommers unter Beweis gestellt, „dass es imstande ist eine reibungslose Umsetzung der demokratischen Prozeduren zu gewährleisten“. Doch dies ist nicht der einzige Grund.

Albanien ist nicht Nordkorea

Sicher ist Albanien kein „normales“ Land des westlichen Balkans. Bekanntlich hat das Land an den Balkankriegen der 90er Jahre nicht teilgenommen und gilt in der Region auch vor diesem Hintergrund geradezu als Vorbild für religiöse Toleranz (die das Land übrigens schon während des 2. Weltkrieges gegenüber vielen aufgenommenen Juden unter Beweis gestellt hatte).

Tragischerweise scheint dieser an sich positive Hintergrund bislang dafür verantwortlich zu sein, dass man sich in der EU bis heute kaum um Albanien kümmert – es wurde immer links liegen gelassen.

Diese Isolation hat eine traurige Tradition. Vor nur 25 Jahren erschien Albanien als graues Nordkorea des Balkans. Auch als Jugoslawien schon lange enge wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen mit den Ländern der EG und später auch mit der EU unterhielt, erinnerte Tirana an Bilder aus dem Pjöngjang von heute. Damals kannte man die sehr wenigen Fahrzeuge auf den Straßen noch mit Namen (der Parteihierarchie!). Die Europäische Union und ihre Menschen blieben den Albanern unbekannt – auch europäische Regelwerke und Normen. Albanien hat – anders als seine Nachbarn – nach wie vor kaum Erfahrungen mit dem Rest der Welt. Doch gerade dies sollte keinen Ausschluss begründen, sondern den Versuch der Heranführung an Europa. Denn dort liegt das Land und dort wird es bleiben.

Albanien braucht die Leitlinien des Europäischen Sozialmodells

Der „Rest der Welt“ ist vor knapp 25 Jahren mit aller Wucht über das Land gekommen. Alle Strukturen des – zu Recht verhassten – kommunistischen Systems wurden von heute auf morgen abgeschafft und ein neo-liberales Modell als krasser Gegensatz willkommen geheißen. Das Pendel schlug von einem Extrem ins andere. Aber Verhasstes wurde nicht unbedingt durch Besseres ersetzt. Noch heute leiden das Land und seine Menschen unter fehlenden Strukturen. Es gibt kaum noch einen öffentlichen Personentransport, das Bildungswesen wurde immer mehr privatisiert, das marode Gesundheitswesen bietet kaum mehr Schutz und die Altersversorgung verdient kaum mehr diesen Namen. Bislang galt: Wer sich im regelfreien Raum durchboxen konnte, war der Gewinner. Der übergroße Teil der Menschen blieb als Verlierer zurück. Diese soziale Polarisierung prägt Albanien auch heute noch wesentlich stärker als andere Transformationsländer. Die gesellschaftliche Unsicherheit ist immens. Umso wichtiger ist es jetzt, das Land Schritt für Schritt an die sozialen Grundlinien der EU heranzuführen. Dies dürfte aber nur funktionieren, wenn das Land klare Aufnahmesignale aus den europäischen Hauptstädten erhält.

Sicher ist der Weg Albaniens in die EU vor diesem Hintergrund wesentlich steiniger als der aller anderen Staaten, die sich aus der Region um eine Mitgliedschaft bemühen. Aber sollte er deswegen auch länger sein?

Wir kennen doch aus der europäischen Transformationsgeschichte viele Beispiele, wie Polen oder Slowenien, wo derartige Signale durchaus eine positive Wirkung hatten.

Denn angesichts der Fülle von Problemen in der Region könnte man durchaus auch zu dem Schluss kommen, möglichst bald allen Staaten des Balkans – Albanien eingeschlossen - den Eingang zum Innenhof der EU zu öffnen. Wir kennen doch aus der europäischen Transformationsgeschichte viele Beispiele, wie Polen oder Slowenien, wo derartige Signale durchaus eine positive Wirkung hatten. Auch nach der Erteilung eines Kandidatenstatus‘  würden sich die Beitrittsverhandlungen sicher noch über viele Jahre ziehen. Doch eine positive Entscheidung gäbe den Menschen hier zumindest die Gewissheit, dass sie nach wie vor in die richtige Richtung gehen.

Dann würde auch wesentlich klarer werden, welche Aufgaben dringend zu erledigen sind. Denn nur ein vorsichtiges Öffnen der Tore, wird deutlich machen, welche schwierigen Herausforderungen zu bewältigen sein werden. Zugleich aber hätte dies den entscheidenden Effekt, dass sich dann auch Gesellschaftsteile  an ihrer Bewältigung beteiligen würden, die heute bloß auf ein Wunder warten.

Albanien wäre ein wertvolles EU-Mitglied

Trotz allen Unkenrufen und der aktuellen Diskussion um ungebremste Migrationsströme (übrigens kaum aus Albanien): Die Albaner haben Einiges zu bieten. Noch haben sie eine der jüngsten Bevölkerungen Europas – und diese jungen Menschen wollen mit aller Kraft ihre Perspektiven verbessern. Neben diesem Human-Kapital verfügt das Land – anders als so mancher Nachbarstaat – auch über hinreichende Ressourcen, um für die Region und damit für die EU zu einem wertvollen Partner heranzuwachsen. Albanien gilt in Europa nach Norwegen als das wasserreichste Land und könnte ein wichtiger regionaler Produzent regenerativer Energien sein. Die natürlichen Bedingungen versprechen auch für den Landwirtschaftssektor gute Aussichten. Und mittlerweile hat es sich ja auch bei Eingeweihten herumgesprochen, dass Albanien für Touristen allerhand zu bieten hat – von herrlichen Stränden über Fluss- und Wasserfalllandschaften bis hin zu noch wilden Gebirgsgegenden. Und dass sich Albaner andererseits in Europa wohl fühlen und dass sich die Europäer mit den Albanern ebenso wohl fühlen können, zeigen die vielen Erfolgsstorys, die leider nie genannt werden.

In vielen EU-Staaten arbeiten längst zigtausende von Albanern und haben sich in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen integriert – vom Facharbeiter bis zu hervorragenden gastronomischen Unternehmen, die jedoch fast immer unbemerkt als italienisches „Ristorante“ firmieren.

In vielen EU-Staaten leben und arbeiten längst zigtausende von Albanern und haben sich in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen integriert und etabliert – vom Facharbeiter über Akademikerinnen bis zu hervorragenden von Albanern betriebenen gastronomischen Unternehmen, die jedoch fast immer unbemerkt als italienisches „Ristorante“ firmieren. Denn als noch stabiler als die Integration der Albaner in Europa erweist sich leider immer wieder die Vorurteilslage gegenüber Albanien.

Immer wieder gestreut werden die kriminellen Aktivitäten einer albanischen Minderheit, von denen bei näherer Betrachtung jedoch nur die wenigstens tatsächlich aus Albanien stammen. Und natürlich „weiß“ jedermann von der fürchterlichen albanischen Blutrache, dem Kanun. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass derlei bis heute durchaus auch in einem Gründungsmitglied der EG anzufinden ist.

Wir haben Glück, dass Albanien in Europa liegt

„Wir haben Glück, dass Albanien in Europa liegt. Stelle Dir vor, wir wären Afrikaner!“ so der optimistische Kommentar einer 19-jährigen Studentin neulich. Sie hofft wie die meisten jungen Leute auf die Strahlkraft der EU. Zurzeit wollen laut einer repräsentativen Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Albanien aber leider über 50 Prozent der jungen Leute das Land – zumeist in Richtung EU – verlassen. Das Entscheidende: Eigentlich würden sie gerne im Land bleiben. Doch sie sehen hier keine Perspektive. Ein Schritt Albaniens heran an die EU wäre daher ein wichtiges Signal, sich im eigenen Land zu engagieren.

Denn auch jetzt schon gibt es hier hoffnungsvolle Signale des Aufbruchs. Im Juni des vergangenen Jahres haben die Albaner zum ersten Mal mit einer Wahl deutlich Position gegenüber einer zunehmend autokratischen Politik bezogen. Erstmals seit 20 Jahren gab es ein sehr klares Wahlergebnis gegen die bisherige konservative Regierung – ein klares Signal und auch eine Warnung an die neu gewählte Koalition von sozialdemokratisch orientierten Parteien. Sicher wurde damit nicht gleich alles besser. Aber die Hoffnung ist gewachsen, mit dieser jungen Regierung zu neuen Ufern zu kommen. Es ging ein regelrechtes Aufatmen durch das Land. Und wenig später zeigte sich nicht zuletzt eine aktive zivilgesellschaftliche Bewegung – nahezu aus dem Nichts – als es gegen die syrischen Chemiewaffen ging. Es wurde nämlich bekannt, dass man Albanien seitens der internationalen Gemeinschaft gebeten hatte, für die Lagerung und Teilvernichtung der syrischen Chemiewaffen zur Verfügung zu stehen. Man konnte sich durchsetzen – die Regierung gab trotz sehr großzügiger Hilfsangebote des Auslandes dem Druck nach – und dies gab neues und wichtiges Selbstvertrauen in die eigene Gestaltungsmöglichkeit als Bürger.

Die Wahrheit ist: Die albanische Bevölkerung zeigt sich heute reifer für die EU als bislang seine Politiker jeglicher Couleur. Die neuen Entscheidungsträger aber werden folgen, wenn Europa die Albaner nun Schritt für Schritt hineinbittet.