Knapp ein Jahr ist es her, dass die EU-Finanzminister nach langwierigen Verhandlungen über ein Rettungspaket in Zypern zu nächtlicher Stunde beschlossen hatten, auch die Einlagen bis 100.000 Euro mit einer Zwangsabgabe zu belegen. Damit sollte der Eigenbeitrag Zyperns zum Rettungspaket erhöht werden. Ein Tabubruch in der EU, der seinesgleichen sucht. Denn durch die EU-Richtlinie über Einlagensicherungssysteme sind seit Januar 2011 eigentlich alle Einlagen bis 100.000 Euro pro Kunde bei jedem Kreditinstitut gesetzlich geschützt. Wäre in Zypern letztes Jahr ein solcher Präzedenzfall tatsächlich geschaffen worden, hätte dies höchstwahrscheinlich das Ende der Einlagensicherungsgesetzgebung bedeutet. Denn die EU-weite Garantie wäre aus Sicht der Sparer dann kaum das Papier wert, auf dem sie steht. Das Vertrauen der Sparer jedoch hat bereits durch die undurchdachte Vorgehensweise gelitten. Auch wenn in letzter Minute eine alternative Lösung gefunden und die Einlagen bis 100.000 Euro nicht mit einer Zwangsabgabe belastet wurden.
Nicht nur diese zypriotischen Chaostage sondern eine Vielzahl von Fällen von weiteren maroden Banken, die durch den Steuerzahler gerettet werden mussten, zeigen, dass sowohl für die Prävention von Bankenpleiten als auch für den akuten Notfall schlichtweg die nötigen Instrumente auf europäischer Ebene fehlen. Mit dem Großprojekt Bankenunion geht die EU die Schwachstellen in der bisherigen Krisenvorsorge und -bewältigung jetzt gezielt an. Der präventive Arm wird durch eine zentrale europäische Bankenaufsicht gestärkt: die EZB soll sicherstellen, dass europaweit gleiche und hohe Aufsichtsstandards gelten, und diese dann konsequent durchsetzen. Derzeit laufende Stresstests sollen mit noch in den Bilanzen schlummernden Gefahren vor Übernahme der Aufsichtsaufgaben aufräumen.
Der Ernstfall jedoch dürfte trotz aller Vorsorge über kurz oder lang nicht ausbleiben. Um nicht wieder in chaotische Zustände zu verfallen, braucht Europa ein Krisenszenario für Bankenpleiten, in dem die Entscheidungsstrukturen und Instrumente klar definiert und geregelt sind. Am 20. März 2014 haben sich Vertreter des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten nach einem 16-stündigen Verhandlungsmarathon auf die Rahmenbedingungen für eine europäische Abwicklungsbehörde und einen gemeinsamen Abwicklungsfonds verständigt. Hierbei konnte das Europäische Parlament den Vorschlag der Mitgliedstaaten an entscheidenden Stellen nachbessern.
Krisenszenario Abwicklungs-Wochenende
Ein Beispiel ist der von den Mitgliedstaaten zunächst vorgeschlagene Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute. Dieser war viel zu komplex. Entscheidungen sollten hauptsächlich von einem Gremium von Vertretern der nationalen Abwicklungsbehörden getroffen werden. In Krisensituationen braucht man jedoch schlanke Entscheidungsstrukturen, um handlungsfähig zu sein. Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei, den dann der Steuerzahler auslöffeln muss. Letztlich muss die Abwicklung eines Kreditinstituts über ein Wochenende erfolgen können, um die Auswirkungen auf die Finanzmärkte so gering wie möglich zu halten.
Der Steuerzahler wird aus der vordersten Schusslinie genommen.
Das Europäische Parlament hat daher entsprechende Entscheidungsprozesse durchgesetzt. Die individuellen Abwicklungsentscheidungen werden zukünftig von einem überschaubaren und damit handlungsfähigen Ausschuss getroffen. Die Rahmenbedingungen dafür legen die Vertreter der nationalen Abwicklungsbehörde fest. Europäische Kommission und Rat erhalten ein begrenztes Einspruchsrecht.
Besserer Schutz für Steuerzahler…
Diskretionäre Entscheidungen – also solche ohne klare, zugrundeliegende Regeln - über die Haftung im Krisenfall können Verwerfungen auf den Finanzmärkten mit sich bringen. Wie bei der Geldpolitik bedarf es auch bei Bankenabwicklungen einer frühzeitigen Steuerung der Erwartungen von Aktionären, Gläubigern und der Finanzmarktakteure im Allgemeinen. Zukünftig wird es eine klare Haftungsreihenfolge geben. Zunächst müssen die Eigentümer und dann die Gläubiger die Kosten der Bankenrettung tragen. Einlagen von Privatkunden und kleinen und mittelständischen Unternehmen werden, über die geschützten 100.000 Euro hinaus, dabei und auch in Insolvenzverfahren verbindlich bevorzugt behandelt. Der Steuerzahler wird aus der vordersten Schusslinie genommen.
Diese Haftungsreihenfolge wurde auch im gesetzlichen Rahmen für die europäische Abwicklungsbehörde nochmals so festgelegt. Egal wo in der EU in Zukunft eine Bank in Schwierigkeiten gerät, die Regeln müssen überall gleich angewandt werden. Der Teufelskreis zwischen Staatshaushalten und Bankenkrisen kann nur auf diese Weise durchbrochen werden. Außerdem wird der unternehmerische Grundsatz von Risiko und Haftung wieder in Kraft gesetzt. Wer in guten Zeiten profitiert, muss auch in schlechten Zeiten zahlen.
...und für Sparer
Um das zypriotische Chaos nicht zu wiederholen, bedarf es aber einer weiteren Regel, die in der EU in Zukunft nochmals explizit festgeschrieben wird: Einlagen unter 100.000 Euro sind ohne Wenn und Aber tabu. Um das Vertrauen der Sparer in die Sicherheit der Einlagen zu stärken, werden mit der Überarbeitung der Einlagensicherungsrichtlinie erstmals in der EU Vorschriften zur Finanzierung von Einlagensicherungssystemen festgelegt. So müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die den Sicherungssystemen angeschlossenen Kreditinstitute innerhalb von bereits zehn Jahren einen Einlagensicherungsfonds in Höhe von mindestens 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ansparen. Die Vorgaben stellen nicht nur erstmals eine EU-weite Mindestausstattung sicher, sondern liegen auf beständigen Druck des Europäischen Parlaments über den ursprünglichen Vorschlägen der Mitgliedstaaten.
Schneller schlagfertig
Auch bei der Mittelausstattung der von den Banken selbst zu füllenden gemeinsamen Abwicklungsfonds konnte das Europäische Parlament nachbessern. Statt einer Frist von zehn Jahren müssen die Banken den Fonds bereits innerhalb von acht Jahren mit 55 Milliarden Euro auffüllen. Als Gemeinschaftsmittel sollen bereits nach zwei Jahren 60 Prozent der geleisteten Beiträge für den europaweiten Einsatz voll zur Verfügung stehen. Denn die Schlagkraft des Abwicklungsfonds bei Bankenpleiten steht und fällt mit dem was im Topf ist - und zwar nicht erst in ferner Zukunft. Deswegen war es für das Europäische Parlament von zentraler Bedeutung, dass der Fonds so schnell wie möglich mit entsprechenden Mitteln gefüllt ist, und flexibel dort eingesetzt werden kann, wo Not am Mann ist.
Anstatt im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter voller Einbeziehung des Europäischen Parlaments Gesetze zu machen, haben die Finanzminister darauf bestanden, an der demokratisch legitimierten Volksvertretung vorbei zu verhandeln.
Die Einigung am 20. März war der vorerst letzte große Schritt hin zur Bankenunion. Bei der konkreten Ausgestaltung der zentralen europäischen Abwicklungsbehörde und einem gemeinsamen Fonds konnte das Europäische Parlament an vielen Stellen nachbessern. Zusammen mit der gemeinsamen Bankenaufsicht und den europaweiten Regeln für Sparerschutz und der Abwicklung von maroden Banken hat die Europäische Union die Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen und die Finanzmärkte in Europa stabiler und krisenfester gemacht. Das hilft dabei, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit Europas zurück zu gewinnen.
Dennoch: Keine Rosarote Brille
Das heißt allerdings nicht, dass das Europäische Parlament jetzt alles durch die rosarote Brille sieht. So hätte insbesondere der Schutzwall vor dem Steuerzahler aus Sicht der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament deutlich höher ausfallen können, beim gemeinsamen Abwicklungsfonds genauso wie bei den nationalen Einlagensicherungsfonds. Die Anwendungsbereiche von gemeinsamer Aufsicht und gemeinsamer Abwicklungsbehörde sollten unter anderem analog definiert werden. Denn Kontrolle und Haftung sollten in der Bankenunion auf einer Ebene stattfinden. Abweichungen davon gibt es jetzt bei grenzüberschreitend tätigen Instituten, die grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der zentralen Abwicklungsbehörde fallen, aber nicht unbedingt unter die direkte Aufsicht der EZB.
Der größte Wermutstropfen allerdings ist und bleibt die Gründung des gemeinsamen Abwicklungsfonds im Rahmen eines zwischenstaatlichen Vertrags. Anstatt die vorgesehenen Vertragsstrukturen zu nutzen und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter voller Einbeziehung des Europäischen Parlaments Gesetze zu machen, haben die Finanzminister darauf bestanden an der demokratisch legitimierten Volksvertretung vorbei zu verhandeln. Und grundsätzlich gilt: Bei allen Elementen der Bankenunion steht der Praxistext noch aus. Es wird sich zeigen, wo weiterer Verbesserungsbedarf besteht.
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