Wir stolpern in das vierte Krisenjahr der Eurozone, und wir müssen feststellen, dass sich nur wenige Dinge zum Besseren ändern, viele dagegen zum Schlechteren. Das Krisenmanagement ähnelt einer Gruppe von Menschen, die im Dunkeln herumtastet, ohne den Ausgang zu finden. Schon früh ist über den sogenannten »Grexit« spekuliert worden, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Und in Anbetracht der weiteren ökonomischen, sozialen und politischen Verschlechterung der Lage in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) werden auch die Stimmen lauter, die ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen:
Zum einen ist da der äußere rechte Rand: Politiker, die nie für den europäischen Integrationsprozess waren, bedienen sich der Krise als unterstützendes Argument für ihren pro-nationalistischen Kurs.
Die Liberalen plagt dagegen die Sorge, dass die Krise zu einem Integrationssprung in Richtung einer Fiskal- und politischen Union führen wird, was mit der Einführung eines gemeinschaftlichen Schuldenmanagements und Finanztransfers einherginge, und so die heutige Rolle des Marktes und die Eigenverantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten reduzieren würde.
Es ist nicht auszuschließen, dass sich aus diesen Stimmen eine »große Interessenskoalition« bilden könnte, um das Rad des Integrationsprozesses zurückzudrehen. Ihr Argument ist simpel: Die Krise, vor der wir heute stehen, sei das Ergebnis der gemeinsamen Währung
Und schließlich befürchtet die politische Linke, dass das Krisenmanagement mit seinem Schwerpunkt auf Austeritätspolitik das finale Instrument des Neoliberalismus ist, die nationalen Wohlfahrtsstaaten abzubauen, ohne gleichzeitig eine europäische soziale Dimension aufzubauen. Diese Angst bestand in den skandinavischen Ländern und in der extremen politischen Linken schon immer. Die kein Ende nehmende Krise nährt diese Angst nun auch in den Gewerkschaften sowie den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien.
Es ist nicht auszuschließen, dass sich aus diesen Stimmen eine »große Interessenskoalition« bilden könnte, um das Rad des Integrationsprozesses zurückzudrehen. Ihr Argument ist simpel: Die Krise, vor der wir heute stehen, sei das Ergebnis der gemeinsamen Währung. Mit der Abschaffung dieser Währung seien wir auch die Probleme los. Ich glaube nicht daran, dass dies eine hilfreiche und tragfähige Option ist, und zwar aus vier Gründen:
Erstens: Das Europäische Währungssystem (EWS) war keine Erfolgsgeschichte.
Einige Stimmen in der Wissenschaft schlagen vor, zu einem System von nationalen Währungen zurückzukehren und zu vereinbaren, die Wechselkurse innerhalb festgelegter Bandbreiten zu halten. Solch ein System bestand bereits mit der Europäischen Währungsschlange und seit 1979 mit dem EWS, seiner Europäischen Währungseinheit ECU und der engen Schwankungsbandbreite von +/- 2,25 Prozent.
Die Deutsche Mark war damals faktisch die Ankerwährung in Europa und alle anderen Zentralbanken mussten der Politik der Bundesbank folgen. Zu Beginn der 1990er Jahre, direkt nach der Wiedervereinigung, zwang der wirtschaftliche Boom in Deutschland die Bundesbank mit ihrem Fokus auf Preisstabilität, konstant die Zinssätze zu erhöhen, um die Überhitzung der Wirtschaft abzuschwächen. Andere Zentralbanken mussten nachziehen, um ihre Währungen im vereinbarten Korridor des EWS zu halten.
Aber hohe Zinssätze sind schlecht für Investitionen, weshalb viele andere Staaten in eine Rezession rutschten. Außerdem war die Situation wie geschaffen für Spekulationsattacken auf Landeswährungen angesichts zu erwartender Abwertungen. Genau aus diesem Grund verließen Großbritannien und Italien 1992 das EWS. Die Unzufriedenheit mit der Situation führte ab August 1993 zu einer Ausweitung der Bandbreiten auf +/- 15 Prozent bei den Wechselkursschwankungen.
Die gemeinsame Währung war auch eine Antwort auf das Nichtfunktionieren einer Koordinierung der nationalen Währungen. In der Tat scheiterte das EWS an denselben nationalen Egoismen im Bereich einzelstaatlicher Wirtschaftspolitiken, wie wir sie heute als Ausgang der Krise der Eurozone erleben. Wer behauptet, früher sei alles besser gewesen, irrt sich gewaltig.
Zweitens: Eine Rückentwicklung der Währungsunion würde neue, noch ernsthaftere Probleme erzeugen.
Es kann zwar zu Recht argumentiert werden, dass die europäische Integration in einer konstitutionellen Asymmetrie zwischen einer weitreichenden negativen, marktschaffenden und einer kaum entwickelten positiven, marktgestaltenden Integration gefangen ist. Und natürlich stimmt es auch, dass ein Integrationsraum nicht unbedingt über eine gemeinsame Währung verfügen muss. Schon vor Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags waren kritische Stimmen zu vernehmen, die warnten, dass die Konstruktion der WWU unvollständig sei und dass dies zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten führen werde.
in Wirklichkeit würde eine Auflösung der WWU nicht ohne beträchtlichen Schaden vonstattengehen
Doch daraus zu folgern, die beste Lösung wäre der Rückbau der wirtschaftlichen Integration, ist vielleicht eine interessante akademische Übung, aber in Wirklichkeit würde eine Auflösung der WWU nicht ohne beträchtlichen Schaden vonstattengehen.
Zunächst einmal wäre es schlichtweg unmöglich, einen Plan für eine geordnete Abwicklung des Euro zu schmieden. Bereits der Beginn einer Debatte wäre für die Menschen ein Signal, ihr Geld in andere Länder zu transferieren oder Gold zu kaufen. Auf jeden Fall würden sie nicht mehr in die WWU investieren. Die Staats- und Regierungschefs müssten also in einer Nacht- und Nebelaktion in Brüssel das Seil kappen, gleichzeitig Kapitalverkehrskontrollen einrichten und die Freizügigkeit einschränken. Das klingt nicht gerade nach einer demokratischen Lösung.
Zudem hätte ein solcher Schritt verheerende Folgen für die Wirtschaft. Die wieder neu eingeführte Deutsche Mark würde massiv aufgewertet, während die Währungen der Krisenländer abgewertet würden. Für Deutschland würde das bedeuten, dass alle auf den Weltmärkten verkauften Produkte sehr viel teurer würden. Dies wiederum hätte zur Folge, dass deutschen Firmen global weniger absetzen könnten. Da Deutschland seine ökonomische Prosperität voller Inbrunst an sein Exportmodell gekoppelt hat, während die Binnennachfrage schwach bleibt, würde die Wirtschaftstätigkeit abnehmen und die Arbeitslosigkeit steigen. Daraus würde sich eine tiefe Rezession entwickeln, die sich auch auf andere Länder übertragen dürfte. Schon bei einem Austritt einzelner Staaten, wie etwa Griechenlands, wären die ökonomischen Konsequenzen verheerend.
Drittens: Für die Krisenstaaten wäre der Ausstieg aus der WWU ein wirtschaftliches und soziales Desaster -- aber keine Hilfe.
In den Krisenländern würde die neue nationale Währung abgewertet, was die Produkte dieser Länder auf den Märkten verbilligen würde. Daraus ergäbe sich zwar für die Wirtschaft ein positiver Effekt, aber was würde mit den Altschulden passieren? Die Staatsschulden stünden immer noch in Euro zu Buche und die Abwertung der nationalen Währung würde es unmöglich machen, diese Schulden jemals abzubezahlen. Deshalb müssten diese Staaten die Entscheidung treffen, ihre Schulden nicht mehr zu bedienen. Die Kreditausfälle und Vermögensverluste der Gläubiger würden wiederum den Zusammenbruch von Finanzinstitutionen nach sich ziehen. Davon wäre auch schnell die Realwirtschaft betroffen und die Arbeitslosigkeit würde weiter steigen.
Zudem wären nicht nur die Banken in den zahlungsunfähigen Ländern davon betroffen. Ein Aussetzen der Schuldentilgung würde große Teile des Auslandskapitals (einschließlich der Target2-Forderungen) der solventen Länder zunichtemachen. Die Folge wäre auch hier, dass viele Banken von den Ansteckungseffekten ernsthaft betroffen wären und kollabieren würden.
Aber wäre eine (externe) Abwertung ihrer Währungen für die heutigen Krisenländer nicht die bessere Option im Vergleich zum Austeritätskurs mit interner Abwertung durch ein Senken der Löhne und Renten? Eine Abwertung verbilligt zwar die Exporte, verteuert andererseits aber die Importe. Angesichts des Bedarfs der Krisenstaaten an Rohstoffen, Energie und Öl aus anderen Ländern, wird deutlich, dass eine Währungsabwertung nicht einmal langfristig der Königsweg wäre. Das könnte einer der Gründe sein, warum in Südeuropa kaum politische Stimmen zu hören sind, die sich für einen Ausstieg aus dem Euro aussprechen.
Viertens: Das Ende der WWU würde dem gesamten Integrationsprozess in Form eines rückwärtsgewandten Spillover schaden.
Mit der Abschaffung des Euro würden die positiven Effekte wie Preisvergleichsmöglichkeiten, niedrige Transaktionskosten und die Wechselkursstabilität verloren gehen. Darüber hinaus wäre es zweifelhaft, ob die vier Marktfreiheiten für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital alle weiter garantiert werden könnten, da die Staaten auf das Risiko von Kapitalabflüssen reagieren müssten. Die Mitgliedstaaten würden immer häufiger von Abwertungen Gebrauch machen und die Unternehmen im eigenen Land stärker unterstützen, um entgegen der EU-Wettbewerbspolitik wirtschaftliche Vorteile auf dem europäischen Binnenmarkt anzustreben. Dieses Argument dürfte sich besonders im wahrscheinlichen Fall einer europaweiten Krise als zutreffend erweisen.
Wie beim alten EWS wäre Deutschland auch hier wieder der währungspolitische Hegemon in Europa. Die Einrichtung eines neuen EWS würde nur mit ausgleichenden Mechanismen finanzieller Transfers funktionieren, um asymmetrischen Schocks zu begegnen, wie wir sie 1992/93 erlebt haben. Finanztransfers sind aber Teil jener schwierigen Debatte über eine Gemeinschaftshaftung, wie wir sie bereits heute im Zusammenhang mit einer Vervollständigung der WWU führen – und diese Debatte wird nach einem Zurückdrehen der Integration nicht leichter.
Die Globalisierung und wachsende wirtschaftliche Interdependenzen würden nicht verschwinden. Die Europäer wären jedoch nicht mehr in der Lage, diese Entwicklungen mitzugestalten.
Aufgrund der maßgeblich von der letzten Bundesregierung verfolgten Politik des Sich-Durchlavierens in der Krise ist das Vertrauen in die europäischen Problemlösungsfähigkeiten heute ohnehin nicht sehr ausgeprägt. Bei den ersten Auflösungstendenzen der WWU würde es vollständig verloren gehen. Die politische und wirtschaftliche Stimme der EU würde weltweit an Bedeutung verlieren. Derweil würden die Globalisierung und wachsende wirtschaftliche Interdependenzen aber nicht verschwinden. Die Europäer wären nur nicht mehr in der Lage, diese Entwicklungen in ihrem Sinne mitzugestalten, weil sie wieder in ihre nationalen Festungen zurückgekehrt wären.
Aus diesen Gründen ist klar: Eine Rückentwicklung der wirtschaftlichen Integration kann kein Ausweg aus der Krise sein. Es gibt nur einen Weg, den Defiziten der WWU und ihren zugrundeliegenden Asymmetrien der europäischen Integration entgegenzuwirken: Die Währungsunion muss durch eine Fiskal- und politische Union vervollständigt werden. Bei der Krise der Eurozone handelt es sich nicht um die erste Krise der europäischen Integration. Zur Überwindung vergangener Krisen haben wir mehrere erfolgreiche Integrationssprünge erlebt. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Sprung zu wagen.