Die Münchener Sicherheitskonferenz ehrt an diesem Wochenende den einzigen handfesten sicherheits- und friedenspolitischen Erfolg, den Europa derzeit vorzuweisen hat. Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras und sein mazedonischer Kollege Zoran Zaev erhalten den Ewald-von-Kleist-Friedenspreis. Sie haben mit dem mühsam ausgehandelten Prespa-Abkommen einen jahrzehntelang andauernden Streit um den Namen Mazedonien beigelegt. Ermöglicht wurde dieser Erfolg durch zwei links orientierte Regierungen. Das sollte die Soziale Demokratie in Europa für sich nutzen.

Das Prespa-Abkommen ist ein schillerndes Beispiel dafür, was linke Politik in Europa leisten kann. Über 27 Jahre dauerte der Namensstreit zwischen Athen und Skopje um das Erbe Alexander des Großen und den Namen Mazedonien an. Nun haben die beiden Staaten ihn beigelegt. Die Verfassung Mazedoniens wurde geändert, das Land heißt nun Nord-Mazedonien und ist als solches auch bei den Vereinten Nationen registriert. Die Landessprache darf weiter Mazedonisch heißen. Jegliche Interpretationsspielräume zu möglichen Gebietsansprüchen Nord-Mazedoniens in der griechischen Region Mazedonien werden in den Verfassungsänderungen verneint.  Im Gegenzug zieht Griechenland sein Veto zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen der EU mit Nord-Mazedonien zurück. Auch der NATO darf das Land nun beitreten.

Trotz populistischer Störmanöver haben Zaev und Tsipras diese Einigung erzielt, indem sie Patriotismus neu definiert haben: Nur wer für Frieden, für eine langfristig belastbare Zukunftsperspektive der Menschen und damit für ein Versprechen auf ein besseres Morgen einsteht, handelt patriotisch. Gerade auf dem Westbalkan ist diese Auslegung bemerkenswert. Wo traditionell Säbelrasseln und das Anfachen historisch aufgeladener Fehden „mutige“ Politik symbolisierte, haben Zaev und Tsipras ganz neue Maßstäbe gesetzt. Nicht die Provokation, sondern die Suche nach gemeinsamen Interessen und Zielen sowie die grenzübergreifende Zusammenarbeit standen bei ihnen im Mittelpunkt.

Die brisanten Ränder der Europäischen Union dürfen nicht europaskeptischen Populisten und rechten Hardlinern überlassen werden.

Darin liegt letztlich auch der Schlüssel für Sicherheit in der gesamten Region - Sicherheit, die nicht nur als Abwesenheit von Waffengewalt verstanden wird, sondern mit dem Bekenntnis zur Verbesserung der Lebensverhältnisse verbunden ist. Die Symbolkraft des Abkommens zwischen Skopje und Athen ist darum kaum zu überschätzen. Die beiden Regierungschefs haben ihre eigene politische Zukunft unmittelbar mit dem Gelingen des Abkommens verknüpft. Mit einem klaren Bekenntnis zur Lösungsorientierung haben sie den großen Wurf gewagt, gegen interne Widerstände nationalistisch aufheizender rechter Gruppen und den  Einfluss ausländischer Mächte, die vom festgefahrenen Status Quo profitierten.

Die beiden Politiker haben für ihren Kurs zur entscheidenden Zeit auch Rückenwind aus der EU bekommen. Hier waren sich die europäischen Akteure einmal einig: Das Abkommen muss gelingen, denn es hat das Potenzial, den Westbalkan nachhaltig zu befrieden und an die Europäische Union anzunähern. Die Staaten des Westbalkans suchen den Anschluss an die EU und die Beratung und Unterstützung in wichtigen Reformen, die mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen möglich wird. Die Europäische Union hat aber selbst ein Eigeninteresse an der Annäherung. Es ist für Europa wichtig, dass sich die Lebensverhältnisse und die Wirtschaftskraft in Südosteuropa verbessern, die Menschen dort eine glaubwürdige Zukunftsperspektive erhalten und die Staatsgrenzen nicht  verschoben, sondern vielmehr geöffnet werden. Dazu kann und muss auch eine europäische Sicherheits- und Außenpolitik beitragen. Die brisanten Ränder der Europäischen Union dürfen nicht europaskeptischen Populisten und rechten Hardlinern überlassen werden.

Im Falle von Nord-Mazedonien wurde dies erkannt: Zoran Zaev hatte im vergangenen Jahr ein Referendum zu der Frage der Namensänderung des Landes durchgeführt und diese unmittelbar mit der Zukunft in EU und NATO verbunden. Um dem mazedonischen Premierminister den Rücken zu stärken, reisten im September 2018 zahlreiche Politikerinnen und Politiker nach Skopje, darunter NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen Johannes Hahn und Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Dazu kamen viele Parlamentarier und die Regierungschefs und Ministerinnen und Minister diverser EU-Staaten. Selbst Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der in Skopje bisher vor allem für seine Aufgeschlossenheit gegenüber autokratischen Stabilokraten bekannt war, unterstützte das Abkommen zwischen Skopje und Athen.

Aus Deutschland kamen die Bundeskanzlerin, Außenminister Maas und Verteidigungsministerin von der Leyen - wer deutsche Minister treffen wolle, solle lieber nicht nach Berlin, sondern nach Skopje reisen, so wurde bereits gewitzelt. Mit dieser Besuchswelle haben die europäischen Staaten ein Versprechen abgegeben: Wir unterstützen Regierungen, die kompromissbereit und dialogfähig sind, die sich nachweisbar und nicht nur deklaratorisch für eine europäische Perspektive einsetzen.

Sicherheit ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt.

Damit eine solche Strategie gelingt, müssen die europäischen Staaten jedoch an einem Strang ziehen. Widersprüchliche Signale aus Brüssel und den Mitgliedstaaten haben in der Vergangenheit immer wieder für Unruhe auf dem Balkan gesorgt und tun es bis heute. Die Unterstützung für Zaev und Tsipras zeigt, dass die EU sich der strategischen Bedeutung des Westbalkans bewusst ist. Es bleibt nun zu hoffen, dass Europa nachlegt und die Auszeichnung der Premiers in München nach vorne weist. Zu lange wurde davon ausgegangen, dass stabil ist, was Gewalt verhindert. Sicherheit aber ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt.

Insbesondere linke Sicherheitspolitik muss mehr bieten. Das Verhindern von Gewalt muss mit glaubwürdigen Zukunftsperspektiven verbunden werden. Alles andere bleibt populistitsche Stabilokratie. Im Westbalkan schauen alteingesessene Stabilokraten genau hin, was nun auf das hochgelobte Abkommen folgt. Verkommt der Erfolg zum Poster Child oder bleiben die europäischen Staaten aufmerksam bei der Stange, auch im Europäischen Wahljahr? Gerade sozialdemokratische Politik hat hier die Chance zu punkten, da es endlich einen verlässlichen Partner in der mazedonischen Regierung gibt. Und die Regierung in Skopje begrüßt den aufmerksamen Blick der EU, die sie an ihre Reformbedarfe erinnert und damit auch nachhaltige Stabilität einfordert.  

Gerade in Südosteuropa braucht es eine Außen- und Sicherheitspolitik aus einem Guss, die klare Linien aufzeigt und Werte vorlebt. Dazu gehört es auch, Beitrittsgespräche zu eröffnen, wenn die Kriterien erfüllt sind, und die Verhandlungen dann mit transparenten und strikten Bedingungen zu versehen. Reformen können auf dem Westbalkan nicht ohne europäische Unterstützung umgesetzt werden. Zoran Zaev und Alexis Tsipras Auszeichnung erkennt die Tragweite des Verhandlugnserfolges zwischen den zwei Staaten an. Aber um diese Tragweite für nachhaltige Sicherheit im Sinne der Verbesserung der Lebensverhältnisse zu nutzen, braucht es einen langen Atem, auch in der Europäischen Union. Das wäre auch ein starkes Signal an die politische Elite und die Bevölkerung der anderen Staaten der Region.