Wenn sich der Staub, den das griechische Referendum aufgewirbelt hat, nun legt, wird der Blick wieder frei für die ökonomische Krise, in der sich die Eurozone nun schon seit fünf Jahren befindet. Die eine oder andere Fata Morgana einer scheinbar einfachen Lösung – Austerität als Erfolgskonzept oder Grexit – wird sich in Luft auflösen. Nach dem wahlkampfartigen Getöse der vergangenen Wochen kann der nun wieder ungetrübte Blick die verbliebenen politischen Handlungsoptionen erkennen, die richtig ausgewählt zur Überwindung der Kalamitäten führen können.
Dazu bedarf es zunächst der verbalen Abrüstung. Die Regierung von Alexis Tsipras hat unerfahren, unberechenbar und diplomatisch ungeschickt bis unverschämt gehandelt. Was seit ihrem Amtsantritt den staunenden Bürgerinnen und Bürgern Europas auf dem Brüsseler Parkett vorgeführt wurde, war immerhin nicht Standard, doch eine vernünftige neue Choreographie ließ sich leider auch nicht erkennen. Dass der Abschlussball abgebrochen werden musste, nachdem sich die Finanzminister der Eurozonenländer gegenseitig auf den Füßen herumgetrampelt sind, kann jedoch nicht allein Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis unkonventionellem Auftreten in die Schuhe geschoben werden. „It takes two to tango“ – taktstockschwingend am Rand stehend und mit unverhohlener Vorfreude auf ein halsbrecherisches Stolpern der griechischen Regierung zu hoffen, ergibt keinen Pas de deux.
Warum gibt der Klügere nicht nach?
Die Vehemenz der politischen und moralischen Verurteilung des in höchster Eskalationsstufe angekündigten Referendums in Griechenland über das von Gläubigerseite vorgelegte letzte Angebot zur Verlängerung des zweiten Kredit- und Sparauflagenprogramms ist mehr als erstaunlich. Hatte nicht vor wenigen Wochen der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble als primus inter pares der Euro-Finanzminister ein solches Referendum explizit gefordert? Sobald die Volksbefragung in Griechenland im Raum stand, kippten Argumentation und Verhalten von Vertretern der übrigen Eurogruppenländer ins Irrationale: Varoufakis wurde kurzerhand vor die Tür gesetzt, jegliche weitere Gesprächsbitte der Griechen beleidigt verweigert und emsig an der Legende eines generösen Angebots gestrickt. Der Schaum vor dem Mund einiger deutscher Politiker und Journalisten, die in der deutschen Öffentlichkeit längst diskreditierte Syriza-Regierung „zum Teufel zu jagen“ und als Alternativoption einen Grexit als Ende mit Schrecken zu verherrlichen, steht Deutschland nicht gut zu Gesicht. Es ist die Abkehr vom Prinzip europäischer Kooperation hin zu einem unwürdigen Schauspiel der Konfrontation aus innen- und machtpolitischen Erwägungen. Während die einen zu feige sind, sich mit guten Argumenten gegen eine des Kasus überdrüssige deutsche Bevölkerung zu stellen, scheinen bei anderen Motive deutscher Besserwisser- und Zuchtmeisterei durch. Vom Klügeren, der nachgibt und so die Spielregeln der Eurozone auf lange Sicht mitbestimmt, kann man wahrlich nicht sprechen.
Das klare griechische OXI bei der Volksbefragung bietet sich den Gläubigern Griechenlands argumentativ nicht als ausschlachtungsfähiges Argument eines Votums gegen die europäische Idee an. Zwar wurde diese Stilisierung im Vorfeld angestrebt, doch die Entscheidung der griechischen Bürgerinnen und Bürger richtet sich nicht gegen Europa, die EU oder den Euro, sondern gegen die Weiterführung der immer gleichen, immer gleich hilflosen Austeritätspolitik. Breit angelegte Volksbeschimpfung oder Ignoranz gegenüber dem Ergebnis des Referendums sind vielleicht kurzzeitig verkaufsfähig, unter demokratischen Gesichtspunkten aber nicht nachhaltig. Der kluge Schachzug von Alexis Tsipras, trotz Bestätigung seiner politischen Linie seinen in Brüssel ungeliebten Finanzminister zurückzuziehen, eröffnet nun ein neues Fenster für Verhandlungen um ein drittes Hilfspaket.
Streit um zwei grundverschiedene Wirtschaftsparadigmen
Dabei sind die Vertreter der übrigen Eurostaaten gut beraten, aus ihren Käfigen technokratischer Richtig- und Wichtigkeit auszubrechen. Angeblich unpolitische Zwangsläufigkeiten hätten uns in die aktuell vertrackte Lage geführt, wird gern behauptet. Nur die Zustimmung zu noch größeren Opfern könne die Austeritätspolitik zum Erfolg führen, das sei alternativlos und daher auch nicht verhandelbar. In Wirklichkeit ist der Konflikt zwischen Griechenland und dem Euro-Establishment hoch politisch. Ausgetragen wird ein Streit um zwei grundverschiedene Wirtschaftsparadigmen: Die deutsche Bundesregierung führt das Lager derer an, die über angebotsseitige Maßnahmen zur Wettbewerbssteigerung, über die innere Abwertung infolge von Ausgabenkürzungen und Flexibilisierungen die Krisenländer gesunden möchten. Die griechische Regierung fordert dagegen mit Verweis auf die Dysfunktionalität des verordneten Merkantilismus eine Konzentration auf die Stabilisierung der Nachfrage als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum.
Kein Krisenstaat der Eurozone hat mehr Kürzungen bei öffentlichen Investitionen, Sozialausgaben und Renten durchgeführt als Griechenland. Doch in fünf Jahren hat dies zum Zusammenbruch der Wirtschaftskreisläufe und zur Explosion der Staatsverschuldung geführt. Es gibt auch keine Erfolgsgeschichten aus anderen Krisenstaaten zu berichten, anhand derer man die Griechen über die behaupteten Segnungen der Austerität Mores lehren könnte: Wer – Dank seiner europäischen Partner – so starke Einbrüche des Bruttoinlandsprodukts infolge der Kürzungslogik hinnehmen musste wie Portugal und Spanien, der wächst konjunkturell bedingt irgendwann auch wieder ein bisschen. Von einem wirtschaftlichen Aufschwung kann in diesen Ländern angesichts stagnierender Industrieproduktion und sich nur zögerlich veränderndem Einzelhandel kaum die Rede sein. Genauso wenig übrigens wie von einem gerade in deutschen Medien herbeifabuliertem Aufschwung in Griechenland im vergangenen Jahr, der nur durch den Antritt der Regierung Tsipras gestoppt worden sein soll.
Suche nach dem kategorischen Imperativ europäischer Konsenskultur
Nicht nur ökonomisch, auch politisch ist die Austeritätspolitik krachend gescheitert. Die ungeliebte Regierung in Athen ist eine Folge dieses Scheiterns. Die griechische Bevölkerung wehrte sich zu Recht gegen eine einseitige Lastenverteilung, gegen eine kontraproduktive Wirtschaftspolitik, die man in Europa seit Heinrich Brünings Experimenten Anfang der 1930er Jahre für überwunden glaubte. Die Syriza-Partei entstammt dem Schoß der so oft beschworenen Alternativlosigkeit dieser falschen Rezeptur gegen die Krise und der politischen Unfähigkeit, die Defizite der Währungsunion im Ganzen zu beheben. Die griechischen Geister, vor denen das Euro-Establishment heute erschauert, hat es sehenden Auges selbst herbeigerufen.
Wie geht es weiter? Der Internationale Währungsfonds hat sowohl die Unterschätzung der negativen Wirkungen der zu streng konditionierten Kredithilfe als auch die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Staatsverschuldung in Griechenland eingeräumt. In einem dritten Hilfspaket wird er sehr wahrscheinlich nicht mehr an Bord der Gläubiger sein, zu weit hat er sein Statut bereits gedehnt. Die Europäische Zentralbank muss nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Politik der Rettungsschirme ohnehin verlassen. Europäische Kommission und die Euro-Finanzminister werden sich mit der gestärkt aus dem Referendum hervorgegangenen Regierung Tsipras nun auf ein neuartiges Paket verständigen müssen. Die Tür für Verhandlungen geschlossen zu lassen, wäre ein Sieg der ideologisch verbrämten Unvernunft; auf technokratische Details zu bestehen, wäre eine Bankrotterklärung der politischen Gestaltungsfähigkeit. Den kategorischen Imperativ europäischer Konsenskultur findet man allerdings nur, wenn man vom hohen Ross der national gefärbten Rechthaberei absteigt. Das große Ganze eines Überlebens der Eurozone im Blick zu behalten, einen für beide Seiten gesichtswahrenden Kompromiss zwischen Angebots- und Nachfragelogik und eine gerechte Lastenteilung zu erzielen, wird nicht einfach, ist aber nicht unmöglich. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit dem Tango in Brüssel.
22 Leserbriefe
Sich für den Klügeren halten ist nicht gleichbedeutend mit "Klüger sein".
Wir haben es hier mit einem weit verbreiteten Übel zu tun!!
Diejenigen, welche sich für klüger halten, haben die Weisheit mit einem Schaumlöffel gefressen - so sagt man im Rheinland - die eigentliche Weisheit ist durchs Sieb gefallen.
Und wer nicht fähig ist, Fehler einzusehem und zu berichtigen, hat die höchste Stufe der Inkompetenz erstiegen, heißt: Muss abgewählt, davongejagt werden.
Es ist höchste Zeit; endlich von einer NUR marktwirtschftlich und absolut undemokratisch orientierten Währungsunion zu einer ECHTEN SOZIALUNION zu werden.
Allen "christlich" geprägten Politikern sollte man den folgenden Satz einprügeln:
"EINER TRAGE DES ANDEREN LAST"
SO ERFÜLLET IHR CHRISTI GEBOT!!
seine hauseigenen Aufgaben erledigen. - Nichtsdestoweniger ist die EU als Solidargemeinschaft gefordert.526273
Was die Brüning'sche Politik anbelangt, so ist diese durchaus erfolgreich gewesen. Ihre Früchte haben allerdings die Nazis geerntet. Näheres dazu lässt sich bei Ritschl finden. Was die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich anbelangt bleibt festzuhalten, dass diese ein einziges Strohfeuer war. Am Ende des Spuks hatte Deutschland Schulden in höhe von über 450% seines BSPs. Das Geld war wertlos geworden. Wer Geld hatte, konnte davon herzlich wenig kaufen, da mehr oder minder alles über Warenbezugsscheine und Preiskontrollen geregelt wurde.
Nicht ein mögliches Schuldenmoratorium ist das Problem Griechenlands, sonder das fehlende Geschäftsmodell, das ein solches zur Voraussetzung hat. Syriza vermochte nicht mehr als ein weiter-so vorzulegen. Das würde die Krise nicht bewältigen, sondern perennieren.
Erhellend ist der Vergleich des GR-Vermögensdtstus zwei Jahre vor dem Beitritt zum EUR und 2010.
Man dürfte staunen !
Michael Gröning
Warum soll der deutsche Steuerzahler, der im übrigen auch 'Respekt' und 'Würde' verdient, helfen wenn keine staatlichen Strukturen existieren? Griechische Reeder und die griechisch-orthodoxe Kirche zahlen keine Steuern - warum? Junge griechische Akademiker, die OXI gewählt haben, ziehen für einen Arbeitsplatz nach London - warum bleiben sie nicht und bauen ein sozialistisches Griechenland auf?
Vollkommen einverstanden mit dem Referendum, wenn es rechtzeitig angekündigt worden wäre, d.h. schon während der 5-monatigen Verhandlungen, jedoch nicht als Überraschungseffekt in einem Moment, wo die Eurogruppe, einschliesslich griechisches Verhandlungsteam in der letzten Phase der Verhandlungen waren.
Ich bin mit Dr Hacker völlig einverstanden, in der Beurteilung des Troika-Gesundungsrezepts als ungeeignet. Diese strikte Austeritätspolitik hat die wirtschaftliche Misslage Griechenlands noch weiter verschlechtert und grosse Teile der Bevölkerung verelendet.
Nun, abgesehen von zusätzlichen Steuern und Einsparungen bei den Sozialleistungen, waren auch andere Massnahmen vorgesehen, wie z.B. die Privatisierung von staatlichen Unternehmen und vor Allem den Abbau des Beamtenmolochs, die von keine der vier griechischen Regierungen, nicht einmal im Ansatz, verwirklicht wurden.
Es hätte der Analyse des Dr. Hacker gut gestanden, wenn auch diese Tatsachen der Vollständigkeit und Objektivität wegen, ebenfalls berücksichtigt worden wären.
Griechenland war 4 x pleite in den letzten 200 Jahre.
Das 5. te Mal ist also kein Zufall, sonder die Griechen sind nicht lernfähig und arbeitswillig.
Bereit Steuern zu zahlen auch nicht. Den Staat zu melken, als Beamte sich fette und frühe Pensionen
5 Pleiten bedeuten, dass es 200 Jahre immer wieder Dumme gab, die den Lebenstandard dort aufgestockt haben, und gedacht hatten, ein Kredit heisst Rückzahlung + Zinsen.
Die griechische Mentalität: toll,wir können weiter machen!
62% der Griechen haben dafür gestimmt.
Weiter so? Jeder der 40 Mio. Arbeitenden in DE ist bis jetzt mit 2000 Euro an Bürgschaften und deutscher Haftung mit dabei.
Das ist Lebensstandard und Renten von morgen.
Es wurde die EU- Verfassung gebrochen, um die Schuldenorgien in einigen Ländern finanzierbar zu machen.
Damit entsteht nun ein Zusatzschaden für den deutschen Bürger.
Keine Zinsen mehr auf Ersparnisse. Bei 100 000 Euro entsteht ein Schaden von 3% allein im letzten,
Jahr.
Ein Weiterso bedeutet, dass man auf Lebensstandard verzichtet.
Für etwa 4000 Euro in den letzen 10 Jahren habe ich in den letzten 10 Jahren 2 Kinder über Plan unterstützt. Dank Spendenquittung waren es vielleicht 3000 .
Eines ist nun flügge, Dank Schule,die sonst nicht möglich gewesen wäre.Dank Spendenquitung war es möglich 2 Menschenleben von Grund auf zu ändern.
Was bisher in Griechenland pro Kopf versackt ist, sind über 3000 Euro..
Sie haben aber nichts daraus gemacht.
Was Sie, Herr Professor fordern, ist nicht angemessen.
Nicht für so ein faules, dreckiges Land.
Schaun Sie sich mal Strände, Weinberge oder Athen an.
Überall ist Müll.
These: Die Normen, die für das Wirtschaften ( z.B. Ausgaben nicht höher als Einnahmen) und damit für den Euro gelten, sind nicht überall in Europa gültig; es scheint, sie werden eher von den Nordländern akzeptiert. Staatsbankrotte waren im Süden häufiger; das scheint diese These zu stützen.
ich finde Ihren Artikel allzu einseitig, einseitig in dem Sinne, dass Sie sich gar nicht mit dem Kernproblem der Krise beschäftigen, nämlich damit, wie der griechische Staat, seine Verwaltung und seine politischen Institutionen europäisches Leistungsniveau erreichen und die griechische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig werden kann. Mit dem Euro als Währung wird Griechenland Letzteres nicht schaffen, selbst dann nicht, wenn man Griechenland sämtliche Schulden erlassen würde. In wenigen Jahren stünde das Land mit Sicherheit wieder vor der Pleite. Die Eurozone wäre mit einem dauerhaften Instabilitätsfaktor belastet. Griechenlands Ausscheiden aus dem Euro und seine Rückkehr zur Drachme hätte mindestens vier Vorteile: erstens würde die Eurozone von einem Mitglied entlastet, das in den "Klub" nicht hineinpasst, und dadurch gestärkt; zweitens würde das griechische Volk endlich einmal mit der haushalts- und finanzpolitischen Stunde der Wahrheit konfrontiert, hätte die Chance einer nüchternen Einsicht in die Realitäten und Kalamitäten und könnte dann, natürlich mit den üblichen EU-Hilfen, an die Sanierung des Landes, von Verwaltung und Wirtschaft gehen; drittens würde man in EU-Europa endlich auch einmal die nützliche
Erfahrung machen, dass die Korrektur von Fehlentscheidungen - Aufnahme Griechenlands in die Euro-Gemeinschaft - wie im Leben, so auch in der Politik etwas Normales, ja Selbstverständliches ist, und schließlich würde man am Fall Griechenlands die Lücke im EU-Recht schließen können, nämlich die fehlende, Art. 50 EUV entsprechende Regelung für die Euro- Zone nachliefern. Das in diesem Falle ja eigentlich einschlägige Völkerrecht könnte produktiv herangezogen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Otto Luchterhandt
ich bin 66 Jahre alt und froh, nie eine Krieg erlebt zu haben.
Meine Mutter war Flüchtling und mein Vater ist 1948 aus der russischen Kriegsgefangenschaft krank entlassen worden.
Europa ist für mich ein Garant für Solidarität und Friedenssicherung.
Griechenland gehört zu Europa. Ich freue mich über das Referendum und über das Nein zu den Auflagen, den weiteren Sozialeinschnitten.
Ihr Ansatz, der Klügere gibt nach.., hat Verständnis und findet konstruktive Lösungen, ist mir sympathisch. Mein Weltbild und mein Selbstverständnis erfordern Hilfe für die Menschen in Griechenland.
Ihre Worte in die Herzen der Politiker, nur zu denen habe ich wenig Vertrauen.
Sie sind zu schwach gegen die Lobbyisten.
Geld geben ist keine Lösung. Wirtschaftsentwicklung, Investitionen in Griechenland sind notwendig. Geld ist da, kluge Ideen auch. Es fehlt an der Sicherheit für Investitionen und die muss Europe mit Griechenland durch Gesetzen geben. Ein starkes Land wird zwangsläufig staatliche Reformen durchführen, die ein Wachstum nicht mehr hemmen.
Griechenland hat Gas und Sonnenenergie.
Die Energiewende als europäische Aufgabe schafft Innovation, Arbeitplätze und Umweltschutz in ganz Europa und Integration durch Zielsetzung und Wohlstand
Nebeneffekte sind Unabhänigkeit von Russland, Orient und Amerika.
Europa wird stabil. Dafür lohnen sich Schulden!
Ich möchte Sie ermutigen.
Empören und engagieren Sie sich. I
Ihre Generation hat die Aufgabe zur Gestaltung der Zukunft für sich und Ihre Kinder.
Ich wünsche Ihnen Ideen, Kraft, Ausdauer und Erfolg. Es lohnt sich!
Annelie Schulz
Gewünscht hätte ich mir eine nähere Begründung, weshalb der auch von mir erinnerte Aufschwung der Wirtschaftsleistung (wieviel Prozent, null, Komma?) Griechenlands kein wirkliches Anzeichen für eine sich abzeichnende und sich fortsetzende "Gesundung" der Wirtschaft war.
Ich finde es auch richtig, den Akzent auf die Seite der Eurostaaten zu setzen. Die von Griechenland zu leistenden eigenen Strukturreformen sind dabei wohl etwas kurz gekommen.
Gruß
Peter Jehn
Es ist unter Ökonomen praktisch unstrittig, dass nur ein Schuldenschnitt die Lage bereinigen kann. Nicht nur der IWF sieht das so. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft stellte im Juni 2013 fest, dass zu einer tragfähigen Verschuldung unter der Annahme eines durchschnittlichen Wachstums von 2 Prozent ein Schuldenschnitt in Höhe von etwa 71 Prozent, bei 4 Prozent Wachstum von knapp 64 Prozent erforderlich ist.
Deshalb ist keine griechische Regierung in der Lage, ein tragfähiges Konzept vorzulegen, welches ohne Schuldenschnitt auskommt. 18 von 19 Finanzministern wecken erhebliche Zweifel an ihrer Qualifikation, wenn sie „ wider besseres Wissen auf der formellen Anerkennung einer tatsächlich untragbaren Schuldenlast“ (Jürgen Habermas) bestehen.
Eigentlich hätte nicht Varoufakis zurücktreten müssen, sondern seine Kollegen.
Wer die Augen derart hartnäckig vor der Realität verschließt, ist nicht geeignet, Europa vor dem nächsten Finanzcrash zu bewahren.
Die EU-Sparpolitik hat in ihrem Sinne funktioniert, die Lasten wurden "nach unten" verlagert: In GR, SP, POR, IR, I ... Ökonomisch hat sie versagt: Rekordschulden trotz Schuldenschnitt, wirtschaftliche und soziale Katastrophe. Warum? Haushaltskonsolidierung folgt Wachstum, nicht umgekehrt. q.e.d.
IWF hat inzwischen eingesehen, dass seit Jahr(zehnt)en mit fehlerhaften Berechnungen fatale Sparprogramme gegen Kredite verordnet wurden - dank GR
Fakten:
- Kredite nach GR u.a. wurden in den 90ern und 2000ern bereitwillig vergeben. Warum? In Nordeuropa waren Sparen und schlanker Staat Trumpf. Investitionsquote in D seit 20 Jahren im Sinkflug. Wohin mit dem Geld? Ab in den Süden, Bettenburgen am Mittelmeer, Olympiabauten/-ruinen...
- Eurokrise war Folge der Krise des deregulierten Finanzsystems, das private Banken und Investoren aus Gier nach immer höheren Renditen an die Wand gefahren haben. Schuld der Politik war, der Ideologie "Privat ist besser als Staat" auf den Leim gegangen zu sein. Die Rechnung: Finanzkrise wurde zur Schuldenkrise (der Staaten) umdefiniert, die Kosten sozialisiert. GR ist nur noch zum geringen Teil bei Banken verschuldet.
- GR hat seit 2009 von den Mrd. wenig gesehen. Über 75 % der Kredite sind an (v.a. dt. und frz.) Banken gegangen. Diese wurden gerettet - nicht GR.
- Zu GR: Staat als Beute von Parteien, Cliquen, Klientelwirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehung etc. - aber Syriza führt die erste Regierung, die mit all dem nichts am Hut hat - außer dass sie die Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen bewahren muss. Aufbau einer effizienten (u.a. Steuer-)Verwaltung dauert Jahre. Troika hat Einstellung von neuen Leuten unterbunden.
- Die fehlerbehaftete Konstruktion des Euro erklärt nicht, warum Schäuble & Co auch nach 5 Jahren auf die höhere Dosis der falschen Medizin besteht.
EU-Politik unter deutscher Führung:
- D profitiert vom Euro weiterhin. Das Modell D (wir exportieren, ihr verschuldet euch, um unsere Produkte zu kaufen) hat jetzt die Eurogrenzen gesprengt.
- Rettungsplan: Modell D europäisieren, EU als globale Exportmaschine. Alle EU-Staaten durch Privatisierungen, Lohn- und Sozialkürzungen ("Strukturreformen") wettbewerbsfähig machen, Überschüsse erwirtschaften und Schulden senken. Was China, Indien, USA und die BRICS davon halten?
- Globale Ungleichgewichte (des einen Gewinne sind des anderen Schulden) führen in die nächste Finanzkrise
- An GR wird ein Exempel statuiert: Wenn eine (linke) Regierung behauptet, es gäbe eine demokratische, sozial gerechte, wirtschaftlich vernünftigere Alternative zu dieser Politik, muss sie kaltgestellt werden, sonst kommen Nachahmer (Podemos). Le Pen gibt dazu die willkommene Drohkulisse.
1. Seit ca. 2005 steigt die Verschuldung deutlich an, seit ca. 5 Jahren jährlich um 50 Mrd. € (2011 wurden 50 Mrd. € erlassen). Wenn man 50 Mrd. € p.a. bei 11 Mio. Einwohner auf Deutschland hochrechnet, würde das bei uns fast 400 Mrd. € p.a. ausmachen, fast den gesamten Bundeshaushalt. Dieser Vergleich nur, um die Relation zu zeigen.
2. Niemand wird wirklich glauben, Griechenland könne je die Schulden zurückzahlen. Um diese Konsequenz zu umgehen, hat man den Schuldendienst für (wenn ich recht entsinne) 20 Jahre ausgesetzt.
3. Keine Regierung in Griechenland hat in den vergangenen Jahren irgendetwas nachhaltiges getan, um die steigende Arbeitslosigkeit und das steigende Mißverhältnis zwischen Reich und Arm zu verringern. Immer noch sind die Reeder per Grundgesetz von jeder Steuer befreit, und die anderen Reichen zahlen auch so gut wie keine Steuern. Die Steuerlast liegt damit bei den geringer Verdienenden.
4. Es gibt in Griechenland kaum ein vernünftiges, vorausschaudendes Fiskal- und Planungssystem, Politik wird nach dem Stand der gerade zur Verfügung stehenden Mittel bzw. erhofften Mittel gemacht.
5. Seit rund 4 Jahren hat sich die Rate der Arbeitslosen verdoppelt, die Eigenproduktion in Griechenland geht weiter zurück usw.
Resumé:
1. Griechenland hat sich mithilfe der Verschuldung eine Lohnhöhe (teilweise auch Rentenhöhe) geschaffen, die zur eigenen Wirtschaftskraft in keiner vernünftigen Relation mehr steht. Geht dieser Trend weiter, werden immer mehr arbeitslos werden. Die Krise setzt sich fort, solange diese Diskrepanz fortbesteht (kleines 1 mal 1 der Wirtschaft).
2. Es fehlt am poltischen Willen und am know how, wie man ein vernünftiges, vorausschaudendes Fiskal- und Planungssystem aufbaut und sich an den faktischen Zahlen (und nicht an politischen Wunschvorstellungen) orientiert.
3. Unter diesen Bedingungen sind die Forderungen der EU in bezug auf die Ursachen der Krise wirkungslos. Sie reduzieren die Einkommen (v.a. der Ärmeren und der Bezieher niedriger Renten), haben aber keine Wirkung auf das politische Handeln, v.a. nicht in Bezug auf die o.g. inhaltlichen Mängel.
4. Wenn die EU Griechenland wirklich helfen will, muß mehr von der EU geleistet werden, als nur Forderungen nach Einsparungen zu erheben. Es müssen inhaltliche, qualitative Forderungen gestellt werden, und deren Entwicklung und Umsetzung muß durch entsandtes Personal unterstützt und kontrolliert werden. Die Verschleuderung staatlichen Vermögens (Zwangsversteigerungen) ist unter diesen Prämissen Unsinn.
5. Wenn sich die Auseinanderentwicklung von Einkommen und Wirtschaftskraft fortsetzt (und die EU Griechenland im Euro halten will), muß die EU immer höhere Zahlungen leisten, will sie Griechenland nicht kollabieren lassen. Die griechische Situation bessert sich nur, wenn die Wirtschaft wächst und wieder steigende Beschäftigtenzahlen aufweist. Mit den heutigen Preisen und den heutigen schwachen Leistungen ist das nicht zu schaffen. Bedingt durch die hohen Löhne produziert Griechenland nicht mal mehr seinen eigenen Bedarf an Lebensmitteln, immer mehr wird importiert, weil Importe billiger geworden sind als die eigene Produktion.
6. Griechenland "leidet" damit an einer Währung (dem €), die viel zu lange - gemessen an den Entwicklungen im Land - stabil geblieben ist. Ein Land, das die o.g. Entwicklungen aufweist, erfährt normalerweise über die fortschreitende Entwertung der eigenen Währung die Konsequenzen, die diese Entwicklungen mit sich bringen: durch die Abwertung werden die eigenen Leistungen international immer preiswerter und damit konkurrenzfähiger, importierte Waren werden im gleichen Umfang teurer, was der eigenen Wirtschaft hilft, mit Importen leichter zu konkurrieren.
7. Man kann es wenden, wie man will: Bleibt Griechenland im Euro, müssen enorme Mittel aufgewandt werden - aber wofür? Je mehr Mittel ins Land fließen, umso höher steigt der Konsum - aber leider nicht die Produktivität und die Produktion, es wird noch mehr importiert. Oder Griechenland müßte harte Importsperren erlassen und durchsetzen, um die eigenen Produktion wieder anzukurbeln - was aber kaum wirtschaftspolitisch erwünscht sein wird.
8. Die vermutlich beste Entscheidung wäre ein Ausscheiden aus dem Euro auf Zeit mit Unterstützung durch die EU, die dafür sorgt, daß nötige Produkte wie Energie, Medizin usw. bereitgestellt werden. Damit muß das Land dann seinen eigenen Weg finden, denn niemand kann genau voraussagen, wo und wie sich alte/neue Wirtschaftsentwicklungen realisieren/vitalisieren lassen.
Planen kann eine echte, tragende wirtschaftliche Erholung im Detail niemand. Die Wirklichkeit ist immer viel komplexer als jede Planung sein kann. Daran sind die kommunistischen Staaten gescheitert. In der EU ist offenbar die Tiefe des Problems nicht erkannt worden, sonst hätte man nicht geglaubt, durch Sparvorgaben einen Wandel in der Politik in Griechenland herbeizuführen. Und mehr oder weniger wilde sozialistische Phrasen zur Entwicklung Griechenlands und in der EU tragen weder der Wirklichkeit in Griechenland Rechnung, noch zeigen sie einen gangbaren Weg auf.
- und psychologische Kriegsführung heute!
Griechenland ist ein Beispiel für massenpsychologische Kriegsführung heute. Für die Durchsetzung ökonomischer und politischer Herrschaft ohne militärische Auseinandersetzung. Ein erfolgreicher, ideologischer und medialer Waffengang gegen Griechenland; vor allem auch nach Innen, gegen die Bevölkerungen der Europäischen Union.
Das Finanzkapital und seine politische Administration ist lernfähig. Es bedarf heute keiner militärischen Auseinandersetzung in Europa, um ökonomisches Besatzungsrecht politisch-juristisch durchzusetzen. Der Kapitalfaschismus im 20. Jahrhundert war davon noch weit entfernt.