Die Griechen haben zwar die Demokratie erfunden, aber jetzt übertreiben sie ein wenig. Denn nach gerade mal sieben Monaten im Amt, hat Alexis Tsipras sich entschieden, die Bürger in Griechenland erneut zur Urne zu bitten und Neuwahlen angesetzt. Am 20. September soll ein neues Parlament gewählt werden, nachdem die Regierungsmehrheit von Tsipras schon seit fast zwei Monaten nicht mehr besteht.

Es ist aber nicht die demokratische Euphorie und die Freude an der Politik, die Athen die inzwischen fünfte Parlamentswahl seit 2009 beschert. Es sind die politischen Folgen der massiven ökonomischen und sozialen Krise, die das Land seitdem im Griff hat. Alexis Tsipras hat in schärferer und schnellerer Form das erlebt, was seine beiden Vorgänger Georgios Papandreou und Antonis Samaras durchmachen mussten. Wie Samaras war er politisch gewachsen mit der simplen Forderung, das Memorandum, die Kreditvereinbarung, die Griechenland zu Reformen und Sparen zwingt, zu beenden. Wie sein konservativer Vorgänger musste er jedoch feststellen, dass er die Alternativen zu diesem Memorandum nicht politisch vertreten wollte und auch nicht in der Lage war, Schäuble, Lagarde und Co einen besseren Deal abzutrotzen. Und nachdem Tsipras zähneknirschend auf Memorandumskurs eingeschwenkt war, musste er mitansehen, wie seine eigene Partei zerbrach. Die Frage der Befürwortung und der Ablehnung des Memorandums wurde zur Bruchlinie. Wie bei Panellinio Sosialistiko Kinima (PASOK) und Nea Dimokratia (ND) zuvor verblieben auf der einen Seite die Pragmatiker um den Ministerpräsidenten, auf der anderen Seite sammelt sich im Falle SYRIZAs die linke Plattform und vertritt inzwischen einen klaren Kurs pro Drachme. Die Befürwortung oder Ablehnung der Sparpolitik durchzieht inzwischen quer das griechische Parteienspektrum und hat die alte Rechts-Links-Trennung abgelöst.

Als gut geschulte Marxisten wissen Tsipras und seine Genossen, dass sich Geschichte immer zweimal wiederholt, einmal als Tragödie, dann als Farce. Bedeutet dies, dass im endlos scheinenden griechischen Drama nun der dritte Akt angebrochen ist, in dem wir "the same procedure as every time" erleben, nur diesmal zugespitzt als Farce? Einen Ministerpräsidenten, der als Revoluzzer gestartet ist und als Bettvorleger von Merkel und Schäuble gelandet ist? Eine Partei, die alles anders machen wollte, dann kleinlaut einschwenkt und in der Folge das Memorandum zwar in Gesetze gießt, die Implementation jedoch verzögert und verwässert? Endlose Aneinanderreihungen von EU-Gipfeln und Eurogruppensitzungen und in wenigen Jahren oder gar Monaten den Sturz der Regierung und alles von vorne?

Es spricht einiges dafür, dass dies nicht eintritt. Erstens: In Athen gehen so langsam die politischen Alternativen aus, die das vereinen, was die Griechinnen und Griechen weiterhin wollen: die Mitgliedschaft im Euro und mehr soziale Gerechtigkeit. Nach dem Einschwenken von SYRIZA (und auch den Unabhängigen Griechen) auf die Memorandumslinie, auf der sich ND, PASOK und die linksliberale To Potami bereits befinden, verbleiben auf der anderen Seite nur noch die Kommunisten als politischer Folklorefaktor, die Nazis von der Chrysi Avgi und wahrscheinlich bald die neue SYRIZA-Abspaltung der linken Plattform. Alle drei sind keine ernst zu nehmenden politischen Alternativen. Zweitens hat sich nach dem Umschwenken von SYRIZA auch in der Bevölkerung der Eindruck verfestigt, dass es in der aktuellen Konstellation in Europa keinen anderen Weg aus der Krise geben wird, zumindest nicht, wenn man Teil der Union bleiben möchte. Niemand ist wirklich von dieser Vereinbarung überzeugt, man betrachtet es inzwischen jedoch als kleines Übel – eine der Nebenwirkungen der Kapitalverkehrskontrollen und der geschlossenen Banken. Drittens ist Tsipras politisch allein auf weiter Flur. Die PASOK hat eben erst eine neue Vorsitzende gewählt, die ND agiert unter einem Interimsvorsitzenden, To Potami ist als Partei noch keine zwei Jahre alt. Allen dreien fehlt das Personal, die Botschaft und vor allem die Glaubwürdigkeit, um bei diesen Wahlen zu reüssieren. Dagegen hat Tsipras trotz oder auch wegen seiner zahlreichen Schwenks noch breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Er gilt als ehrlich und aufrichtig und es wird ihm hoch angerechnet, dass er kurz vor dem Abgrund in eine Vereinbarung eingewilligt hat, jedoch seine Distanz dazu deutlich artikuliert. Damit hebt er sich gerade von Samaras klar ab, der eine Art Saulus-Paulus Wandlung durchgemacht hatte, die ihm nur wenige abgenommen hatten. Die teils trotzige, teils rebellische Haltung von Tsipras, seine Inszenierung als Widerstandskämpfer gegen einen übermächtigen Feind, das patriotische Einlenken in letzter Sekunde dagegen, ist authentisch und wird von vielen Bürgern in Griechenland, auch über SYRIZA hinaus, honoriert.

Es ist daher zu erwarten, dass er die Wahlen gewinnt, womöglich gar mit einem besseren Ergebnis als noch im Januar und dann mit eigener parlamentarischer Mehrheit die Vereinbarung mit der Eurogruppe umsetzen kann. Dann muss er auch keine Rücksicht mehr auf die Oppositionsparteien nehmen und wird sicherlich auch die Elemente linker Symbolpolitik noch verstärken, sei es im Bildungsbereich, sei es in anderen – nicht fiskalisch relevanten – Bereichen. Das oberste Ziel wird sein, Ruhe in die Wirtschaft zu bringen, um auf den Wachstumspfad zurückzukehren, den das Land im November 2014 – im Angesicht von Neuwahlen – verlassen hat. Wenn ihm das gelingt, auch mit Hilfe der Investitionen in Milliardenhöhe, die vereinbart wurden, hat er die Chance, die politische Landschaft in Griechenland auf Jahre hinaus zu dominieren. Und er hätte den Beweis angetreten, dass nach dem ersten Akt, der Tragödie und der Farce doch noch ein Streifen Hoffnung sichtbar ist.