Die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Partnern in der EU und im IWF streben – wieder einmal – einem Höhepunkt entgegen. In den nächsten Tagen soll es zu einer Einigung kommen, so dass mit der Auszahlung der verbleibenden 7,2 Milliarden Euro aus dem zweiten Griechenlandpaket die Staatspleite abgewendet werden kann. Begleitet werden diese Verhandlungen von einem beispiellosen medialen Trommelfeuer, in dem der Durchblick schwer fällt. Mal wird der exzentrische Finanzminister Griechenlands als Problem identifiziert, mal sein deutscher Kollege, der mit seiner protestantischen Fleißethik einer Lösung im Weg stehe. Und zu guter Letzt wird berichtet, die Streithähne seien ausgebootet worden und nun würden die Chefs über die weiteren Schritte befinden.

Unbeachtet bleibt dabei, dass sich die Logik des Krisenmanagements seit praktisch fünf Jahren nicht verändert hat, auch wenn genau das das Ziel der Regierung Tsipras war. Noch immer verhandelt Athen mit der nun als „Institutionen“ getarnten Troika über Reformschritte, arbeitet eine Liste von Zielen ab, die jeweils der Zustimmung aus Brüssel bedürfen, und jede Eurogruppe wird zur Zwischenprüfung des griechischen Reformeifers. Nicht umsonst dominieren im deutschen Diskurs die Vokabeln „anstrengen“, „liefern“ und die niemals fehlenden „Hausaufgaben“, die nun endlich, endlich erledigt werden müssen.

Beide Seiten sind dieser Vorgehensweise mit Recht müde. Deshalb sollte vor dem im Raum stehenden dritten Griechenlandpaket darüber nachgedacht werden, wie die weitere Unterstützung des Landes gestaltet werden kann. Dabei müssen zwei Dilemmata berücksichtigt werden – und die Basics der Kommunikationspsychologie.

 

Demokratie vs. Regeln?

Das übergreifende Dilemma, das Europa seit dem 25. Januar umtreibt, ist: Demokratie vs. Regeln. Während die griechische Regierung darauf beharrt, über einen klaren „Volksauftrag“" (tatsächlich ist nur selten von einem demokratischen Auftrag die Rede) zur Beendigung der Sparpolitik zu verfügen, betont die Gegenseite die Einhaltung der vereinbarten Regeln. Gemeint sind die Kreditverträge Griechenlands mit seinen Partnern, das sogenannte Memorandum und die darin vereinbarten Überprüfungsmechanismen. Beide Seiten verfügen dabei über gute Argumente. Das Memorandum und die Troika haben in Griechenland parteiübergreifend einen äußerst schlechten Leumund. Beinahe alle Parteien versprachen im kurzen Wahlkampf, das Memorandum zu beenden und die Troika aus dem Land zu werfen. Die einen schneller, die anderen langsamer. Das Votum von ca. 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die SYRIZA und die Unabhängigen Griechen, die Parteien, die dies am radikalsten (und glaubhaftesten) verkörperten, war ein klarer demokratischer Auftrag zur Beendigung dieser Politik. Dagegen setzte die Eurogruppe im Gleichklang mit den drei Institutionen das Argument, dass die Memoranden nicht nur mit der vorherigen Regierung abgestimmt waren, sondern zudem auch von 18 weiteren Regierungen der Eurozone und den dazu gehörigen Parlamenten. Auch auf „Gläubigerseite“ konnte somit ein tragfähiges Argument für demokratische „Inputlegitimität“ vorgebracht werden.

Die Substanz des Programms muss sich von der reinen Sparpolitik auf eine Wachstumspolitik hin verändern.

Den Ausweg aus diesem Dilemma weist keine Verhandlung oder das anhaltende politische Armdrücken. Stattdessen muss eine Veränderung der Agenda gesucht werden. Denn Europa ist qua Struktur eine Mischform aus demokratischer Willensbildung und regelbasiertem Miteinander. Das Hauptproblem in Griechenland ist auch weniger das Zustandekommen der Memoranden als ihre Umsetzung und das Ergebnis. Der massive Verlust von Haushaltseinkommen, das Schrumpfen des griechischen BIPS und die Massenarbeitslosigkeit haben zu einer Delegitimierung des Prozesses beigetragen. Der Fokus muss daher auf „Outputlegitimität“ gerichtet werden. Die Substanz des Programms muss sich von der reinen Sparpolitik auf eine Wachstumspolitik hin verändern, die Griechenland die Perspektive bietet, diese Krise durch Investitionen und Wirtschaftswachstum bewältigen zu können. So können der demokratisch artikulierte Wunsch nach Veränderung sowie das Regelwerk miteinander in Einklang gebracht werden.  Ein drittes Paket sollte daher kein „Hilfspaket“, sondern ein Wachstumspakt sein.

 

Die Über-Regierung Griechenlands

Das zweite Dilemma betrifft die Spannung zwischen Kontrolle der Gläubiger und Ownership der griechischen Regierung. Seit Beginn der Unterstützung Griechenlands durch europäische Bürgschaften regiert in Athen nicht nur die Regierung, sondern auch die Troika. Die Delegationen von IWF, EZB und Kommission prüften regelmäßig die Gesetzentwürfe der Regierung, änderten sie ab, verlangten Nachbesserungen im Text oder bei der Implementation und wurden so zu einer Art Über-Regierung Griechenlands. Dies führte zur absurden Situation, dass (ungewählte) Beamte (gewählten) griechischen Ministern en Detail vorschrieben, wie Gesetze auszusehen hätten und welche Regelungen akzeptabel seien.

In der Folge distanzierten sich alle griechischen Regierungen vom sogenannten Reformprogramm. In Beamtenschaft und Bevölkerung wuchs der Widerstand gegen das Diktat von außen. Zugleich diente die Troika besonders den Regierungen aus ND und PASOK als Blitzableiter für den Unmut, den das drastische Kürzungsprogramm bei den Bürgern verursachte. So konnte in Griechenland ein Diskurs überhand gewinnen, der die Schuld an der aktuellen Lage einseitig dem Krisenmanagement zuschob, dabei aber die Ursachen der Krise weitgehend aus den Augen verlor.

Dabei blieb auch jedes griechische Ownership für die Veränderung des Landes auf der Strecke. Keine Partei machte sich zumindest den Teil der Reformen zu eigen, der dazu beigetragen hätte, die „inneren Defizite“ (Alexis Tsipras in Berlin) Griechenlands zu beheben und aus dem Land das zu machen, was jeder Politiker in Athen seit Jahrzehnten verspricht: „Ein normales europäisches Land“. Damit sind vor allem die in Deutschland immer wieder bemühten Strukturreformen gemeint, die in der Substanz langfristig angelegte Veränderungsprozesse meinen, wie die Erfassung des Landbesitzes in einem Kataster, die qualitative Reform des öffentlichen Dienstes und des Justizwesens und auch die Verbesserung des Systems der öffentlichen Gesundheit. Prozesse, die vor allem den Bürgern Griechenlands zugutekommen, allerdings in der ersten Phase eher Kosten verursachen und damit in der Priorität der Troika weiter hinten angesiedelt waren.

Die griechische Regierung sollte den Reformprozess in die eigenen Hände nehmen und dabei ihre politischen Prioritäten umsetzen dürfen. Dafür wurde sie schließlich gewählt.

So wurde der eigentlich erwünschte Prozess der Veränderung sabotiert und ein Teil der Ziele selbstverschuldet verfehlt. Hier muss ein Neuansatz gefunden werden. Die griechische Regierung sollte den Reformprozess in die eigenen Hände nehmen und dabei ihre politischen Prioritäten umsetzen dürfen. Dafür wurde sie schließlich gewählt. Gleichzeitig haben jedoch auch die europäischen Gläubiger einen legitimen Anspruch darauf, diesen Prozess einsehen zu können. Die Lösung bietet eine Zielvereinbarung mit der griechischen Regierung über die Ausrichtung der Reformen, ohne europäisches Mikromanagement.

Als Ausgleich für diese freie Hand muss Athen volle Transparenz für die europäischen Partner herstellen, was die eigenen Wirtschaftsdaten und sozialen Indikatoren betrifft. So könnten die „Institutionen“ den Reformprozess im Auge behalten und gegebenenfalls im Dialog mit der griechischen Regierung nachsteuern. Kurz nach der Erfahrung mit den sprichwörtlichen Greek Statistics bedarf es hierbei jedoch eines innovativen Ansatzes, um auf Seite der Gläubiger das Vertrauen in die griechischen Daten zu gewährleisten. Hier hilft nur Transparenz, die sich auch gegenüber den eigenen Bürgern positiv auszahlen kann.

 

Beide Seiten haben Recht

Der letzte Aspekt betrifft die Kommunikation. Die Beurteilung des bisherigen Reformprozesses ist ein enormes Hindernis. Während die eine Seite betont, dass die Reformen erfolgreich waren und fortgesetzt werden müssen, hebt Athen das Scheitern dieser Politik in den Vordergrund. Das Absurde ist, dass beide Seiten Recht haben. Die „Institutionen“ sehen einseitig die Aspekte der Haushaltskonsolidierung und der Ausgabenkürzung, die spektakulär erfolgreich waren. SYRIZA dagegen betont die sozialen Auswirkungen dieser Politik, die mit immens hoher Arbeitslosigkeit und einem Abrutschen vieler Menschen in die Armut ebenso unbestritten vorhanden sind. Die Wahrheit liegt, ganz wie bei Aristoteles, in der Mitte. Das Programm hat seine kurzfristigen Ziele erfüllt, der griechische Haushalt ist konsolidiert, das mittel- und langfristige Ziel, die griechische Wirtschaft auf die Beine und auf einen Wachstumskurs zu bringen, ist krachend gescheitert. Beide Seiten würden sich daher einen Gefallen tun, indem sie diese beiden Seiten der Medaille anerkennen. Nur so kann man die Diskussion über ein drittes Programm und dessen Wachstumskomponente an einem gemeinsamen Ausgangspunkt beginnen.