Moderner Populismus speist sich aus Globalisierungsfeindlichkeit, einer antiliberalen und antiemanzipatorischen Haltung und genereller Demokratie- und Institutionenfeindlichkeit. Doch es sind ausgerechnet dies Positionen, auf die die Sozialdemokratie gute Antworten finden kann.

Sprachlich taucht moderner Populismus im Gegensatzpaar „Die da oben, wir als Volk“ und einzelnen Begrifflichkeiten wie „Altparteien“ auf. Es geht dabei darum, den etablierten Parteien grundsätzlich ihre Handlungsfähigkeit abzusprechen und einen Keil zwischen die Beteiligten zu treiben.

Eigentlich sind die Sozialdemokraten zu großer Geschlossenheit in der Lage - historisch gesehen. Die „Wir-Erzählungen“ der vergangenen 150 Jahre hatten sich zwar stark verändert („Wir Arbeiter“, „Wir Arbeitnehmer“, „Wir als Volkspartei“), übten aber eine große Anziehungskraft aus.

Es war jedoch ausgerechnet die Globalisierung, die diese Tradition des Wir-Gefühls atomisierte. Das Zusammenrücken der Welt ist ein komplexer Prozess, der in Deutschland - wie selten zuvor - Verlierer und Gewinner gleichermaßen produziert. Der internationale Wettbewerb um niedrige Löhne macht vor Deutschland nicht halt. Arbeiter in der Exportindustrie profitieren, müssen sich aber an viel dynamischere Marktverhältnisse gewöhnen.

Die Aufgabe unserer sozialdemokratischen Generation ist es, Ökonomie und Solidarität klug zu verheiraten.

Genau hier liegt aber auch die große Chance der Sozialdemokraten. Noch nie hat unsere Partei in ihrer Geschichte die Meinung vertreten, bei unserem Land als Nation und bei Deutschland als Teil eines vereinten Europas handele es sich lediglich um eine Wettbewerbsgemeinschaft. Wir haben nicht an die „Optimierung der Marktkräfte“ geglaubt, sondern an echten Interessenausgleich und ja, auch an Umverteilung.

In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wirkte diese Position altbacken, auch in Teilen der Sozialdemokratie. Heute, bei fortschreitender Globalisierung, ist sie aktueller denn je. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dürfen nicht zulassen, dass Politik nur dazu da ist, den Wettbewerb unter den Menschen national und global möglichst funktional zu gestalten. Diese Haltung verzeihen die Wählerinnen und Wähler den sozialdemokratischen Parteien nicht - wie man in vielen Teilen Europas schon jetzt sehen kann. Eine solche Haltung wird zudem für eine weitere Entfremdung zwischen Populisten und demokratischen Institutionen sorgen.

Die Aufgabe unserer sozialdemokratischen Generation ist es, Ökonomie und Solidarität klug zu verheiraten. „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“ - mit diesen Worten hat der der französische Sozialist Jacques Delors den Binnenmarkt in seiner frühen Form charakterisiert. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass viele Konservative vor der Krise der Jahre 2007 und 2008 Delors für diese Analyse belächelten. Der Binnenmarkt sei von sich aus so erfolgreich, dass ihn alle wollten, dachten sie.

Heute, eine Finanzkrise später und mit antidemokratischen Populisten in den Parlamenten überall in Europa, wissen wir, dass Delors Recht hatte. Das Narrativ der Wettbewerbsgemeinschaft funktioniert weder für Europa, noch für die einzelnen Mitgliedsstaaten aus sich selbst heraus - vermutlich hat es isoliert auch noch nie funktioniert, erst recht aber nicht in den Zeiten der Globalisierung, Digitalisierung und Vernetzung. Im Gegenteil: Wettbewerb pur nährt jene Eliten- und Demokratiefeindlichkeit, jenen Rassismus und Isolationismus (siehe Brexit), den wir alle fürchten. Irrational, ja, aber erklärbar.

Was ist also zu tun? Wir müssen dafür sorgen, dass es bei Wahlen in der politischen Auseinandersetzung nicht nur um Wettbewerbsoptimierung, sondern um wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen geht. Für den Wähler müssen die Konsequenzen seiner Entscheidung nachvollziehbar sein. Entscheidet er sich für die CDU/CSU, müssen ihm die wirtschaftspolitischen Konsequenzen klar sein, ebenso wie im Fall der SPD. Nur so wird man Wähler davon überzeugen, dass es sich lohnt zu wählen und dass „die da oben“ demokratisch um die besten Alternativen für unser Land und Europa ringen.

Sozialpolitisch dürfen wir nicht zulassen, dass Menschen einfach zu „Opfern des Marktes“ werden. Wer Kinder erzieht, bekommt mehr Rente. Wer Verwandte pflegt, bekommt auch mehr Rente.

Das bedeutet für die Sozialdemokraten, dass sie noch intensiver als bisher schon die Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit der CDU/CSU suchen müssen. Natürlich müssen sie auch auf den Feldern des Klimaschutzes, der Migration, und der Integration eigene zukunftsorientierte Positionen entwickeln. Aber die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist das Feld der SPD. Hier kann sich die Sozialdemokratie vom Konservatismus abgrenzen. Hier kann sie zeigen, dass es sich lohnt, zur Wahl zu gehen. Hier kann sie zeigen, dass das Argument von „die da oben“, das die Populisten meisterlich beherrschen, falsch ist.

Strategisch formuliert: Die Herausforderung besteht für die SPD darin, ihre wirtschaftspolitischen Positionen mit einer neuen Wir-Erzählung zu verbinden. Die alte „Wir-Arbeiter-Story” funktioniert nicht mehr, ebensowenig wie das Arbeitnehmer-Narrativ. Zu differenziert ist die Arbeitswelt. Gut verdienende Industriearbeiter, die gewerkschaftlich sehr gut vertreten sind stehen neben Soloselbständigen, Geringverdienern im Dienstleistungssektor oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Sorge haben, dass die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz wegrationalisiert.

Die SPD sollte eine neue Wir-Erzählung zum Zentrum ihrer Position machen. Sie muss zwei Dinge leisten:

Erstens muss sie sich von populistischen, rassistischen Wir-Erzählungen grundsätzlich unterscheiden. Deshalb verbieten sich Kompromissformeln wie „Es kann nicht jeder kommen“ bei Migrationsfragen. Mit solchen vereinfachenden Formulierungen gewinnt man gegen die Populisten nichts.

Zweitens: Die eigene Wir-Erzählung muss jene Menschen ansprechen, die wirklich die Hilfe der SPD brauchen und sie deshalb auch wählen könnten und werden. Das sind diejenigen, die schon heute trotz großer Anstrengungen kein auskömmliches Leben führen und die, denen es zwar besser geht, aber die sich darum sorgen, dass ihre Anstrengungen allein in Zukunft wegen technischen Fortschritts und Globalisierungseffekten nicht ausreichen werden. Diese wirtschaftspolitische Auseinandersetzung muss in der Mitte des politischen Spektrums stattfinden. Es geht darum, die Gegensätze zur CDU/CSU zu betonen.

Die SPD muss im Ergebnis eine weltoffene Partei sein und bleiben. Sie muss auch in Zukunft eine politische Heimat für diejenigen sein, die sich einerseits anstrengen und andererseits Solidarität erwarten, wenn es mal nicht so gut läuft. Egal ob sie Mann, Frau, Angestellte, Arbeiter, Moslem oder katholisch sind. Unsere Wir-Erzählung sollte Weltoffenheit, persönliche Leistung und Solidarität miteinander verbinden. Wirtschaftspolitisch sollten wir - gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung - die Partei der hohen Löhne sein. Einen globalen Wettbewerb über niedrige Löhne in Deutschland und Europa darf es mit uns nicht geben. Produktivitätssteigerungen? Ja, aber nicht über niedrigere Löhne, sondern über Bildung, Qualifizierung und Ausbildung - die auch staatlich finanziert werden müssen. Wir müssen uns für einen Mindestlohn einsetzen, der hoch genug ist, damit Rentner nicht zu Sozialfällen werden.

Sozialpolitisch dürfen wir nicht zulassen, dass Menschen einfach zu „Opfern des Marktes“ werden. Wer Kinder erzieht, bekommt mehr Rente. Wer Verwandte pflegt, bekommt mehr Rente. Und: Wer länger eingezahlt hat, bekommt auch mehr Rente. Selbst dann, wenn das Einkommen dabei sehr niedrig war, weil wir die Anstrengung belohnen wollen - nicht den Marktwert.

Mit dieser Wir-Erzählung unterscheiden wir uns fundamental von der CDU/CSU und der FDP. Wir fordern damit etwas von den Menschen, etwa lebenslanges Lernen. Aber wir lassen sie mit der Globalisierung nicht allein.