Nach gerade einmal zwei Monaten ist die rot-grüne Minderheitsregierung in Schweden am Ende. Gleich nach der Abstimmungsniederlage über den Haushaltsentwurf traten der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven und der Grünen-Vorsitzende Gustav Fridolin vor die Presse: Rot-Grün werde die nötigen Regierungsgeschäfte weiterführen aber Ende Dezember Neuwahlen ausrufen. Als Termin kursiert der 22. März. Dies ist ein fast beispielsloser Fall. Neuwahlen gab es in der neueren schwedischen Geschichte bislang nur einmal – im Jahr 1958. Dass sich die schwedische Demokratie in einer derartigen Krise befindet liegt vor allem an drei Entwicklungen.

Erstens: An der Krise der Sozialdemokraten. Die SAP hat ihre hegemoniale Position verloren. Die Wahlniederlagen 2006 und 2010 haben zu einer tiefen Verunsicherung geführt. Zwar wurden sie bei den Reichstagswahlen am 14. September wieder zur stärksten politischen Kraft, doch hatte sich die Partei weit mehr als die gut 31 Prozent erhofft. Im historischen Rückblick war es das drittschlechteste Ergebnis seitdem sich die Partei 1911 an den Reichtagswahlen beteiligt.

Zweitens: An den bürgerlichen Parteien. Sie schlossen sich im Vorlauf der Wahlen unter Federführung der konservativen Moderaten zu einem Allianzbündnis zusammen. Mit dieser erfolgreichen Blockbildung hebelten sie die Sozialdemokraten als traditionell stärkste Fraktion im Parlament aus. In der Vergangenheit hatte die SAP es immer wieder geschafft, als größte Partei ihren Führungsanspruch auch in Form einer Minderheitsregierung durchzusetzen und sich dann blockübergreifend eine parlamentarische Unterstützung zu organisieren.

Dies ist ein fast beispielsloser Fall. Neuwahlen gab es in der neueren schwedischen Geschichte bislang nur einmal – im Jahr 1958.

Drittens: An den Rechtspopulisten. Mit dieser Blockbildung wurden die rechtspopulitischen Schwedendemokraten zum Zünglein an der parlamentarischen Waage – zumal die bürgerlichen Parteien auf die Kooperationsangebote der rot-grünen Regierung nicht eingingen. Das Erstarken der Schwedendemokraten destabilisiert damit das bisherige kooperative politische System. Scheiterte die Partei 2006 noch knapp an der Vierprozenthürde, schaffe sie 2010 mit 5,7 Prozent erstmals den Einzug in den Reichstag. Im September verdoppelte sie ihren Stimmenanteil auf fast 13 Prozent. Als Dreh- und Angelpunkt gilt ihre Kritik an der Einwanderungspolitik. Pro Kopf nimmt Schweden in Europa die meisten Flüchtlinge auf. Wie in den anderen nordischen Ländern auch, ist der erfolgreiche Rechtspopulismus jedoch erheblich breiter aufgestellt. Er vermag mit seiner Mischung aus Kritik an der Migrationspolitik und den politischen Eliten sowie seiner Anti-Europa-Rhetorik und einem guten Schuss Sozialpopulismus auch im sozialdemokratischen Wählerreservoiren zu wildern.

Wie geht es weiter? Es ist fraglich, ob die Neuwahlen wirklich Klarheit schaffen werden oder ob das Dilemma nur fortgesetzt wird. Nimmt man die jüngsten Umfrage vom November, so haben sich SAP und Umweltpartei zwar leicht um zwei Prozentpunkte verbessert, an den Sitz- und damit Mehrheitsverhältnissen würde sich jedoch im Grundsatz nichts ändern. Sozialdemokraten und Grüne gehen als Parteien getrennt in den Wahlkampf. Gemeinsames Ziel ist die Fortführung der Politik der rot-grünen Koaltion wie sich sich im Koalitionsabkommen und dem vorgelegte Haushalt spiegelt.

 

Zwei Prozent für Fortsetzung der Minderheitsregierung

Erste Umfragen belegen, dass eine Mehrheit den Beschluss zu Neuwahlen begrüßt. Gefragt nach den Koalitionspräferenzen sprechen sich allerdings derzeit nur zwei Prozent für eine Neuauflage der rot-grünen Minderregierung aus. Das zeigt ganz deutlich, dass das Regierungsmodell der rot-grünen Minderheitsregierung bislang nicht überzeugen konnte. 14 Prozent sähen gerne die Linkspartei mit an Bord, 19 Prozent möchten eine Neuauflage der bürgerlichen Allianz und 26 Prozent plädieren für eine blockübergreifende Koalition unter Führung der Sozialdemokraten.

Ob es dazu kommt, ist natürlich offen. Doch als Parteien sind die rot-grünen Koalitionäre besser für die Wahlen gerüstet als die Opposition:

  • Ministerpräsident Reinfeldt war nach den Wahlverlusten seiner Moderaten nicht nur als Ministepräsident, sondern auch als Parteivorsitzender zurückgetreten. Auch andere Führungsfiguren wie der populäre Finanzminister Borg haben sich zurückgezogen. Als aussichtsreichste Kandidatin für seine Nachfolge gilt die 44 jährige Fraktionsvorsitzende Anna Kinberg Batra. Sie positionierte sich bislang als Sachwalterin der liberalen Reinfeldt-Linie.
  • Von den kleineren Allianzparteien müssen vor allem die Christdemokraten um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen. Bei den oben erwähnten Novemberumfragen kamen sie nur noch auf 3,7 Prozent und würden damit an der Vierprozenthürde scheitern. Mehr noch würde die Vorsitzende der Zentrumspartei den Moderaten nur zu gerne den Führungsanspruch in der Allianz streitig machen.
  • Die Rechtspopulisten haben aus dem medienwirksamen Spektakel der letzten Wochen um ihr Verhalten bei Haushaltsabstimmung nur wenig Profit schlagen können. Sie liegen aber weiter stabil zwischen 12 bis 13 Prozent. Ihr personelles Handikap: Parteichef Jimmie Åkesson, der mit seinem Saubermannimage viel für die breitere Akzeptanz der traditional tief rechtslastigen Bewegung getan hat, ist seit Oktober mit burn out krank geschrieben.

Im März ist ein also Lagerwahlkampf zu erwarten. Werden die bürgerlichen Parteien offen mit den Schwedendemokraten paktieren? Hier haben vor allem die liberale Volkspartei sowie die Christdemokraten – noch – Berührungsängste. Oder: Sind die kleineren bürgerlichen Parteien nach den Neuwahlen bereit, den festen Block der bürgerlichen Allianz zu verlassen und eine sozialdemokratische Minderheitsregierung (eventuell dann ohne die Grünen) zu unterstützen?