Was springt für uns dabei raus? – Diese Frage stellen sich die Menschen in Vittangi, seit bekannt wurde, dass das australische Bergbauunternehmen Talga in ihrer Nähe, in Nunasvaara in der arktischen Region Schwedens einen Grafit-Tagebau eröffnen will. Das möglicherweise riesengroße – als Tagebau betriebene – Bergwerk liegt direkt an den Ufern des gewaltigen Flusses Torne, vom Dorf aus gesehen stromaufwärts. In dieser atemberaubenden Berglandschaft etwa 170 Kilometer nördlich des Polarkreises will Talga in den nächsten 25 Jahren jährlich 100 000 Tonnen Grafit abbauen.

Das Unternehmen argumentiert, dass der Grafit, der hier abgebaut werden soll, eine wesentliche Ressource für die Energiewende sei: Seine einzigartige Schichtstruktur mache ihn zu einem attraktiven Material für Lithium-Ionen-Batterien, die für Elektroautos und andere Fahrzeuge sowie für Speichersysteme für erneuerbare Energien gebraucht würden. Der Planet werde davon profitieren – aber auch Vittangi?

Das Unternehmen verspricht, vor Ort rund 60 Menschen einzustellen. Aber abgesehen davon bekommt die nahe gelegene Gemeinde kaum etwas ab – außer natürlich Staub, Lärm, möglicherweise Boden- und Wasserverschmutzung und die Störung uralter Rentierpfade. Trotz der Versprechen von Talga, das Unternehmen werde die „international bewährtesten Verfahren zur Renaturierung“ anwenden, wenn es in einem Vierteljahrhundert die Gegend wieder verlässt, befürchtet Vittangi, dass am Ende doch nichts als Kiessäulen, Abraumhalden und eine zerstörte Landschaft bleiben.

Die Bergbauunternehmen zahlen fast gar nichts für das, was sie abbauen.

Schweden ist vielleicht eine Extremfall: Der Bergbau wird nur minimal besteuert, weshalb die Gemeinden außer den wenigen Arbeitsplätzen kaum Vorteile von der Mineralstoffgewinnung vor ihrer Haustür haben – ganz egal, wofür diese Mineralien genutzt werden. Die schwedischen Körperschaftssteuern sind niedrig: Bergbauunternehmen müssen lediglich eine vergleichsweise geringe Abgabe in Höhe von 0,2 Prozent auf den Wert des abgebauten Erzes zahlen. Davon gehen 0,15 Prozent an den Grundbesitzer und 0,05 Prozent an den Staat. Die Gemeinde geht leer aus.

Das Ganze sieht dann so aus: Die Bergbauunternehmen zahlen fast gar nichts für das, was sie abbauen. Im Gegenzug wird erwartet, dass sie vor Ort durch die Schaffung von Arbeitsplätzen für Einkommen sorgen. Das in Bergwerken oder im Tagebau abgebaute Erz ist für immer aus dem schwedischen Boden verschwunden – es sind endliche und erschöpfbare Ressourcen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ein staatliches Bergbauunternehmen wie die schwedische LKAB den unterirdischen Reichtum abgreift, oder ein privates Unternehmen wie die australische Talga.

Von den Bergbauunternehmen wird erwartet, dass sie die Reichtümer, die sie aus der Erde holen, quasi durch die Löhne der Beschäftigten bezahlen. Damals, als im Bergbau noch viele Arbeitskräfte gebraucht wurden, war das auch eine gute Abmachung. Heute funktioniert dieses System aber nicht mehr. Grund dafür ist die Mechanisierung und Automatisierung. Im riesigen LKAB-Bergwerk Kiirunavaara, gleich nördlich von Vittangi, wurden Vorschlaghammer und Schaufeln schon vor langer Zeit durch gigantische mechanische Radlader ersetzt. Die größten haben eine Nutzlastkapazität von 25 Tonnen und können neun Kubikmeter auf einmal aufnehmen. Sie werden per Fernbedienung gesteuert, eine Arbeitskraft kann mehrere Maschinen gleichzeitig bedienen. Der Berg wurde bis zur Unkenntlichkeit ausgeschabt und ausgehöhlt – und das trifft auch für den manuellen Arbeitsanteil im Bergbau zu. Die wenigen verbliebenen Arbeitsplätze sind zwar sehr viel sicherer und weitaus besser bezahlt als früher, aber werden kaum mit den Menschen vor Ort besetzt. Maschinen ersetzen seit langem die Arbeiter und Maschinen zahlen keine Gemeindesteuern.

Und das ist nicht das einzige Problem. Viele der Beschäftigten in der Bergbauindustrie zahlen ihre Einkommenssteuer nicht am Arbeitsort. Als die Stadt Kiruna 1898 gegründet wurde, gab es die Wörter „einfliegen“ und „ausfliegen“ noch gar nicht, heute aber pendeln laut Aussage des Bürgermeisters Mats Taaeveniku einige Tausend Menschen jede Woche mit dem Flugzeug nach Kiruna. Sie zahlen ihre Steuern andernorts – fliegen also im wahrsten Sinne des Wortes mit ihren Gewinnen aus dem Bergbau davon. Das gilt auch für die Bereiche Technik, Verwaltung und Management der LKAB. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in der Küstenstadt Luleå und einige der bestbezahlten leitenden Angestellten haben ihre Büros im World Trade Center Stockholm.

Das fossile Grafit, das Talga abbauen will, könnte sich als Umweg für die Energiewende erweisen.

Dieses Bergwerk ist unglaublich ergiebig – es enthält vermutlich eines der größten Eisenerzvorkommen der Welt – und doch hat die Gemeinde Schulden in Höhe von über 200 Millionen Euro. Der Vorsitzende des Gemeinderats kam zu einer offensichtlichen Schlussfolgerung: Für die Stadt Kiruna ist es nicht zumutbar, dem Rest Schwedens und der Welt Wohlstand zu liefern, während sie sich nicht einmal die Grundversorgung ihrer eigenen Bewohner leisten kann. Als Talga die Gemeinde Anfang des Jahres drängte, die nötigen Genehmigungen zu erteilen, damit das Unternehmen mit dem Bergbau in Nunasvaara beginnen könne, verlor der Bürgermeister daher die Geduld und legte das gesamte Genehmigungsverfahren auf Eis.

Und das war eine gute Entscheidung. Denn das fossile Grafit, das Talga abbauen will, könnte sich als Umweg für die Energiewende erweisen – das Forstunternehmen Stora Enso entwickelt gerade ein alternatives Material, das auf Rohstoffen aus dem Wald basiert. Gerade weil Talgas Geschäftstätigkeit als Teil des Übergangs dargestellt wird, ist es entscheidend, dass auch die Gemeinde vor Ort davon profitiert.

Überall in Europa sind Gemeinden dabei, ihren Weg zu einem gerechten Übergang zu finden. In der finnischen Region Pohjois-Pohjanmaa erheben die Gemeinden eine Grundsteuer für Windkraft-Unternehmen und haben ein System mit „Dorf-Gutscheinen“ ausgehandelt, um sicherzustellen, dass ein Anteil der Unternehmensgewinne vor Ort investiert wird. Durch ein beeindruckendes Modell, das unter anderem die Verpachtung lokaler Grundstücke an Windparks beinhaltet, hat sich der deutsche Rhein-Hunsrück-Kreis westlich von Frankfurt am Main von einer bettelarmen zu einer prosperierenden Region entwickelt. Auf der dänischen Insel Bornholm ersetzt der innovative Industriepark GreenLab die in der Finanzkrise von 2008 verloren gegangenen Arbeitsplätze mit nachhaltigen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Elon Musks elektrische Teslas sind vielleicht von großem Wert für die Energiewende, aber das kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern zu ignorieren oder sich zu weigern, einen Tarifvertrag zu unterzeichnen. Die Energiewende muss sozial gerecht eingebettet werden – egal ob bei Tesla oder Talga.

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Ina Goertz