Am Mittwoch, dem 10. März 2023, brach die Silicon Valley Bank (SVB) zusammen. Nur 48 Stunden vergingen zwischen der Ankündigung der Schwierigkeiten der Bank und der Räumung sämtlicher Konten durch die Anlegerinnen und Anleger. Hauptursache waren nicht faule Kredite wie in der Finanzkrise 2008. Die SVB hatte ihr Geld nicht in hoch riskante Anlagen gesteckt, sondern in als sicher geltende amerikanische Staatsanleihen. Die rasch steigenden Zinsen, verordnet im Rahmen der Inflationsbekämpfungspolitik der US-amerikanischen Zentralbank (FED) führten bei Anleihen zu Kursabschlägen. Diese mussten deshalb realisiert werden, weil die SVB-Kunden, die vorher Überschussliquidität hatten, Liquidität brauchten und die SVB zu Kursabschlägen verkaufen musste, um die Liquidität zu beschaffen.

Orchestriert wurde der SVB-Konkurs von der Abwicklung der Silvergate Bank und der Signature Bank. Der Notverkauf der Schweizer Großbank Credit Suisse fachte die Sorge eines Überschwappens auf den gesamten Bankensektor an. Ihre drohende Insolvenz konnte nur mit massivem Staatseingriff abgewendet werden.

Handelt es sich bei den einen um „dunkle Flecken in der Bankenaufsicht“, wie es der Deutsche-Bundesbank-Chef formuliert, sind die anderen Opfer der Geldpolitik der Zentralbanken. Nahezu wöchentlich stellen Chefvolkswirte von EZB und nationalen Notenbanken weitere Zinsschritte in Aussicht. Seit Juli 2022 wurden die Zinsen bereits sechsmal angehoben. Die Bank of England erhöhte ihren Zinssatz im Februar zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten, die FED ebenso. Dennoch ist die Inflation in der EU nach wie vor mehr als dreimal höher als das Zwei-Prozent-Ziel des Europäischen Zentralbankensystems. Die Kerninflation steigt stetig. Das könnte ein Indikator sein, dass die Inflation länger anhält als bisher gedacht.

Die Kerninflation steigt stetig. Das könnte ein Indikator sein, dass die Inflation länger anhält als bisher gedacht.

Was steckt hinter dieser quijotesk anmutenden Strategie? Steigende Zinsen bedeuten Wertverlust von Anleihen, die sich im Markt befinden. Mitgliedstaaten sehen sich also wegen der zunehmenden Zinslast bei Neuverschuldung sowie wegen des Verlusts der Anleihenwerte mit weiter steigenden Staatsschulden konfrontiert. Offenbar geht die EZB davon aus, dass ein Abweichen vom Zinsanhebungspfad als Sorge um ihre Banken interpretiert werden könnte. EZB-Vertreter werden deshalb nicht müde zu versichern, dass Europas Banken solide Kapital- und Liquiditätspositionen ausweisen. Für den September 2023 wird der Zinsgipfel mit vier Prozent Leitzins in Aussicht gestellt.

Auch wenn Einverständnis darüber besteht, dass Inflationsraten gesenkt werden sollten, so scheint dies im Moment einseitig zu heißen: Preiskontrollen sind gut, gelten aber nur für den Faktor Arbeit als angemessen. So forderte der Gouverneur der Bank of England die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf, von Forderungen nach Lohnerhöhung abzusehen. Ganz nach dem Grundsatz: „Die Arbeiterinnen und Arbeiter sollen leiden, während ich in meinem Schloss voller Goldbarren sitze.“ Die Zinserhöhung soll die Inflation einfangen und niedrige, stabile Preise bewirken. Der Privatsektor soll finanziell gestärkt werden, niemand will einen Finanzkollaps à la 2008. Doch: Die Arbeitslosigkeit könnte steigen, trotz kolportiertem Fachkräftebedarf. Steigende Zinsen bergen jedenfalls das Risiko, dass die Arbeitslosigkeit mittelfristig steigen und der Lebensstandard sinken könnte.

Steigende Zinsen bergen das Risiko, dass die Arbeitslosigkeit mittelfristig steigen und der Lebensstandard sinken könnte.

Richtigerweise müsste man nicht fragen, ob die Zinserhöhungen zu einer Abkühlung des Wirtschaftswachstums und damit zu einem Rückgang der Inflation führen, sondern vielmehr, ob dadurch die Inflation im Arbeitsmarkt verstärkt oder abgeschwächt wird. Verstärkt wird sie, wenn die Antwort auf Preiserhöhungen Lohnerhöhungen sind, es also zu der sogenannten „Lohn-Preis-Spirale“ kommt, die man in den 1970er Jahren beobachten konnte. Eine solche Korrelation ist nicht erkennbar. Vielmehr hinken die Löhne hinter den Preiserhöhungen her, das heißt somit, die Beschäftigten können ihre Realeinkommen nicht schützen.

Denn die Inflation hat ihre Ursachen außerhalb des Arbeitsmarkts. Der Ökonom Joseph Stieglitz zeigt in seiner Studie, dass es sich bei der derzeitigen Inflation eindeutig um eine angebots- und gewinngetriebene Inflation handelt, die zurückzuführen ist auf Lieferkettenschwierigkeiten und sektorspezifische Verknappung von Energie und Agrarprodukten, verursacht durch die Pandemie und den Ukrainekrieg. Vor diesem Hintergrund kann die Geldpolitik der Zentralbanken nicht greifen: „Nur weil die FED einen Hammer besitzt, sollte sie ihn nicht benutzten, um die Wirtschaft zu zertrümmern“, so Stiglitz und Ira Regmi.

Ein Eindämmen der Energiepreise würde die Inflation senken. Wir haben es also mit einer Preis-Gewinn-Spirale zu tun.

Bei einer Verknappung des Angebots bremsen höhere Zinsen die nötigen Investitionen. Die Ökonomin Grace Blakeley schreibt: „manchmal ist die Kur, wonach Arbeitslosigkeit als das notwendige Übel in Kauf zu nehmen ist, schlechter als die Krankheit selbst“. So zeigt die Studie aus 2022 Who killed the Philips Curve? A Murder Mystery, dass in den 1970er Jahren 87 Prozent des Inflationsrückgangs nicht auf die Zinspolitik, sondern auf die Repression der Gewerkschaften zurückzuführen war. Vielmehr sind die wachsenden Gewinnmargen der Unternehmen – also Zufallsgewinne – und die hohen Energiepreise Treiber der Inflation. Ein Eindämmen der Energiepreise würde die Inflation senken. Wir haben es also mit einer Preis-Gewinn-Spirale zu tun.

Hier lässt sich mit reiner Geldpolitik wenig ausrichten. Trotzdem folgen die Zentralbanken der reinen Lehre der Geldpolitik, wonach die Zinspolitik die Inflation reguliert. Das Abwürgen von notwendigen Investitionen zur Transformation der Wirtschaft und zum Ausbau Grüner Energien wird als in Kauf zu nehmender Kollateralschaden definiert. Neben den indirekten Auswirkungen wirken sich hohe Zinsen auch direkt verstärkend auf bestehende Ungleichheiten aus. Geringvermögende besitzen mehr Verbindlichkeiten als Vermögenswerte und werden deshalb von hohen Zinsen benachteiligt.

Die Zentralbanken erschweren notwendige Investitionen durch den nahezu zerstörerisch anmutenden Zinsanhebungskurs. Geschichte wiederholt sich selten, aber sie reimt sich: Durch eine derartige Achterbahnfahrt – von der Draghi’schen expansiven Geldpolitik („whatever it takes“) mit Null- bis Negativzinsen zu einer an den „Volcker-Schock“ erinnernden Zinserhöhungspolitik – leidet die Investitionssicherheit und das Vertrauen in die Banken. Denn steigende Inflationsraten, ein Krieg und hohe Energiepreise bilden eine ähnliche Ausgangslage wie in den 1970er Jahren, als die Welt in eine tiefe Rezession stürzte. Der Schocktherapie zur Inflationsbekämpfung fehlte es damals an Maß und Mitte. Die EZB sollte daher einen innovativen Weg gehen, der besser ausbalanciert ist.

Mit ihren geldpolitischen Instrumenten kann die EZB die strukturellen Probleme der Länder der Eurozone nicht lösen und die Unvollständigkeiten der Währungsunion nicht ausgleichen.

Denn mit ihren geldpolitischen Instrumenten kann sie die strukturellen Probleme der Länder der Eurozone nicht lösen und die Unvollständigkeiten der Währungsunion nicht ausgleichen. Die Integration der Geldpolitik des Euroraums reicht nicht aus, um die Stabilität des Währungsgebiets – mit starker fiskalischer Dezentralisierung, mit wirtschaftlichen Gegensätzen und politischer Fragmentierung – zu gewährleisten. Immerhin ist das Mandat der EZB bereits in einigen Punkten modernisiert worden, so beim Klima. Dieses Thema wird seit kurzem bei der Bewertung der Finanzstabilität oder bei der Wirksamkeit der Geldpolitik berücksichtigt. Anders als bei der FED spielt jedoch die Beschäftigungslage keine Rolle.

Schwierig bis unmöglich scheint es hingegen, einen Kompromiss unter den EU-Mitgliedsländern zur Änderung der EU-Verträge dahingehend zu finden, dass nicht nur die Preisstabilität das Hauptziel der Geldpolitik ist. Allerdings soll das Mandat der EZB angesichts des sich verändernden wirtschaftlichen Umfelds regelmäßig überprüft werden. Diese Evaluierung der geldpolitischen Strategie der EZB in der Zukunft ist begrüßenswert.

Ergänzt werden muss dies mit gut kalibrierter Fiskalpolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Die EU-Aufbau- und Resilienzfazilität könnte den Nukleus einer zukünftigen, gemeinsamen Fiskalpolitik bilden. Der Grundsatz, Preiskontrollen sind in Ordnung – aber nur für die Beschäftigten anlässlich von Kollektivvertragsverhandlungen –, ist für Gewerkschaften nicht mehr hinnehmbar.

Preiseingriffe und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen gegen überhöhte Preise durch missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht im gesamten Rohstoffbereich – Mineralöl, Gas, Grundnahrungsmittel – sind das Mittel der Wahl. Denn: In Mitgliedstaaten, die direkte Preiseingriffe vornahmen, ist die Inflation deutlich niedriger als in Ländern, in denen hauptsächlich auf einkommenswirksame Maßnahmen gesetzt wird. Österreich hat lediglich bei den Strompreisen direkt gebremst. Der Rest der Unterstützungsmaßnahmen geht auf einkommenswirksame Instrumente zurück, wie zum Beispiel Einmalzahlungen. Es ist mit 25 Prozent preiswirksamen Instrumenten das Schlusslicht der Eurozone, hingegen „Sieger“ bei der Inflationsrate, die nach wie vor bei rund neun Prozent liegt. Frankreichs Inflationsquote liegt bei sieben Prozent bei 92 Prozent preiswirksamen Maßnahmen. 

Eine innovative statt orthodoxe Geldpolitik mit Schwerpunkt auf Investitionsförderung und Beschäftigung ist das eine. Ergänzt werden muss diese durch ordnungspolitische Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten, durch Gaspreisdeckel, Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis, Mietendeckel und vor allem durch eine Abschöpfung der Übergewinne – sowohl im Rahmen des Wettbewerbsrechts als auch durch eine wirksame Übergewinnsteuer.