Das exponentielle Wachstum internationaler Kapitalströme, vor allem in Form von Schulden, ist eine der großen Entwicklungsleistungen der letzten 50 Jahre. Doch obwohl Auslandskredite für die Entwicklungsländer eine zentrale Rolle gespielt haben, sind sie ein zweischneidiges Schwert. Wenn sie richtig eingesetzt werden, können sie hohe Renditen abwerfen, das Wachstum des BIP ankurbeln und den Wohlstand der kreditnehmenden Länder steigern. Wenn sich jedoch Schulden anhäufen und die Belastung durch den Schuldendienst steigt, ohne dass die Rückzahlungsfähigkeit entsprechend zunimmt, kann dies schwerwiegende und sogar katastrophale Folgen haben.
Während der Covid-19-Pandemie zum Beispiel sahen sich viele Länder mit einem dramatischen Anstieg der fiskalischen Anforderungen konfrontiert, da die Ausgaben für die öffentliche Gesundheit stiegen und die Einnahmen aufgrund des Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit sanken. Hoch verschuldete Länder gerieten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit, und selbst Länder mit zuvor tragfähigen öffentlichen Finanzen sahen sich mit einem gefährlichen Anstieg ihrer Schuldenlast konfrontiert. Wenn die Verschuldung hoch ist und weiter steigt, kann es plötzlich zu einer Krise kommen, die sich sehr schnell verschärfen kann. Zwar haben einige Regierungen Schritte unternommen, um ihre hohe Verschuldung abzubauen, und Reformen eingeleitet, um potenzielle Krisen abzuwenden, doch sind die Kosten für den Schuldendienst in einigen Ländern so hoch, dass sinnvolle Anpassungen politisch oder wirtschaftlich nicht durchsetzbar sind.
Wenn die Verschuldung hoch ist und weiter steigt, kann es plötzlich zu einer Krise kommen, die sich sehr schnell verschärfen kann.
Unter diesen Umständen verkaufen skeptische private Gläubiger die Staatsanleihen dieser Länder zu reduzierten Preisen und verweigern weitere Kredite. Sobald dies geschieht und die Regierungen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, werden sie von den Kapitalmärkten ausgeschlossen. Die darauf folgende Wirtschaftskrise dauert in der Regel so lange an, bis es den Ländern gelingt, ihre bestehenden Schulden zu restrukturieren, politische Reformen durchzuführen und das Vertrauen in ihre Kreditwürdigkeit wiederherzustellen. Kommt ein privates Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht nach, wird im Rahmen eines Konkursverfahrens festgelegt, in welchem Umfang die Schulden abgeschrieben werden und wie das verbleibende Vermögen des Unternehmens verteilt wird. Im Gegensatz dazu gibt es keinen allgemein anerkannten rechtlichen Mechanismus für die Umstrukturierung von Staatsschulden. Jede Lösung hängt daher von einer freiwilligen Vereinbarung zwischen dem Schuldnerstaat und seinen Gläubigern ab.
In den letzten Jahren, in denen Dutzende von Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf die Zahlungsunfähigkeit zusteuerten, nahmen die Forderungen nach einem Schuldenerlass immer mehr zu. So schlug der kenianische Präsident William Ruto kürzlich vor, den afrikanischen Ländern eine zehnjährige „Gnadenfrist“ für Zinszahlungen zu gewähren. In seiner Rede auf dem ersten afrikanischen Klimagipfel in Nairobi schlug Ruto vor, dass die Entwicklungsländer die für den Schuldendienst vorgesehenen Mittel in Investitionen in erneuerbare Energien umleiten sollten. Dieser und andere Vorschläge für einen pauschalen Schuldenerlass oder ein Zahlungsmoratorium sind jedoch mit erheblichen Mängeln behaftet. Vor allem sind die Schulden einiger Länder von Natur aus untragbar. Selbst bei einem plötzlichen Schuldenerlass würden diesen Regierungen die Mittel fehlen, um wichtige Umweltinitiativen zu finanzieren. Ohne einen vereinbarten Umstrukturierungsplan und den Zugang zu zusätzlichen Finanzmitteln würden zudem die für Produktion und Konsum notwendigen Importe stark eingeschränkt, was zu einer Unterauslastung der Kapazitäten und einer möglichen wirtschaftlichen Stagnation führen würde.
Vorschläge für einen pauschalen Schuldenerlass oder ein Zahlungsmoratorium sind jedoch mit erheblichen Mängeln behaftet.
In der Vergangenheit waren Verhandlungen zur Umschuldung ein langwieriger Ad-hoc-Prozess. Der Internationale Währungsfonds würde mit den Schuldnerländern zusammenarbeiten, um die notwendigen innenpolitischen Veränderungen und Schuldenanpassungen zu bewerten. In der Zwischenzeit würden sich die staatlichen Gläubiger, die über den Pariser Club zusammenarbeiten, mit privaten Kreditgebern beraten und über eine geeignete Umstrukturierungsstrategie entscheiden.
Die heutige Schuldenlandschaft birgt jedoch noch größere Herausforderungen. Um zu einer Restrukturierungsvereinbarung zu kommen, müssen alle Gläubiger den gleichen Abschlag erhalten. Andernfalls würden einige Gläubiger eine vollständige Rückzahlung erhalten, während andere erhebliche Abschreibungen hinnehmen müssten, was sie sicherlich nicht akzeptieren würden. China, das sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Gläubiger entwickelt hat, weigert sich jedoch, dem Pariser Club beizutreten. Anstatt den gleichen Abschlag wie andere Gläubiger zu akzeptieren, besteht die chinesische Regierung auf einer vollständigen Rückzahlung, was zu einer Vorzugsbehandlung Chinas führen und die Schuldendienstprobleme der Entwicklungsländer noch verschärfen würde. So hat die mangelnde Zustimmung den Umschuldungsprozess verzögert. Dies hat dazu geführt, dass Länder wie Sri Lanka und Sambia unnötige Verzögerungen bei der Lösung ihrer Schuldenkrisen hinnehmen mussten, selbst nachdem sie mit dem IWF Vereinbarungen über wichtige politische Reformen getroffen hatten. Um großes und vermeidbares Leid zu verhindern, muss die internationale Gemeinschaft Verfahren einführen, die eine rechtzeitige und faire Lastenteilung unter den Gläubigern gewährleisten.
Die anhaltenden wirtschaftlichen Turbulenzen in den Entwicklungsländern unterstreichen die dringende Notwendigkeit, einen neuen Rahmen für die Umstrukturierung von Schulden zu schaffen. Die Weltbank schätzte vor kurzem, dass 60 Prozent oder mehr der Länder mit niedrigem Einkommen hoch verschuldet sind und „ein hohes Risiko einer Schuldenkrise“ haben. Darüber hinaus stehen viele Länder mit mittlerem Einkommen, wie Ägypten, Jordanien, Libanon, Pakistan und Tunesien, ebenfalls vor erheblichen Haushalts- und Schuldenproblemen. Wenn mehrere Länder ihren Schuldendienstverpflichtungen nicht nachkommen, werden die internationalen Gläubiger zögern, andere hoch verschuldete Länder zu finanzieren, was eine globale Schuldenkrise auslösen könnte. Ein solches Szenario hätte verheerende Folgen für die Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen und für die Weltwirtschaft insgesamt. Durch eine Straffung und Beschleunigung des Umstrukturierungsprozesses können wir verhindern, dass sich eine schlechte Situation noch verschlimmert.
Aus dem Englischen von Andreas Hubig